Sonnenstrahlen fielen schräg durch eine zur Hälfte herabgelassene Jalousie und tauchten den rechten Teil des Raumes in warmes Licht. Was sich hinter der Sichtbarriere aus Pflanzen befand, die den linken Teil des Raumes abgrenzte, wusste ich nicht. Die klare Ordnung, in der Laila sich eingerichtet hatte, atmete Ruhe und Harmonie. Die Farben allein strahlten Lebensfreude auf mich zurück, die mich in Anbetracht des Zustandes, unter dem Laila sich befand, beinahe erschreckte. Im Grunde wusste ich damals bereits, warum ich so fühlte. Laila überließ nichts dem Zufall. Alles plante sie perfekt nach den Gesetzen der Natur, nach deren Sinn zu forschen ich zu dieser Zeit für faulen Zauber gehalten hätte.
Ich betrachtete sie lange, trotzdem wusste ich nicht, ob ihre der realen Welt entrückte Anmut mich so maßlos quälte oder ob ich wütend war. Liebesqualen gehörten nicht in mein Leben, nicht einmal im Entferntesten. Ich kannte diese Art Frau nicht. Noch nicht.
Warum hatte ich bisher nur mit der anderen Charge Frau zu tun? Waren das wirklich Klasse-Frauen, nur weil sie sich nicht zickig hatten? Was war ich nur für ein Hurensohn – Verzeihung Mama – was war ich nur für ein Hurenbock. Ich wässerte die Pflänzchen vieler Mütter, ohne je eine Schwiegermutter zu wollen.
So erkenntnisstark und hilflos zugleich saß ich da und fürchtete, die knackenden Knöchel meiner Hände würden sich gegenseitig zum Bersten bringen.
Laila war indes von der Couch auf den Teppich gerutscht, lehnte ihren Rücken an die Sitzfläche und schlang die Arme um ihre angewinkelten Knie. Sie ließ ihren Körper nach vorn und hinten wippen, entrückt von dieser Welt begann sie zu summen, wieder die gleiche Melodie: Es waren zwei Königskinder …
Unendlich lange, hilflos aber traurig sah ich ihr zu, bis ihre langsam versagende Stimme stockend der Müdigkeit nachgab.
Die Sonne schickte sich an, hinter den Dächern der Häuser zu verschwinden. Ein prächtiges Abendrot tauchte die östliche Wand von Lailas Zimmer in ein scheinbares Flammenmehr und mir war, als müsse ich sie vor dem Feuertod retten. Ich hob sie auf und bettete sie behutsam auf die Liegefläche. Noch ehe ihr Körper sich ausstreckte, umarmte sie mich, ohne es selbst zu spüren, vielleicht nicht einmal zu wollen. Doch sie flüsterte etwas, das sich wie »liebster Matthi΄s« anhörte. Jedenfalls rührte es mich, und ich rührte mich keinen Schritt von ihrem Lager.
Mal kniend, mal hockend verbrachte ich die Nacht. Von Zeit zu Zeit streckte ich mich vor ihr auf dem Teppich aus. Steifgefrorene Glieder und die ständige Angst, Laila könnte etwas geschehen, besiegten meine Müdigkeit. In völliger Dunkelheit tastete ich nach ihrem Körper, der noch immer in der weißen Jeans steckte. Sie hatte die leichte Decke bis an ihr Kinn gezogen und schlief fest und ruhig.
Sobald der Morgen das erste Licht aus den Wolken entließ, betrachtete ich ihr schönes Gesicht und konnte mich nicht losreißen. Ihre Lippen zuckten im Traum. Es konnte kein böser Traum gewesen sein, es war kein klägliches Zucken, es war ein Lächeln.
Irgendwann öffnete sie ihre Augen – und lächelte immer noch. Sie schaute mich an, ohne Furcht, ohne Misstrauen.
»Matthi΄s«, hauchte sie, klopfte mit der Hand neben sich auf das Lager, rückte ein wenig zur Seite und streckte ihre Arme nach mir aus. Ich ließ mich neben ihr nieder, nahm ihren warmen Körper in meine Arme und drückte ihren Kopf an meine Brust. Weich und entspannt reckte sie ihr Gesicht meinem entgegen, küsste flüchtig und verschlafen mein Kinn und murmelte etwas, das ich wieder nicht verstand. Eng umschlungen schlief sie wieder ein, und ich später auch – bis Lizzy im Flur unflätig mit der Tür knallte. Mittag war bereits vorbei. Es war die erste Nacht, die ich mit einer Frau geschlafen hatte, ohne mit ihr zu schlafen … Nun ja, aller Anstand ist schwer.
Es war Laila, die zu kichern begann. Beim Erwachen hatten wir uns geküsst – erst innig, um den Schlaf zu vertreiben, dann immer stürmischer. Wir wälzten uns dabei auf der Lagerstätte herum, wie andere Paare am «Ballermann Sechs».
