Maxi Hill

Laila - Die Farben der Klänge & Verfluchte Liebe


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mehr Bauchgefühl, Herr Braun. Kreative müssten neugierig auf das Leben sein – Der Glaube an den Menschen und der Sinn für alles, was uns umgibt – das macht einen guten Werber aus.

      Er hatte wohl Recht, aber mein Bauchgefühl sagte mir heute nur eines – Laila. Der Gedanke an sie erfüllte mich schon den ganzen Tag. Ich hätte mir in diesem Moment und in tausend Momenten vorher nichts mehr gewünscht, als dass jede Frau zuvor Laila gewesen wäre. Dieser neue Zustand war bedrückend und beflügelte mich zugleich. Jeden Augenblick, an dem ich mich nicht gerade einer äußerst wichtigen Angelegenheit zuwenden musste, irrten meine Gedanken zu ihr und ich hoffte, es möge nicht die Vorfreude auf ein unerfüllbares Geschenk sein. Ich verleugnete vor mir selbst vehement, genau zu wissen, wie lange bisher in meinem Leben die Freude über ein sehnlich erwünschtes Geschenk angehalten hatte. Was nun Laila betraf, hatte ich das Geschenk noch nicht einmal in Aussicht – wenn ich es erst einmal habe, würde ich weitersehen.

      Die Tür zum «KinOh» war weit geöffnet. Ich trat in den Vorraum und schaute mich um. Rechts ging es in den großen Saal «Leinwand 1». Links neben dem Kassentresen, der mit allerlei Informationsblättern ausstaffiert war, prangte ein riesiger Pfeil hin zu «Leinwand 2».

      Ich nahm mir eines der Programmhefte und bemühte mich, sehr interessiert zu erscheinen.

      »Wenn Sie noch in den Pianisten möchten, müssen Sie sich beeilen«, rief die Kassiererin herüber.

      Ein Deutsch ist das heutzutage, dachte ich.

      »Ich hatte nicht vor, irgendeinem Pianisten in den Arsch zu kriechen«, brummte ich leise, während mein Blick auf die Plakatwand das Problem klärte. «Der Pianist» war einer der Filme, die hier gezeigt wurden.

      Mein peilendes Designerauge taxierte ein Plakat nach dem anderen. Es waren vorrangig Dramen im Programm, was bei Laila auch zu erwarten war. Nur über Leinwand Nr.2 flimmerte heute die Komödie «Bruce Allmächtig». Ich kannte diesen Streifen, in dem es nicht eine einzige Szene gab, die dem Plakatmotiv glich. Ich fragte mich beim Betrachten, wo bei all den Filmplakaten, die als Hauptmedien galten, die Winzigkeit einer Werbeaussage lag. Gute Motive – ja – aber kaum eine Animation. Würde ich ein solches Plakat abliefern, bekäme ich es von Galle um die Ohren gehauen. Diese Filmplakate hier zierte ein schöner Held, ein dominanter Filmtitel und jede Menge Namen und Logos, in unleserliche Schriftblöcke gezwängt, die man aus einem Meter Entfernung nicht mehr entziffern konnte.

      »Matthi΄s«, hörte ich hinter mir ein Flüstern und gleich darauf, »wie kommst du denn hier her? «

      »Zu Fuß« Zwar lächelte ich, aber ich bemühte mich, meine Freude über ihr plötzliches Erscheinen hinter der kühlsten Gelassenheit zu verbergen, die mir je an einem warmen Sommertag geglückt war.

      »Möchtest du einen der Filme ansehen?«

      Ich wagte nicht, mich zu rühren, denn Laila hatte ihre freie Hand auf meinen Arm gelegt und noch nicht wieder zurückgezogen. Unter meiner Haut stieg etwas aufwärts, drang durch die Adern, bis es sich zwischen den Rippen verteilte. Sie lächelte so süß, als wollte auch sie sagen, dass sie sich freue, doch sie stand erhaben neben mir und wartete. Nur ihre großen dunklen Augen nahmen einen eigentümlichen Ausdruck an, so zwischen Ungeduld und Vorwitz.

      »Nein«, sagte ich und fügte leise hinzu, damit es die Frau an der Kasse nicht hören konnte: »Nur dich!«

      »Ich habe wenig Zeit, weißt du«, flüsterte sie ebenso und schob die Akte mit einem Ruck unter die Achselhöhle, als wollte sie auch ihre Linke noch für mich frei haben. Sie sah bezaubernd aus. Sie trug einen graugrünen Seidenanzug und ihr Haar war zu einer seitlichen Rolle gedreht, die ihren wundervollen Hinterkopf noch mehr betonte. Auf ihrem Namensschild stand tatsächlich unter dem Firmenlogo: Laila El Sahib, Projektmanagerin. Ich bemühte mich, nicht zu staunen, hatte ich doch gelernt, meine Augen niemals direkt auf etwas zu richten, das mich brennend interessierte. Nach und nach wurde mir ihre distanzierte Nähe unerträglich. Warum nahm ich sie nicht einfach und entführte sie aus der Kühle des Foyers hinaus in die milde, blühende Natur, die ich selbst erst vor wenigen Minuten entdeckt hatte. Warum küsste ich sie nicht einfach, hier und jetzt, vor aller Welt, auch wenn diese Welt nur eine kleine, unbedeutende, ältliche Kassiererin war.

