Maxi Hill

Laila - Die Farben der Klänge & Verfluchte Liebe


Скачать книгу

und fertig.

      Ich spürte, wie alles in mir den Aufstand probte und ich wäre ein schlechter Freund, hätte ich Lizzy nicht gegeben, was sie so flehentlich einforderte. Sofort. In der Clique musste es ja keiner wissen.

      Als wir verspätet in der «Harmonika» ankamen, waren alle anderen schon da. Adi, Ingo, Sigi, Jupp, Cora, Stella, Conny. Es war aus zwei Gründen ein denkwürdiger Samstag. Zum einen, weil Sigmund Waas beschlossen hatte, der Clique endgültig den Rücken zu kehren. Zum anderen, weil ihm dafür ein seltsamer Gast den Anlass gab.

      Meine Gedanken rotierten noch, mit wem ich die Nacht verbringen würde, als eine fremde Frau zur Tür herein trat. Nicht nur ihr Haar, das schwer und dunkel an ihr herab fiel, verlieh ihr einen Hauch von Exotik. Ihre Haut erinnerte an Muskat und aus den schwarzen Augen unter den dichten aber wohlgezeichneten Brauen blitzten winzige helle Punkte, als hätte sie soeben noch geweint. In Wahrheit lächelte sie scheu und winkte Lizzy zu, die mit abfallenden Mundwinkeln behäbig von ihrem Barhocker rutschte und zur Tür lief, wo die Fremde artig stehen geblieben war. Erst als Lizzy ohne Eile ihren halbleeren Drink zu Ende lutschte, erfuhren wir, dass Leo die Fremde gebeten hatte, Lizzy am Abend abzuholen.

      Alles feixte hämisch. Ich war in diesem Moment stolz auf mich und auf mein Leben, das nur mir gehörte. Ich hatte niemandem Rechenschaft abzulegen, was ich tat, wann ich nach Hause ging oder auf wen ich gerade Lust verspürte. Nein. Niemals wollte ich irgendein Versprechen abgeben und schon gar nicht heiraten. Die Welt war sowieso überbevölkert.

      Ich hörte nicht, was Ingo in seinem Delirium zu der Fremden von sich gab, sah aber, dass ihr seine Worte wie auch unsere Kneipe nicht behagten. Ihre Augen verengten sich, die Mundwinkel zuckten, doch das schien Ingo gar nicht zu bemerken. Mit ruhiger, klarer Stimme sagte sie:

      »Amerika hat dem Irak gerade den Krieg erklärt.«

      »Tatsächlich? Wie gemein!«

      Inzwischen wussten wir von Lizzy: Die Fremde hieß Laila und hatte eine merkwürdige Eigenart.

      Ich schaute sie mir genauer an und musste feststellen, so paranoid sah sie gar nicht aus. Sie war nicht hässlich; irgendwie rein, so ohne Schminke und Silikon. Überdies strahlte sie Ruhe aus und schien mit einer Besonnenheit ausgestattet, wie man sie selten bei Frauen findet.

      »Ist das wahr?« Mit ernster Miene gesellte sich Sigmund Waas dazu.

      »Sie haben es vorhin auf allen Sendern gebracht. Es wird wohl stimmen.«

      Ihr ebenförmiges Gesicht passte zur erhabenen Haltung. Eigentlich war es nur ihr grauer Mantel, der sie zu diesem unbedeutenden Mäuschen gemacht hatte. Vermutlich waren unsere Augen durch Kunst am Körper von der Normalität entwöhnt.

      »Das ist ja ungeheuerlich! «, rief Adi grinsend. Er gab gerne mal den Clown. Laila blieb ruhig, ihre Stimme sanft: »Ungeheuerlicher als dieser Herrscher über die Welt mit seinem janusgesichtigen Wesen ist wohl nichts.«

      Das Gemurmel im Raum verstummte. Ich wusste nicht, was es bedeutet, ein Janusgesicht zu haben, aber so, wie sie aussah und wie sie es ausgesprochen hatte, musste es etwas aus ihrem fremden Glauben sein und das reizte mich. Ich drehte die Musik leiser, ehe auch ich näher trat: »Du liest den Koran. Hier liest man die Bibel.«

      Ingo kam Lailas Antwort zuvor: »Das ist Matti. Wenn der von der Bibel spricht, denkt er, sie handelt ausschließlich vom Sündenfall.«

      Aus irgendeinem Grund ignorierte Laila Ingos Worte. Ganz ruhig und mit geradem Blick ließ sie sich auf meine Frage ein.

      »Ist es nicht egal, woran man glaubt? Was zählt, ist die Menschlichkeit.«

      Lailas kühle Ruhe verstieß deutlich gegen unser Ritual samstäglichen Übermutes. Ihre schreckliche Nachricht interessierte niemanden. Vielleicht, weil eine solche über kurz oder lang zu erwarten war. Wenn man voraussagen kann, was geschehen wird, dann ist ein Unheil nur halb so schlimm. Sind wir nicht alle paranoid?