»Du bist ein Kratzbär«, wiederholte sie die Worte, die ich nicht verstanden hatte. Laila schien fröhlich, als wäre nichts geschehen. »Und dein Haar ist viel zu lang. «
Ihre Hände zupften an mir herum, schoben mein Haar aus der Stirn, wuschelten es durcheinander, um es wieder bis zu den Augen herunter zu streichen, als müssten sie meinen lüsternen Blick verhindern.
»Ach, könnten wir doch noch einen so schönen Tag haben«, flüsterte sie mir zärtlich ins Ohr. Ich bemühte mich, meine Verwunderung tief in mir zu verbergen und heuchelte: »War er denn so schön? «
»Oh ja, Matthi΄s. Sehr schön.«
»Und warum können wir nicht?«
»Ich habe Dienst.«
»Doch nicht am Wochenende.«
Sie strich mit einer raschen Geste über mein Gesicht und lachte.
»Gehst du nur wochentags ins Kino?«
Fröhlich sprang sie auf, glättete ihre Kleidung und lächelte eigenartig. Ich konnte nicht erkennen, ob es verschämt aussah oder unverschämt. Doch sie lächelte und nichts erinnerte daran, wie krank sie war. War sie krank? Oder nur gekränkt?
»Ich mach uns ein kräftiges Frühstück«, raunte sie, und es schien, als folge noch eine Überraschung. Die fiel anders aus als erwartet.
»Derweil gehst du dich rasieren.«
»Ich habe nichts dabei«, protestierte ich.
»Im Badezimmer steht mein Lady-Shave und Rasiercreme …«
Sie hob schelmisch grinsend den Arm und streckte ihn solange kerzengerade in Richtung Zimmertür aus, bis ich mich in Bewegung setzte. Im Vorbeigehen riss ich die steile Hand an den Kopf, knallte die Hacken zusammen und salutierte: »Zu Befehl, Frau Feldwebel! «
Versonnen stand ich vor dem Spiegel im Badezimmer, das nur wenig von der Ordnung in Lailas Zimmer spüren ließ. Überall begegnete mir Lizzy. Sogar die Wäsche auf der Leine konnte ich eindeutig zuordnen. Ich hasste mich mal wieder und wusste zugleich, wie sehr ich jeden Augenblick mit Laila liebte, jeden normalen zumindest. Wie ein Kind aber fürchtete ich mich vor jenen Ausbrüchen, an die sich Laila nicht mehr zu erinnern schien. Ich hoffte so sehr, es möge nicht stimmen, was ich heimlich zu vermuten begann: Ist sie gerissen? Spielt sie mir etwas vor?
Alles in mir war sofort bereit, dieses Spiel mitzuspielen, wenn es nur darin gipfeln würde, Laila ganz für mich zu haben. Sie lehrte mich wie keine andere Frau zuvor, scheitern zu können, ohne verzweifelt zu sein, den Teufel zu sehen und an den Himmel zu glauben.
»Der Kaffee wird kalt«, rief sie vom Flur her und tippte vorsichtig gegen das Holz der Tür. Ich musste mich sputen, hatte aber keine Ahnung, wie die Frauen mit dieser ekligen Creme ihre Haare von den Beinen bekamen und von dem sündigen Garten dazwischen. Eines aber merkte ich ganz alleine. Die Stellen an meinem Kinn, wo es bereits funktioniert hatte, waren seidenweich und glatt.
Laila hatte in ihrem Zimmer einen Tisch gedeckt, der mir vorher nicht aufgefallen war. Ein Hubtisch offenbar. An einem so liebevoll gedeckten Tisch hatte ich seit meinem Ausriss von zu Hause nie wieder gesessen. Strahlend empfing sie mich, legte ihre Arme um meinen Hals, küsste mich zärtlich, rubbelte dabei ein wenig an meinem Kinn und sagte:
»Heut ist es besser. « Ihr Unterton ließ keinen Zweifel daran, dass sie etwas an mir störte.
»So schlimm ist mein Bart?«
»Nicht dein Bart, dein Aftershave.«
»Mein Aftershave? Es riecht doch nicht schlecht.« Jetzt war ich doch einigermaßen baff. Es gab keine Frau, die den Duft meines Aftershave noch nicht gelobt hatte, doch konnte ich Laila das sagen?
»Ich habe keins benutzt«, verteidigte ich mich.
»Deshalb geht es ja auch, aber sonst ... Es ist das Gitter. Das ist grundhässlich.«
»Welches Gitter?« Schon fürchtete ich, mit meiner Frage wieder eine Katastrophe auszulösen und griff mit gleichgültiger Miene nach der Konfitüre, die Laila in winzigen Schälchen nach dem Farbenkreis von hell bis dunkel sortiert um mein Gedeck angeordnet hatte.