Maxi Hill

Laila - Die Farben der Klänge & Verfluchte Liebe


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Gemütlichkeit, die mir über eine Stunde lang außerordentlich behagt hatte, dennoch fühlte ich mich irgendwie Zuhause. Es herrschte ungefähr das gleiche Chaos wie in meiner Bude, nur Laila war nicht da drin. Also musste es das Zimmer von Lizzy sein, wenn sonst niemand hier wohnte. In mir grollte der Zorn über meine Blödheit, dem Kitzel einer ungewöhnlichen Erfahrung nachgehangen zu haben. Das hatte ich nun davon. Warum ich dennoch all meinen Mannesmut zusammennahm und schnurstracks auf die Tür neben der Küche zuging, weiß ich nicht mehr. Ich drückte vorsichtig die Tür von mir weg und merkte sofort, hier herrschte wieder Ordnung.

      Etwas mutiger schob ich meinen Kopf um die Ecke. Die letzten glutroten Strahlen der untergehenden Sonne zwängten sich durch die Jalousie und malten ein gespenstisches Muster auf die helle Couch, die in der Nische an der schmalen Wand stand. Auf dem Boden davor hockte Laila. Den Kopf auf die Knien gepresst, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, schaukelte ihr schmächtiger Körper im Takt zu jener Melodie, die sie summte. Ich kannte das Lied: Es waren zwei Königskinder … Ihr Geist war in einer anderen Zeit. An einem anderen Ort?

      »Laila, es tut mir leid«, heuchelte ich, dabei kämpfte gerade meine Wut gegen das größte Glücksgefühl in meinem Bauch, das ich seit meinem Lottogewinn von 450,- Mark vor sechs Monaten je wieder verspürt hatte. Ehrlich, ich wollte nicht kneifen, aber mich zog es regelrecht nach Hause, um die Idee von Er + Sie = Es noch auszubauen. So tatenlos herumzustehen behagte mir nicht, außerdem musste ich fürchten, dass Lizzy bald hereingeschneit kam.

      »Lassen Sie mich allein«, unterbrach Laila ihr Summen, hob aber nicht einmal den Kopf. Ich verschwand lautlos. Das hatte noch keine Frau zu mir gesagt.

      »Lassen Sie mich allein …«, flötete ich, während ich polternd die Treppen herunter sauste, immer drei Stufen auf einmal überspringend. Doch es war Galgenhumor. Ich wusste natürlich, dass ich etwas falsch gemacht hatte, doch das begriff ich erst viel später.

      Auf meinem Weg durch die Stadt summte ich Lailas Lied weiter. Ich probierte, ob ich den Text noch zusammenbrachte, den mir Oma Hannah so herrlich piepsend vor … was weiß ich … vor hundert Jahren … beigebracht hatte.

      » … sie hatten einander so lieb, sie konnten zusammen nicht kommen …« Irgendwie fiel mir nicht mehr ein, warum die zwei Königskinder nicht zusammenkommen konnten.

      Zu Hause in meiner Bude erfasste mich das Grauen. Immer wenn ich aus einem ordentlichen Haushalt in meine vier Wände zurückkam, wusste ich wieder, wie recht Mama hatte. Leider hatte ich mir ihre Hilfe völlig verscherzt. Sie würde nie mehr kommen und bei mir Ordnung schaffen. Ich beförderte Berge von Papier und Klamotten in alle Ecken, um wenigstens Platz für einen Zeichenblock und einen Aschenbecher frei zu bekommen, doch schon die Serviette mit dem so wertvollen Gekritzel katapultierte meine Gedanken zurück zu Laila.

      Was, wenn sie sich was antut? Wie konnte ich nur gehen, ohne auf Lizzy gewartet zu haben. Mir wurde heiß. Die Schweißtropfen auf meiner Stirn begannen mit den winzigen Pusteln einer Gänsehaut zu konkurrierten. So wie mein Blick über das zerknüllte Papier streifte, sah ich die traurigen Augen dieses Mädchens, das mich noch um den Verstand bringen sollte. Versonnen malte ich weiter nichts als zwei Mandelaugen unter einem winzigen schwarzen Fleck. Ich konnte mich nicht auf den Slogan konzentrieren und ließ es nach mehrmaligen Versuchen einfach wieder bleiben. Morgen sei auch noch Zeit, tröstete ich mich, öffnete ein Bier und trank den letzten Raki aus der Flasche, die Ottmar von seinem Türkei-Urlaub mitgebracht hatte. Dieses Teufelszeug war nichts für empfindsame Kehlen. Es wütete gewöhnlich wie ein Brandbeschleuniger in meinem Rachen und setzte etwas in Gang, was sich abwärts durchzufressen begann und mich aus dem Zustand der Lustlosigkeit weckte. Heute nicht!

      Stöhnend erhob ich mich, schaltete den Fernseher ein und lehnte mich zurück in der Hoffnung, mein Gleichmut erstarke im Kontext der Erschlaffung meiner Muskeln.

      Es lief ein Krimi – irgendwo in einer Wohnung lag eine Frauenleiche, verdächtigt wurde der junge Mann, der sie zuletzt besucht hatte.

