meine Hand.
Rasch wische ich es mit meinem Schlafsack auf und hoffe, dass mein Sperma geruchlos in der Hitze trocknet. Dann genieße ich die Mattigkeit. Als ich wieder aus dem Zelt krieche, ist Katja verschwunden. In der Ferne rauscht die Brandung. Die Zikaden scharren mit den Beinen. Benommen kehre ich zurück zu unserem Lagerplatz.
Katja liegt auf ihrem Handtuch, als sei nichts geschehen. Ich lächele stumm und greife nach meinem Buch. Mein Kopf ist klarer, der Druck ist vorerst weg. Nur Katjas Beine und ihre Titten gehen mir auf einmal nicht aus dem Sinn. Oder sind es die Titten der Haselnussbraunen?
Kalt. Ich schrecke hoch.
Frank steht in der Sonne, lacht, zieht die Hand mit der Wasserflasche zurück. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Das Wasser hinterlässt Flecken auf meinem Handtuch. Besser Wasser als Sperma.
»Ihr seid ja fies«, ruft Katja. Fabian und Maike lachten, Gregor grinst hämisch. Ich finde seinen Arm mit dem langsam vergilbenden Verband auf einmal unfassbar arrogant. Wieso kommt er mit dem Gipsarm auf Interrailtour, wenn er nichts selber tragen kann? Der Gips wird zu einem Ausdruck seiner Überheblichkeit, statt zu einem Zeichen seiner Verwundbarkeit.
4.
Den Rest des Tages verbringen wir in den Dünen. Maike versucht, ihrem blassen Teint etwas Farbe zu geben, doch sie wird nicht braun. Fabian und Frank beklagen sich über das warme Bier, dass auch in einer Plastiktüte im Wasser nicht kalt werden will. Nur Gregor scheut den Sand, weil er Angst hat, er dringt in seinen Gipsarm ein. Zudem ist er gegen Sonne allergisch und außerdem mault er, wir seien langweilig, Strand könne man überall haben, die Kultur der Großstädte sei viel interessanter.
Also hockt er im Zelt, versucht uns beim Lesen eines Buches klar zu machen, dass ihn das nicht befriedigt und will wissen, wann wir die Zelte abbauen und nach Madrid fahren. Anders gesagt geht er uns tierisch auf die Nerven.
Ich wäre auch ohne ihn gefahren.
Gegen Abend hocken wir uns in die Düne. Das Bier ist noch immer warm, aber das macht nichts. Frank hat wieder einen Joint dabei.
»Willst du immer noch nach den Ferien von der Schule abgehen?«, fragt Maike unvermittelt, und ich spüre ebenso plötzlich diese Dankbarkeit. Sie zeigt Interesse an mir. Niemand sonst zeigt dieses Interesse. Ich bin jedem anderen egal.
»Klar«, sage ich. Der Gedanke, von der Schule abzugehen ist doch mehr als ein Kokettieren mit der Möglichkeit. Die Kommune meines Vaters ist doch eine tolle Alternative, oder nicht? Ich habe nur die Schnauze voll von der Schule. Wenn ich doch nur wüsste, warum. Fabian sieht es eher pragmatisch.
»Mich kotzt die Schule doch auch an.«
»Dann geh doch auch ab.«
»Um dann was zu machen? Lavendel pflücken in Südfrankreich?«
Das Laken auf meinem Bett ist dreckig. Was willst du machen? Schwarze Krümel am Fußende. Was willst du machen? Stammen die von meinen Füßen? Was willst du machen? Ich dusche doch jeden Morgen. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.
»Warum nicht? Ja, Lavendel pflücken, eine Französin heiraten und ein einfaches Leben führen, ohne Entscheidungen treffen zu müssen.«
»Das ist doch totaler Quatsch«, sagt Gregor. Na toll. Hat er eine Antwort? Weiß er was, was ich nicht weiß?
Jetzt merke ich wieder, dass ich mir selbst im Weg stehe, unfähig zu erkennen, was mein Problem ist, sofern es überhaupt eins gibt. Ich schwimme in dieser Welt und weiß nicht, was ich hier soll. Meine eigene Unzulänglichkeit ist mir unendlich peinlich.
»Was soll ich denn sonst machen? Professioneller Filmegucker werden? Ich kann doch nichts. Ich kann gar nichts.« Und das Dumme ist, dass sich es ernst meine und zugleich hoffe, mir würde jemand widersprechen.
Die Wunde auf meinem Handrücken ist angetrocknet. Der erste Schorf bildet sich. Ich pule meine Finger blutig, reiße mir die Haut in Fetzen. Irgendwann müssen die Finger doch perfekt sein, rein und ohne Fussel, ohne Makel.
