Maxi Hill

Laila - Die Farben der Klänge & Verfluchte Liebe


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zu jenem denkwürdigen Tag, der noch kommen sollte, wusste niemand von meinen heimlichen Zwiegesprächen an Omas Grab, zweimal im Jahr. Meine Freunde hätten mich einen sentimentalen Spießer geschimpft. Sie wissen nichts vom einzigen Schmerz, den ich je in meinem Leben empfunden hatte, den Schmerz des Verlustes gütiger Hände, einer wärmenden Stimme. Ich war es gewohnt, von Omas weichen Armen umfangen zu werden. Nichts tröstete mich mehr, als ihre sanften Worte und der Geruch ihrer Schürze nach würzigem Kohl und gebratenem Fleisch. Oma hatte immer ein Lächeln, war niemals böse.

      Jetzt saß ein ebenbürtiges Wesen leibhaftig vor mir, ein Trugbild gar, mit ähnlich dichten Brauen, mit gleichem Glanz in ihren Augen und mit winzigen Härchen, die sich von den Ohren über das Kiefernbein entlang zogen und ihrem Gesicht den Ausdruck von Samt und Seide verliehen. Ein entscheidendes Moment aber unterschied die beiden grundsätzlich. Oma Hannah war nicht dunkel. Dieser Umstand schien den Ausschlag gegeben zu haben, warum ich so sehr auf blonde Frauen fixiert war. In meinem Grübeln stellte ich mir vor, wie Laila aussehen würde, wenn sie siebzig oder achtzig Jahre wäre. Sie würde schneeweiß aussehen wie Oma, ganz sicher. Und jetzt bemerkte ich es, sie war schön. Natürlich schön. Warum war das in der Harmonika niemandem aufgefallen?

      Mir war nicht klar, warum ich mich plötzlich an das kleine vergilbte Foto erinnerte, das seit Menschengedenken in einer morschen Zigarrenschachtel lag. Omas Hochzeitsfoto. Das Paar stand auf der Wiese. Oma trug keinen Schleier. Zu ihren Füßen hatte man das viel zu lange und schon einmal getragene Brautkleid im Gras drapiert. Vom Rosenstrauß - man konnte nicht erkennen, dass es gelbe Rosen waren, aber Oma meinte immer, es seien Teerosen gewesen - hingen zwei weiße Bänder herunter, an denen überdimensionale Ringe baumelten. Auf dem Kopf in ihrem wunderschönen Haar trug sie eine winzige Krone.

      Mir stockte das Blut in den Adern. … In ihrem wunderschönen Haar … ? Ja, Oma hatte wunderschönes Haar, aber auf dem Foto war es dunkel. Dunkel wie Lailas Haar.

      Oma Hannah muss sehr früh schneeweiß geworden sein. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, sie je mit schwarzem Haar gesehen zu haben. Ich musste mich irren. Was sonst sollte mich so kompromisslos auf blond geprägt haben, wenn nicht die Liebe zu meiner Großmutter. Ich gelobte, noch am selben Abend die Schachtel hervorzukramen, egal wie lange ich bei meiner Ordnung danach suchen müsste.

      »Was sind Sie von Beruf«, wollte Laila wissen und ich fiel mental ziemlich hart zurück in die Welt der Laila El … sowieso … wie immer sie heißen mochte, diese Deutsche.

      »Äh … Werbedesigner«, stammelte ich.

      »Toll.«

      Sie lächelte verlegen und schaute versonnen auf einen unbestimmten Punkt zwischen uns.

      »Ich mag kreative Menschen. Sie sind … gefühlvoller als andere Menschen … sensibler. Die meisten schaffen still in der Tiefe ihres Ichs Einzigartiges. «

      Sie sprach leise, beinahe monoton und ich nickte, als würde ich ihr zustimmen, als würde genau dieses für mich zutreffen. Mir war schon lange aufgefallen, dass es in dieser Wohnung mucksmäuschenstill war, eigentlich unheimlich, nichts für mich, der ständig einen Background brauchte. Und prompt sagte Laila:

      »Menschen, die ständig unterhalten werden wollen, fehlt es an eigener Schöpferkraft. Nicht, dass sie nicht klug genug denken könnten. Das Eigene macht den Reiz, aber es braucht Durchdringung.«

      Hatte sie meine Gedanken erraten? Ihre Worte zischten wie Öl in der noch glimmenden Flamme meines ausgebrannten Egos. Fast hörte ich die Worte meiner Chefs der G.U.T, sah aber ein himmlisches Wesen leibhaftig vor mir. Wie kann ein Mensch mit dieser Anmut die gleichen dämlichen Worte sagen wie Tarrach und Galle? Ich wollte Laila sagen, dass es schon zwei Menschen gibt, die ständig auf meiner Ehre herum trampelten. Ich kniff. Dieses überbelichtete Pflänzchen würde mein Vokabular nicht verstehen. Vielleicht würde sie sogar in Tobsuchtsanfälle ausbrechen. Ich gab mich kleinlaut:

      »Manchmal bleibt schon etwas Eigenes hängen. «

      »Woran arbeiten Sie gerade?«

      Es machte mich krank, immerzu Sie sagen zu müssen, doch so sanft und nett Laila sich auch gab, ich spürte eine kühle Verschlossenheit, die Laila niemals aufbrechen würde. Ich bemühte mich zu lächeln und betonte das Sie in meiner Antwort:

      »Er – Sie – Es heißt das Produkt. Eine kombinierte Anlageform. Familiensparen.«

      Sie nickte, beugte sich ein wenig nach vorn und legte ihren Ellenbogen auf den Tisch. Mit gespreizten Fingern strich sie ihre Haare aus der Stirn und schien zu überlegen.