      Ich stürmte aus der Wohnung. Bier und Raki hatte ich vergessen. Die umlackierte Merkwürdigkeit meines Alfa-Romeo stand im Parkverbot genau vor der Tür – hier draußen im nördlichen Wohngebiet konnte man sich das trauen – vor Lailas Haus sah es anders aus. Nicht die kleinste Lücke. Ich kurbelte dreimal um das Karree ehrwürdiger Bürgerhäuser, bis mich mein Naturell besiegte. Schließlich gab es für Notfälle die Warnblinkanlage.

      Die Fenster der obersten Wohnung verloren sich in der Dunkelheit. Ich stellte mir vor, wie Laila noch immer auf dem Boden hockte und vor sich hin summte – oder schlimmer? Wohnte sie eigentlich mit Blick zur Straße heraus? Ich bemühte meinen vom Raki vernebelten Kopf. Die Sonne schien am Abend ins Fenster. Also musste sie gen Westen wohnen, zum Innenhof also. Ich stürzte zur Tür – kein Hineinkommen möglich. Mit verschränkten Armen und wütend auf mich und die Welt und noch viel mehr auf diese Laila da oben, stapfte ich auf der Marktstraße umher. Sollte ich die paar Schritte zur Mauerstraße gehen und die Polizei hierher bitten? Zuerst fiel mir Ottmar ein. Ich verwarf den Gedanken, er war dumm, denn ich war feige. Das jahrelange Gelächter über meine Blödheit wäre mir sicher gewesen. Ich leuchtete mit meinem Feuerzeug die Klingelknöpfe ab. Ganz oben der Name Winter, das Namensschild daneben jungfräulich weiß. Dort läutete ich Sturm. Noch einmal. Nichts. Das muss nichts bedeuten, tröstete ich mich, und drückte noch ein- oder zweimal. Jetzt knackte es in der Sprechanlage, gesprochen wurde aber nicht. Der Türöffner wurde auch nicht betätigt. Nach längerem Warten schlug ich mit der Faust zweimal dagegen, um endlich zu gehen.

      »Lizzy, bist du es?«, lösten sich die Worte aus dem Blech, beinahe flüsternd, doch es war Lailas Stimme, unbedingt.

      Matti, du bist ein Idiot, maulte ich mit mir selbst und verschwand endgültig im Chaos meines Lebens, dem Laila noch einen gehörigen Schub geben sollte.

      Von meinem Bildschirm prangte die verblüffende Lösung. Schemenhaft im Hintergrund drei Menschen. Die Worte: Er -Sie – Es dominierten fett und hoffungsvoll grün, nur die kleinen Zeichen, die alles zu einer Formel machten, hoben sich rot ab, wie mit dem Pinsel hin gewischt. Darüber prangte der rote Slogan in Pinselschrift:

       »Viele Banken reden vom Sparen – Wir reden von Zuwachs«

      Zugegeben, der Text war eine Adaption, nicht ganz neu, aber neu war die Grundidee.

      Auf meinem noch immer aufgeräumten Schreibtisch lagen wie zufällig die Blätter mit Variationen des Entwurfes herum. Ich war nun mal für Galle der Chaot, dieses Image sollte mir jetzt von Vorteil sein. Galle würde niemals vermuten, wie ich mich inszenierte, wie ich den Beifall des Betrachters provozierte. Würde mein Draft nicht ankommen - so müsste ich zumindest den Entwurf bezeichnen, wenn ich mit Galle darüber sprechen würde, denn meine Chefs waren auf dem Höhepunkt der Anglizismensucht angekommen - also, würde der Entwurf nur müdes Achselzucken auslösen, könnte ich immer noch behaupten, es sei lediglich die Secound-Best-Lösung.

      »Na bitte, es geht doch«, sagte Galle tatsächlich im Vorbeigehen, blieb aber dann doch stehen und zog ein Blatt heraus und gleich noch eins. Lange, jedenfalls länger als die obligatorische Sekunde, betrachtete er die Blätter, klopfte mir auf die Schulter und befahl mittels schwungvollen Rücktransportes eines der Blätter vor meine erstaunten Blicke: »Daraus machen Sie eine Serie.«

      Conny und Tarrach gesellten sich in ungewohnter Vertraulichkeit dazu und fanden meine Arbeit unisono nicht schlecht, was immer das heißen sollte. Und irgendwie kam ich mir vor, als würde ich zu Hause bei Mama in der Küche sitzen.

      »Ein Bums wirkt manchmal Wunder«, flötete Conny, himmelte dabei jedoch Tarrach an, wie ich es noch nie von ihr gesehen hatte. Während ich mich noch in geistige Unkosten stürzte, was mit den beiden geschehen sein könnte, knallte die Tür zum Chefbüro mit lautem Getöse zu. Galle war verschwunden. Er musste Conny völlig missverstanden haben. Nicht meinen Ausrutscher mit Galles Frau konnte Conny gemeint haben, eher Galles Wutanfall wegen meines chaotischen Arbeitsstils. Tarrach quittierte die Marotte des Chefs mit einem Grinsen, rümpfte die Nase und tätschelte Connys Arm, die dafür beinahe in Ohnmacht zu fallen schien.

      »Hätscheln