Walter K. Ludwig

Die Wandlitz-Papiere


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am Leben zu lassen.

      * * *

      „Ein was?“

      „Ein Profikiller.“

      „Ich dachte, so was gibt’s nur im Film.“

      „Leider nicht. Das gibt’s auch im richtigen Leben.“

      „Hier bei mir?“

      „Sieht ganz danach aus.“

      Angelika Maiwald ließ ein gequältes Lachen hören.

       „Und warum?

      „Wir hatten gehofft, dass Sie uns das sagen können.“

      „Keine Ahnung.“

      Der Besuch der Kripoleute fiel noch unangenehmer aus, als Angelika Maiwald befürchtet hatte. Vor allem machte er sie vollkommen ratlos. Wer um Himmels Willen sollte einen Profikiller auf sie ansetzten und warum? Sie hatte nicht den Hauch einer Ahnung, nicht die geringste Vorstellung. Sie suchte nach einer Erklärung.

      „Vielleicht eine Verwechslung.“

      „Unwahrscheinlich. Profikiller sind gewissenhaft und zuverlässig. Einem Mann, wie dem, der auf Sie angesetzt war, würde niemals ein solcher Fehler unterlaufen.“

      Wieder war es Holzinger, der redete. Sein Kollege saß schweigend daneben.

      „Im Stockwerk über mir wohnt eine Pelzhändlerin. Vielleicht militante Tierschützer ...“

       Ein letzter, hilfloser Versuch. Holzinger schüttelte mitleidig den Kopf.

      „Auf jeden Fall bekommen Sie Polizeischutz.“

      „Was?“

      „Polizeischutz. Rund um die Uhr. Es stehen bereits zwei uniformierte Beamte vor Ihrer Wohnungstür. Und vor dem Haus steht ein Streifenwagen. Und wenn Sie einverstanden sind, wird sich eine Beamtin bei Ihnen in der Wohnung einquartieren.“

      „Auf keinen Fall!“

      „Seien Sie bitte vernünftig! Es ist zu Ihrem Besten.“

      Angelika Maiwald schüttelte den Kopf. Eine fremde Frau in ihren Wohnung? Keinesfalls!

      „Das wäre ja bloß zu ihrer Sicherheit.“

      Nein.

      Noch einmal redete Holzinger ihr ins Gewissen. Sie solle doch bitte ernsthaft darüber nachdenken, was der Hintergrund des Anschlages sein könnte. Ob sie vielleicht mit jemandem Streit gehabt habe?

      Niemals.

      Ob sie möglicherweise Schulden habe?

      Fehlanzeige.

       Ein ehemaliger Liebhaber?

      Lächerlich.

      Ein verschmähter Verehrer?

      Völlig absurd.

      Vielleicht habe sie etwas gesehen, irgendeine Beobachtung gemacht, etwas, das nicht für ihre Augen bestimmt war? Nichts.

      Irgendein außergewöhnliches Ereignis in ihrem Leben? Etwas, das aus dem Rahmen fiel und sei es auch nur ein bisschen. Vielleicht etwas, dem sie selber gar keine große Bedeutung beimaß. Das jetzt aber, im Zuge der jüngsten Ereignisse, möglicherweise in einem völlig neuen Licht zu sehen sei. Dann möge sie das doch bitte kundtun. Jeder Hinweis könne wichtig sein. Wirklich jeder. Bitte.

       Angelika Maiwald zuckte mit den Schultern. Was sollte im Leben einer Bibliothekarin schon Außergewöhnliches passieren? Einem Leben zwischen Bücherregalen, Katalogisieren und Kundenkartei. Zwischen Leihgebühren und Benutzungsordnung. Noch dazu in der Kinderbuchabteilung.

      Obwohl: Da war in der letzten Zeit tatsächlich etwas gewesen … Etwas, womit sie niemals gerechnet hatte. Aber das in Zusammenhang mit dem Mordanschlag zu sehen, schien ihr so absurd, dass sie es lieber für sich behielt.

      „Noch Kaffee?“, fragte sie.

       * * *

      „So geht das aber nicht.“

      Dubajew war mit seiner Eskorte in der Toilette angekommen. Jetzt deutete er mit dem Kopf Richtung Hosenschlitz und machte mit seinen auf den Rücken gefesselten Händen eine hilflose Bewegung.

      „Also, entweder einer von euch holt ihn raus, oder ...“.

      Wieder eine Bewegung mit den Händen. Die beiden Beamten blickten einander an. Wieder verstanden sie sich ohne Worte und entschieden sich für die zweite Möglichkeit. Einer der beiden steckte seine Waffe zurück in das Holster, zückte seinen Schlüssel und löste Dubajews Handfesseln. Sein Kollege nahm derweil mit seiner Waffe Dubajew ins Visier. Wieder fühlte sich Dubajew sehr geschmeichelt. Freundlich und dankbar lächelte er beiden zu. Erleichtert rieb er sich die Handgelenke.

