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Maxi Hill
GIFT geschädigt
Umweltgift in deutschen Schulen - und niemand unternimmt etwas. Ein realer Skandal.
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Inhaltsverzeichnis
Schulalltag und eine nicht alltägliche Nachricht
Ein Unheil kommt selten allein
Der Schüler
Carstens Wunder-Bar hält nicht, was sie verspricht. Nicht einmal gemütlich ist es hier. Sören Proske schaut durch das Fenster auf den belebten Platz, einen Grund zur Freude hat er nicht.
Er kann sich vorstellen, für die Firma seines Vaters durchs Feuer zu gehen. Aber das jetzt, das hätte er sich nicht vorstellen können. Wenn stimmt, was er jetzt weiß, kann es nur aus Sternbergs Hirn geflossen sein.
Sören mag Sternberg nicht. Der Vizechef der väterlichen Firma ist ein zu harter Hund, der sich bestens darauf versteht, seinen Willen durchzusetzen. Vater schätzt den Vorteil, den einer aus der Politik mitbringt, wenn er in die Wirtschaft wechselt. Aber was hat einer wie Sternberg gegen Schrimp?
Sören Proske streicht mehrmals über den feinen Stoff seiner Hose. Es will ihm nicht einfallen, warum man seinen früheren Lehrer Ole Fedder Schrimp nannte. Fedder kam von der Küste. War es das?
Zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen, umhüllt von bestem Wollstoff mit exakter Bügelfalte, bestellt der junge Mann einen Drink. Seine Erinnerung ist besser als sein Gefühl. Er mochte Schrimp, und er mochte ihn auch wieder nicht. Bio-Lehrer war er und nannte sich selbst einen unbeleckten Bären. Dabei war er ebenso athletisch gebaut wie geschmeidig in jeder Bewegung. Die Mädchen schwärmten von seiner dauergebräunten Haut und vom Blick aus hellen, strahlenden Augen. Die Jungen liebten seine trockenen Witze, die er nie vergaß, gerade dann, wenn der Lehrstoff trocken war.
Wie lange ist das her? Fünf, nein sechs Jahre?
Der Geruch des Nordens kroch Schrimp aus allen Poren. Besonders sein Dialekt mit den plattdeutschen Einlagen und das zuweilen stoppelige Kinn machten den Seebären perfekt. Aber eines fehlte ihm: der Hang nach Geltung, den einer haben sollte, der an einer Eliteschule unterrichtet.
Sören stiert vor sich hin, nimmt versonnen einen Schluck, und jetzt erinnert er sich daran, wie Schrimp in einer Biologiestunde von den kleinen Krustentieren erzählte, die er Schrimps nannte und die er als Junge in seiner Heimat zu puhlen hatte.
Die Schüler hier im Binnenland fanden seine ungeschliffene Art besonders witzig. Und witzig konnte Schrimp sein. Die Unterrichtsstunden waren nie langweilig, wenn auch die Biologie an dieser Schule keine Priorität hatte. Sie war abwählbar im demokratischen System der Prüfungsordnung.
Der Drink gibt Sören einen Geschmack auf der Zunge; süß und bitter zugleich. Es wundert ihn nicht. Es war Schrimp, der das Leben genau so beschrieben hatte: süß und bitter. Er wollte es damals nicht hören. Gebetsmühlenartig wiederholte Schrimp, vom Zensurenhaschen nichts zu halten. Man lerne nicht für Zensuren, man lerne für das eigene Leben.
Und dann hatte er sich freimütig dazu bekannt, keinen Doktortitel zu besitzen, nur den Titel eines Studienrates, den er negiere, den er niemals haben wollte, den er verliehen bekommen habe vom sozialistischen System, weshalb er zuweilen als Protegierter des Systems gegolten habe. Man könne es nehmen wie man wolle. Protegiert wurde er nie, promoviert habe er nie, aber protestiert leider auch nicht.
Warum protestiert er jetzt? Wofür rebelliert einer wie Schrimp?
Skandale offenbaren die Unvollkommenheit der Gesellschaft und die Lernfähigkeit der Demokratie. Nur in Diktaturen herrscht Lautlosigkeit.
Sörens Erinnerung trügt nicht. Genauso sagte es Schrimp damals.
Und jetzt ahnt der junge Mann, warum einer wie Schrimp bei einem wie Sternberg anecken muss …
Schrimp