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Maxi Hill
Laila - Die Farben der Klänge & Verfluchte Liebe
Doppelband
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Teil I - Die Farben der Klänge - Matti Braun erzählt
Teil II - Verfluchte Liebe - Die Rache
Teil I - Die Farben der Klänge - Matti Braun erzählt
Ich habe gelebt, als würde ich die Sonne nicht brauchen, nur weil eine Uhr genauer geht. Ich habe gedacht, nicht vertrauen zu müssen, weil ich selbst gelogen hätte. Ich habe geglaubt, die Liebe sei ein Geschenk, das man nicht zurückgeben muss. Heute weiß ich, ich war ein Idiot.
Das Fenster zeigt zur Südost-Seite des Hauses. An diesem Junitag geht die Sonne schon sehr früh auf, früher als die Menschen bereit sind, ihren Tag zu beginnen. Es ist noch still im Haus. Matthias Braun zwängt sich lautlos durch die angelehnte Tür. Der laue Morgenwind fächelt sanfte Wellen über die zartgelbe Gardine. Das silberblaue Windspiel erwacht zögernd. Im großväterlichen Haus zwängt sich das Licht der Morgensonne durch die gelben Lamellen und wirft helle Streifen über die lustig getupfte Tapete.
Mattias Braun hält den Atem an. Sein Blick saugt das Wunder des Lebens tief in sich ein. Seine Lippen schmecken die Süße, die seine kleine Tochter Jane-Maria verströmt.
Wie er so in sich gekehrt sitzt, möchte man glauben, er sei die Vollkommenheit eines Vaters. Wer kann schon sehen, wie alles in ihm schreien möchte…
Für einen winzigen Moment schweifen die blaugrünen Augen ab, glättet sich das Grübchen auf den ebenmäßigen Wangen. Er schaut durch das Fenster hinunter zum Fluss. Die Morgenfrische und der Druck in seiner Brust bringen zwei Gedanken nicht zusammen:
Was hat der Schöpfer an uns verdorben, wenn man dem Zweifel mehr Kraft gibt als dem Glauben?
Die Farbe Blau
Ich, Matthias Braun, schreibe dieses Buch für Laila. Bei den ersten zwanzig Seiten würde sie erröten. Sie würde jede Zeile abscheulich finden. Sie würde mich abscheulich finden. Verzeih mir, Laila.
Die ganze Welt begann mit einem Urknall. Auch ich will bei der Eruption in meinem Wesen beginnen, will meine Verdorbenheit nicht beschönigen. Natürlich könnte ich sie auch in kleinen Tröpfchen untermogeln. Doch sind nicht viele kleine Tropfen auch ein tosendes Meer? Sind nicht viele kleine Bosheiten eine große Boshaftigkeit? Ich bereue. Aber ich schwöre, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit.
Meine Mutter verteidigte mich oft vor meinem Vater: Wer erfolgreich sein will, müsse pausenlos seine Übernatur zur Schau stellen. Ich besaß nur eine Übernatur. Die Verkommenheit. Die Entartung der Seele. Die Gier nach Sex. Was wusste ich über Schuld, was über Unschuld? Unschuld bezog ich allenfalls auf den Körper einer unberührten Frau – also war das Einlassen auf die Unschuld zutiefst abenteuerlich. Schuld war etwas, was nur die anderen betraf - und diese Meinung teilte ich mit den meisten Menschen. Von der Geschlagenheit durch Schuld ahnte ich nichts. Von wahrer Liebe wusste ich nichts. Ich gehörte dieser Clique an, dieser Bonobo-Gemeinschaft, von der sich unser Freund, der Kulturjournalist Sigmund Waas, an diesem denkwürdigen Tag als erster abwandte. Denkwürdig war der Tag dennoch nur, weil Laila in mein Leben trat.
Sigmund war nicht zu überzeugen. Nicht einmal unser Advokat in spe, Ingo Barthels, konnte es mit seinen Sprüchen: »Treue funktioniert nur bis zum vierten Jahr. Maximal. Das sagt die neueste Scheidungs-Statistik, und die ist untrüglich. Und überhaupt: Die fleischlichen Laster toben auch vor und hinter den Kirchenmauern.«
Ingo musste so etwas wissen, auch wenn sein unbenutzter Talar noch den Geruch des Färbebottichs trug. »Der Schöpfer hat die animalischen Triebe in uns nicht unterbunden. Im Gegenteil - er hat sie gefördert. In der Natur befähigt Untreue zum sichersten Blick auf frisches genetisches Material. Treue ist die Erfindung des Abendlandes. Gottes Sohn selbst ist in Wahrheit ein Produkt der Untreue.«
Wenn ich ihn richtig verstand, kam es vor Gott und der Welt auf die Sichtweise an, um als unschuldig zu gelten.
Nun ist es ein schweres Los, der Sohn eines Apostels sozialer Gerechtigkeit und Jüngers Äskulaps zu sein. Andererseits ein angenehmer Trost, meinen Vater für all meine Sünden schuldig zu befinden. Übung macht den Meister, das hatte er mir viele Jahre gepredigt. Nur meine Promiskuität, die nichts anderes als unermüdliche Übung war, verurteilte er mit nervigen Standpauken über Verantwortung, die ich erst verstehen würde, wenn ich einst eigene Kinder hätte.
Ich hasste Kinder; sogar mich selbst, als ich noch eines war. Kinder rauben ihren Vätern den Schlaf und Müttern die Libido. Es gibt keinen Beweis, dass Kinder ein Produkt der Liebe sind? Ein Rückstand sind sie. Ein Kopulationsrückstand. Für Kopulation ist Liebe nicht nötig, auch wenn die halbe Menschheit es Liebe machen nennt. Für mich war Liebemachen der genialste Spaß meines Lebens. Eine andere Erfahrung war mir fremd. Die kam erst viel später. Mit Laila. Aber schön der Reihe nach …
Dieser Tag wurde - was ich nicht voraussehen konnte - der wichtigste meines Lebens, wenn ich meine Geburt mal ausnehmen darf. (Sogar meine Zeugung schien unwichtiger als meine Geburt, es hätte noch so viel dazwischen kommen können. Ich weiß jetzt, wovon ich spreche, damals wusste ich es nicht. Weshalb ich bis dahin den Paarungsakt für das Wichtigste hielt.)
In unserer Stammkneipe «Harmonika» ging es an diesem Samstag zu, wie es immer zuging. Unsere Clique traf sich, in der es - wie die Bonobos - jeder mit jedem trieb. Nur Lizzy war theoretisch außen vor. An ihr hatte Leo sein Vorrecht vergoldet. Lizzy erfüllte alle Merkmale der modernen Ikonographie von Schönheit. Ich liebte lange Beine und dralle Busen und ich bevorzugte Blondinen. Immerhin war die helle Freude angenehmer als der graue Alltag.