      Wie sie so vor mir stand mit dem untrüglichen Eindruck von Gelassenheit, sah ich das Pochen unter ihrer Muskathaut am anmutigen Hals. Sie schien so unschlüssig zu sein in ihrer dienstbeflissenen Erhabenheit, doch ihre Ausflucht hatte wenig mit dem zu tun, was auch sie zu wollen schien.

      »Die Zeit hat einen Nachteil, Laila. Sie gönnt uns jeden Tag nur einmal.«

      »Ich weiß Matthi΄s«, erwiderte sie und es war gewiss, dass noch Worte folgen würden.

      »Wenn der zweite Film angelaufen ist, habe ich zwei Stunden Zeit. Okay?«

      Die winzige Schwingung in ihrer Stimme hatte ich trotz meines inneren Jauchzens nicht überhört. Eine so angenehme Empfindung konnte ich nicht mehr als Selbstbetrug annehmen. Ich muss allerdings zugeben, in diesem Moment dachte ich daran, dass zwei Stunden für einen Liebesakt genügen würden. In dieser Erwartung sprang ich ungestüm die Stufen der Freitreppe zum großen Vorplatz hinunter. Schon atmete ich mein nacktes Begehren und schmeckte im Geist ihre süße Haut, doch wohin sollte ich mit ihr gehen? Der Gedanke an Lizzy in Lailas Wohnung missfiel mir gründlich.

      Wir liefen Hand in Hand durch den Park und später den Fluss entlang. Die Sonne lugte schon schwächlich unter die Schürzen der Bäume und die Luft roch süß-würzig nach Lindenblüten und Pfeifenstrauch.

      »Es ist schön, nicht wahr?«, flüsterte sie. Aus ihren Augen strahlten winzige Sterne. Ich war ein wenig enttäuscht, nur spazieren gehen zu müssen und nickte wohl auch entsprechend gleichgültig.

      »Wie damals in den Schluchten. Ich denke so oft daran, Matthi΄s. Immer wenn ich traurig bin … oder etwas ausgelaugt, denke ich an diesen schönen Tag – und die Nacht.«

      Und die Nacht? Hatte ich richtig gehört? Jene Nacht war die schlimmste meines Lebens. Vor dem wohl schönsten Morgen - zugegeben.

      »Du hast viel Stress, nicht wahr?«

      »Es ist nicht der Stress, Matthi΄s. Es ist der Mangel an positivem Gegengewicht.«

      »Na siehst du. Du musst für mehr Erfreuliches sorgen.«

      Ich hatte gut reden. Warum begann ich, Galles nervtötende Predigten über das Leben plötzlich anderen Menschen vorzubeten … für mehr Erfreuliches sorgen ... so ein geschraubter Mist.

      »Was tust du denn zur Entspannung?«, wollte sie wissen.

      Da war sie, die Last der Wahrheit, oder der Ehrlichkeit, wie sie Conny erst am Vormittag an mir kritisiert hatte. Kann man immer ehrlich sein? Jetzt konnte ich es nicht – noch nicht. Würde ich Laila je sagen können, wie sehr mich Sex entspannte. Der Schneid meines hengstischen Daseins schlummerte in Lailas Nähe wie gelähmt unter dem Deckmantel des braven Liebhabers.

      »Nichts Besonderes«, log ich, konnte aber nicht an mich halten, eine Zweideutigkeit nachzusetzen, die Laila in ihrer edlen und reinen Natur niemals verstehen würde. »Einfach die Batterien aufladen, egal womit. «

      »Ich nehme ein duftendes Bad und stelle mir vor, auf einer blühenden Wiese zu liegen.«

      »Warum legst du dich nicht gleich auf die Wiese?«, fragte ich wie nebenbei, hatte aber gegen das entsetzliche Gefühl anzukämpfen, sie packen zu müssen und ins Gras zu drücken, um zu tun, was ich immer tat.

      »Dort liegt vielleicht gerade Schnee, oder es regnet …«, lachte sie.

      »Also träumst du. Tagträume?« Sie träumt also wie ich auch, nur weniger sexistisch.

      »Die einzige Freiheit, über die wir verfügen, sitzt in unserem Kopf, Matthi΄s. Ich stelle mir wenigstens die Welt vor, in der ich leben möchte. In der wirklichen Welt kann man schnell verzweifeln …«

      Sie machte eine Pause und sah mich an, als würde sie sagen, beschütze mich, ich bin zu schwach, um gegen die Hässlichkeit dieser Welt zu kämpfen.