Ich träume manchmal davon, wie ich meine Finger in eine Maschine stecke und nach einem schmerzhaften Moment wieder herausziehe, und dann sind die Nägel glatt und schön und ohne Fussel.
»Warum studierst du nichts?«
»Was soll ich denn studieren?«
»Geh doch an die Filmhochschule.«
»Ach, die nehmen mich doch sowieso nicht. Ich kann doch nix, ich kann doch nur Filmegucken, ich bin doch total unkreativ.«
Ich möchte erzählen, wie verzweifelt ich bin und finde keinen klaren Gedanken.
»Na und? Ich kann auch nichts, aber ich rede nicht so einen Müll wie du.«
Meine Verzweiflung steigt. Ich soll mich um Katja kümmern, das kann ich nicht und will es auch nicht. Die dumme Nuss ist überhaupt nicht mein Typ. Ich will nach Südfrankreich, ich will einfach nur weg.
»Es ist nicht die Schule. Ich weiß nicht, was es ist. Ich find mich einfach nur Scheiße.« Dabei denke nicht immer nur darüber nach, wie wenig wert ich bin. Aber ich kann es nicht auf den Punkt bringen. Ich will doch nur provozieren und eine Reaktion erhalten. Redet es mir aus, oder ich weiß, dass es stimmt und ich wirklich nichts wert bin, nichts kann, nichts weiß. Wo ist mein Platz in dieser Welt? Nicht einmal heulen kann ich. Mein Gott, bin ich alleine.
»Das stimmt doch gar nicht«, sagt Maike. Fabian schaut verächtlich auf sein Bier.
»Daniel will doch nur auf sich aufmerksam machen«, sagt er. Das tut weh. Nur weil er nicht alleine ist. Der hat doch überhaupt keine Ahnung, wie es in mir aussieht. Das ist Oberflächenkratzen wie Pausenlächeln und die Klausurergebnisfrage.
»Arschloch«, entfährt es mir. Von ihm habe ich mir mehr Solidarität erwartet. Soll ich ihn daran erinnern, wie wir uns jammernd in den Armen gelegen und Friends will be Friends gesungen haben?
»Selber Arsch. Dann geh doch ab.«
»Mach ich auch, Pisser.«
Frank mischt sich ein. »He Jungs, locker bleiben.«
Maike sucht meinen Blick, Fabian lehnt sich auf seinem Bett zurück. Friends will be Friends am Arsch. Jeder ist sich selbst der Nächste. Katja hingegen zeigt ihr Gespür für unfreiwillige Situationskomik.
»Mir ist das zu hoch«, sagt sie und legt wieder eine Hand auf Gregors Bein. Dumme Nuss. Ich starre vor mich hin und weiß nicht weiter. Ich will Aufmerksamkeit und ich will Antworten. Ich will, dass man mir nachläuft, wenn ich schmollend und ohne Ahnung, was mir fehlt, aus dem Zimmer renne. Dabei kommt mir kein Problem in den Sinn, das es wert gewesen ist, wegzulaufen. Dieses diffuse Gefühl, dass etwas in meinem Leben nicht stimmt und nicht herauszufinden, was es ist, macht mich wahnsinnig.
Fabian bekommt einen verbalen Nackenschlag von Maike, ich bleibe allein auf meinem Handtuch sitzen, Frank bietet mir noch ein Bier an und am Ende spielt das alles doch keine Rolle.
Ihr kotzt mich alle an, will ich sagen und ich kann es nicht. Ich kann gar nichts sagen. Ich kann nicht einmal ficken sagen, Arschficken, ich kann nicht sagen, dass ich mir jetzt und hier einen runterholen will, weil mich das glücklich machen würde. Ich stehe auf und renne in die Waschräume, wichse und spritze in die Kloschüssel.
Die Wolken, orange im Sonnenuntergang, sehen aus wie ein Fluss in einem Tal. Maike weiß, wovon ich redete.
»Du spinnst«, sagt Fabian nur. Wer von beiden ist mir näher? Keiner. Niemand. Ich bin allein. Mich kann ohnehin niemand verstehen. Und es macht auch nichts, dass mich niemand versteht. Selbstmitleid packt mich in Watte. Ich starre hinaus auf das Meer. Wie sähe es aus, wenn ich Anlauf nähme und spränge? Mit ausgebreiteten Armen, wie ein Fallschirmspringer, hinunter in das Tal, bis ich durch die harte Oberfläche des Flusses schlüge?
Als Katja schon wieder Gregor hinterher läuft, stupst mich Maike mit dem Ellenbogen an. »Warum kümmerst du dich nicht um Katja? Befrei sie aus ihrem Käfig. Mit Gregor wird sie doch nie glücklich.«