      Dann schlug er mit einer blitzschnellen Bewegung dem einen Beamten die Waffe aus der Hand, rammte dem anderen fast gleichzeitig seinen Ellbogen in die Magengrube. Dann war er schon wieder bei dessen Kollegen, schlug ihm mit beiden Handkanten gleichzeitig auf den Hals, anschließend mit der Faust auf den Hinterkopf. Bewusstlos sackte der Polizist zusammen. Er hatte den Boden noch nicht ganz erreicht, da kümmerte sich Dubajew schon wieder um den anderen und versetzte ihn mit einem Handkantenschlag ins Genick in den Tiefschlaf. Mit einem tiefen Seufzer ging er zu Boden.

       Die ganze Aktion hatte fünf Sekunden gedauert. Hoffentlich hab´ich nicht zu fest zugeschlagen, dachte Dubajew. Die beiden sind echt in Ordnung. Er nahm den Schlüssel, löste die Fusfesseln. Nahm den Beamten Waffen und Reservemagazine ab. Verstaute die Waffen in seinem Hosenbund, die Magazine in seinen Hosentaschen. Schleifte die reglosen Beamten in eine Kabine. Dann trat er vor die Toilettentür. Ging hinaus auf den Gang. Alles ruhig. Er hatte vielleicht, zwei, drei Minuten Zeit. So lange würde es höchstens dauern, bis Alarm ausgelöst wurde. Höchstens. Bis dahin musste er das Gebäude verlassen haben. Zügig aber ohne Hast machte er sich auf den Weg. Ein junger Beamter kam ihm entgegen, steuerte die Toilette an.

      Verflucht! Dubajew beschleunigte seine Schritte. Er erreichte das Treppenhaus, erreichte den Ausgang. Alles blieb ruhig. Noch. Er verließ das Polizeipräsidium. Jetzt hatten sie die beiden bewusstlosen Kollegen bestimmt gefunden. Ein paar Sekunden noch, und keine Mücke würde das Gebäude mehr unkontrolliert verlassen können. Dubajew rannte jetzt, lief über den Parkplatz. Er hatte die Straße erreicht, als ein Streifenwagen mit quietschenden Reifen direkt vor ihm hielt. Dubajew tastete nach den beiden Waffen in seinem Hosenbund – da gab ihm der Polizist am Steuer ein Zeichen. Dubajew verstand. Man konnte sich wirklich auf sie verlassen. Er nahm auf dem Rücksitz Platz, legte sich hin, um von draußen nicht gesehen zu werden. Mit Martinshorn und Blaulicht raste der Wagen davon. Nach etwa einer halben Stunde war das Ziel erreicht.

       Eine ruhige Gegend irgendwo am Stadtrand. Dubajew hatte keine Ahnung, wo er war. Der Polizist ließ ihn aussteigen und fuhr gleich wieder davon. Während der ganzen Fahrt hatte er kein Wort gesagt.

      Ein schwarzer Kleintransporter wartete auf Dubajew. Er ging auf ihn zu. Vorne saßen zwei, die er kannte. Die Schiebetür des Transporters wurde geöffnet. Da stand einer, den Dubajew nicht kannte. In der Hand hielt er eine Sieg Sauer-Pistole, Kaliber neun Millimeter. Schönes Ding, dachte Dubajew, gute Waffe, zuverlässig. Obwohl er persönlich ja Revolver bevorzugte. Die hatten keine Ladehemmung. Dafür konnte man Pistolen schneller nachladen. Die Vorlieben und Meinungen in Fachkreisen waren, was diese Frage betraf, durchaus unterschiedlich. War wohl eine Frage des Temperamentes. Dubajew musste an seine Mutter denken. Sie hätte gerne gehabt, dass er eine Banklehre machte. Doch das war ihm ein zu unanständiges Gewerbe.

      Ferner hätte sie gerne gesehen, wenn er geheiratet und eine Familie gegründet hätte. Wie alle Mütter. Darüber hätte man noch reden können, er war ja noch jung. Dazu hätte sich bestimmt noch eine Gelegenheit ergeben, früher oder später, dachte Dubajew. Daraus würde nun nichts mehr werden. Sein Leben war vorbei. Schade eigentlich. Vielleicht wäre eine Banklehre doch nicht so schlecht gewesen.

      Das war der letzte Gedanke, der Dubajews Hirn durchzuckte, bevor es seinen zerplatzenden Schädel verließ und an den hinter ihm stehenden Baum klatschte.