      »Für wen machen Sie das?«

      »Unser Auftraggeber ist die Bank.«

      Sie nickte nur, mit ihrem Handrücken aber prüfte sie, ob das Kuchenstück auf ihrem Teller genug abgekühlt war. Wortlos schob sie mir einen Teller zu, zog noch zwei Servietten aus dem Spender und legte eine davon neben ihr Gedeck, von dem sie aber nicht zu essen begann. Während ich mich nicht lange bitten ließ, kritzelte sie versonnen auf ihrer Serviette herum. Wir schwiegen und ich schielte unbemerkt auf ihre schlanken Hände. Links zwischen Ring- und Mittelfinger hielt sie den Stift. Sie malte eine Parkbank, wie es schien, doch die brachte ihr offensichtlich auch keinen geistigen Impuls. Ich bemerkte die Anstrengung ihrer Augen, während die Lippen schelmisch zuckten. In mir kam nur Schadenfreude auf. So einfach ist es nicht, kreativ zu sein. Auch nicht in der Tiefe des Ichs? Auch nicht mit Durchdringung.

      Ich sagte es nicht, konzentrierte mich nur auf die Köstlichkeit aus Mandel und Vanille.

      »Zuwachssparen? «, fragte sie beiläufig, was ich mit Augenzwinkern bestätigte, ohne von meinem Kuchen abzulassen. Jetzt gab es Wichtigeres, als sich klug zu unterhalten. Jetzt war kein Fünkchen Muse überzählig und schon gar nicht für die G.U.T.

      Laila aß nicht. Sie kritzelte und legte ihren Kopf schräg, genau wie ich selbst noch kürzlich vor dem Bild im Flur. Nach ein paar Strichen gab sie auf. »Sie sind der Kreative.«

      Sie zog verschämt die Schultern an und ich sah im abendlichen Gegenlicht, wie die winzigen Härchen an ihren Wangenknochen den Aufstand probten. Nach meinem heimlichen Blick auf die Serviette begriff ich. Auf das Einfachste war ich nicht gekommen. Mit zwei winzigen Strichen, einem senkrechten und einem waagerechten, hatte die schüchterne Idee von einer schüchternen Frau das Licht der Welt erblickt.

      »Er + Sie = Es« Ich griff die Serviette. Etwas hastig vielleicht.

      »Wenn das keine Formel für Zuwachs ist?“

      »Man muss ja nicht immer vom Sparen reden. Zuwachs ist an sich etwas Positives«, sagte sie, errötete aber ein wenig dabei, angesichts der Zweideutigkeit.

      »Das ist es. « Es war die einfachste Formel für Zuwachs und sie würde sich wundervoll grafisch umsetzen lassen. Ich sah das Plakat schon vor mir. Wohl ein wenig zu impulsiv küsste ich Laila auf die Stirn. Es war nichts als Dankbarkeit. Sie hatte mir schließlich in einer angespannten Situation, in der ich mich total verrannt hatte, aus der Patsche geholfen. Der winzige schwarze Fleck auf Lailas Stirn war übrigens echt, diese Erkenntnis war das Nebenprodukt meiner stürmischen Freude. Ich wusste sofort, dass Lailas Idee auch Tarrach begeistern würde. Nur Laila saß wie erstarrt da. Aus ihrem Blick las ich das blanke Entsetzen. Meine Impulsivität musste sie sehr erschreckt haben. Sie stand auf und schlich aus der Küche. Eine Tür knarrte leise, dann war es ruhig. Ich saß da wie bedeppert und wartete, immer mit der Befürchtung im Bauch, sie könne einen Anfall bekommen und wie eine Furie auf mich los gehen. Vorsichtig schaute ich mich um. Bei Verrückten ist nichts sicher, dachte ich. Das galt für Vasen genauso wie für Küchenmesser. Auch mit ihren eigenen Ungereimtheiten schienen die Hypersensiblen um sich zu werfen.

      An diesem Abend habe ich jene Laila erlebt, die mir noch sehr viel später immer wieder einen Schrecken einjagen sollte.

      Ich trat in den Flur und klopfte vorsichtig an eine der Türen. Nichts. Kein Mucks. Ich brachte es nicht fertig, einfach zu gehen und drückte lautlos die Klinke herunter. Nichts rührte sich. Mein Kopf sagte mir, hau ab Matti, doch von irgendwo aus der Magengegend grummelte es