      »Was verstehen Sie unter Menschlichkeit?«, fragte ich. »Ist es nicht der Mensch, der all die Unmenschlichkeiten verübt? «

      »Ja. Weil ihm die Kleinen nicht so wichtig sind wie die Großen. Weil wir nicht zu den Armen halten und die Bescheidenen übersehen. Weil wir den Mühseligen nicht helfen und den Beleidigten nicht beistehen. «

      Kein Vorwurf lag in ihrer Stimme. Sie erschien ganz ruhig, nur ihr Blick huschte für einen Moment von Ingo zu Lizzy. Unmerklich zog sie die Schultern nach oben, als entschuldige sie sich für ihre Worte. »Es ist schwer, immer gut und gerecht zu sein. Es ist leichter, einen Lehrmeister zu befragen, egal ob die Bibel, die Thora oder den Koran. «

      Soviel Worte auf einmal und noch dazu akzentfrei hätte ich der Fremden mit dem dunklen Fleck auf der Stirn nicht zugetraut. Dieser Fleck hob sie ab von uns und unserer Welt, in der wir anderen Göttern huldigten. Den Göttern des Überflusses, des Spaßes, des ungebremsten Konsums und der schamlosen Lust. Das alles war uns heilig geworden und unverzichtbar.

      »Und du selbst? Hast du einen Nutzen davon?«, stotterte Ingo, der von Höflichkeit nichts hielt. Laila antwortete nicht, strich nur über die Knopfleiste ihres Mantels. Die dunklen Augen schienen jenen Glanz verloren zu haben, der mich für einen winzigen Moment so gefesselt hatte. Beinahe unbemerkt gab sie Lizzy ein Zeichen. Sie wischte mit dem Handrücken über die Stirn und drehte sich um. Dabei raunte sie ungezielt in den Raum: »Alles hat einen Nutzen. Alles bedingt einander. Sogar Leben und Tod. «

      »Laila, warte noch einen Moment«, rief Lizzy, die zur Unterhaltung kein Wort beigesteuert, aber Laila auch nicht beigestanden hatte. Nur ihre feuchten Augen und ihr offen stehender Mund verrieten ein Staunen.

      »Nein Lizzy, diese Musik …«

      Lailas Gesicht zeigte eine undeutliche Anstrengung. Bis dahin glaubte ich, der dichte Qualm war der Grund für Lailas Rückzug.

      Mich überkam der abstruse Gedanke, diesem Inbegriff eines Mauerblümchens beistehen zu müssen. Heute weiß ich, ich inszenierte mich um meiner selbst willen. Es ist die Unberührtheit der Natur, das unbekannte Terrain, die gefährliche, undurchdringliche Wildnis, die unerforschte Tiefe der Meere. All das lässt einen Forscher fanatisch werden, wenn es Neuland zu erforschen gibt.

      Noch ehe Laila endgültig die Tür aufstieß, hörte ich meine eigene Stimme krächzen: »Mir gefällt diese Musik genau so wenig wie dir.«

      Sie schaute mich an, als wollte sie eine gewichtige Antwort geben. Nur wenige Worte wurden daraus. »Sie ist so abscheulich indigo.« Unhörbar klickte die schwere Tür in das Schloss und dämmte das donnernde Gelächter zwischen ihr und denen, die damals meine Freunde waren.

      »Indigo heißt blau, nicht wahr?« Ingo schien verunsichert. »Die hat doch ΄ne Meise. Die ist total durchgeknallt? Die Musik ist abscheulich indigo … Indigo …«

      Dieses Wort klang wie sein Name und das behagte ihm nicht. Ob Laila so gerissen war, die Musik indigo zu nennen, weil der, der sie offenbar erniedrigt hatte, so ähnlich hieß? Ob sie sich mit Farben so gut auskannte? Warum hatte sie der Musik eine Farbe gegeben?

      Ich spürte einen unbekannten Druck unter meinem Rippenbogen. Es war jener Druck, der mich in meinem Leben nur ein einziges Mal gequält hatte. Damals war Oma Hannah gestorben. Ab diesem Tag wusste ich, dass der Tod etwas Endgültiges ist, dass er mir nehmen konnte, was ihm beliebte, auch wenn es das Liebste war, wie Oma Hannahs Wärme und Güte.

      Laila war gegangen, ohne großes Aufsehen. Vermutlich das erste Mal in ihrem Leben war Lizzy vor Ehrfurcht verstummt. Mit einem wütenden Blick auf Ingo schnappte sie die Imitation einer Gucci-Tasche und stöckelte hinter Laila her, und es gab keinen in der Runde, der die Szenerie normal fand.

      »Wer hier blöd ist, seid eindeutig ihr! « Wie Schwertschläge kamen diese Worte von Sigmund Waas. Gewöhnlich zollte man Sigmund Respekt, heute zog er das Gelächter sofort auf sich. Ich mochte ihn nicht, das hieß aber nicht, dass ich seine Vorzüge nicht kannte. Seinen Mut, seine Schläue, seine Schönheit, seine untadeligen Umgangsformen, die er trotz großer Leichtigkeit, mit der er Ironie einsetzen konnte, niemals vergaß.

      Ich