Zimmer wurden in unserer Abwesenheit anscheinend nicht einmal von den Putzfrauen angesehen. Reinigung ist wohl im Preis nicht inklusive. Wenigstens raucht Frank hier nicht. Aus dem Ghettoblaster dröhnt New Model Army. Schnell bin ich betrunken, und der Rausch kribbelt in meinem Kopf. Worüber wollen wir reden? Über Jim Morrison. Über den Louvre. Über uns.
Maike fängt mit dem Spielchen an: »Wie seht ihr mich?«, fragt sie.
Ich könnte Meg Ryan sagen, aber ich sage nichts. Ich könnte die Speckröllchen erwähnen, doch ich schweige.
»Hör doch auf«, sagt Fabian, und Maike sagt, was ich fürchte, was ich hören will, was so unglaublich schwierig zu beantworten ist.
»Und wie seht ihr Daniel?«
Mich? Wer bin ich? Einer der hohlsten Menschen der Welt. Wie oft soll ich das noch denken?
»Ich kann nichts, ich bin nichts. Kein Wunder, wenn mich niemand mag.«
Maike reagiert, wie ich es mir gewünscht habe. »Dich mögen mehr als Boris Becker, also, im Verhältnis zu denen, die dich kennen.«
Wie kommt sie denn auf Boris Becker? Außerdem ist das Quatsch.
»Nein, wer soll mich mögen«, frage ich. Ich habe keine Freundin, und mein bester Freund hat kein Verständnis dafür. Er verachtet mich.
»Judith hat dich gemocht.«
»Ach«, blaffe ich. So ein Quatsch. Aus Mitleid hat sie mich angesprochen. Deshalb ist es ihr auch so leicht gefallen, sich von mir zu trennen. Sie hat ja nicht einmal widersprochen. Sie hat doch gesagt, ich sei nicht fähig, mit Frauen umzugehen.
»Du bist doch auch ein Idiot«, blafft Fabian. »Ständig jammerst du, du hättest keine Freundin, und dann machst du Schluss und jammerst wieder.«
Wieso versteht er mich nicht? Auf einmal weiß er nicht, wie ich mich fühle, dabei haben wir uns doch sonst immer verstanden. Judith ist nicht perfekt, sie ist zu dick, zu harmlos, zu tief, zu blond. Fabian müsste das doch wissen.
»Sie hätte gerne mit dir geschlafen. Sie hat dich wirklich gern gehabt.«
»Hat sie dir das nicht erzählt? Wir haben. Einmal. In der Nacht, bevor ich Schluss gemacht habe. Da hat sie bei mir übernachtet, weil es so geregnet hat.«
»An den Abend kann ich mich erinnern. Sie hat total empört bei mir angerufen und mir erzählt, wie du sie rausgeschmissen hast. Die war total fertig.«
»Und du glaubst, das hätte ich gemacht?«
»Warum sollte sie mir das erzählen?«
»Weil ihr das peinlich gewesen wäre?«
»Nein, ihr nicht.«
Kein Sex mit Judith? Dafür ist die Erinnerung zu klar. Ich habe mit ihr gefickt, ganz sicher. An dem Abend, bevor sie mit mir Schluss machte. Ich sehe noch die Szene genau vor mir. Warum hat sie Maike das nicht erzählt? Damit sie nicht für ein Senfglas gehalten wird, in das jeder sein Würstchen steckt?
Oder weil es ihr peinlich ist, mit einem Idioten wie mir zu schlafen?
Vermutlich ist es das. Sie steht nicht mehr dazu, und es ist okay.
Mitleid. Sie hat aus Mitleid mit mir geschlafen.
Stell dir vor, dass du aus diesem Urlaub nicht zurückkommst, dass du die Gruppe verlässt und dich nie wieder meldest. Verlassen. Klingt perfekt. Ich kann mir das gut vorstellen.
Ich greife nach meinem Buch. Stephen Kings letztes Gefecht. Wer kämpft da gegen wen? Der Mülleimermann wird mit dem Revolver gefickt. Vom Kid.
3.
Wir wechseln am Morgen wie vorgesehen das Hotel, das nur eine Querstraße entfernt liegt. Auch hier ist der Service nicht besser. Unsere Zimmer liegen nicht einmal auf der gleichen Etage. Statt eines richtigen dritten Bettes bleibt mir nur eine Couch am Fenster. Kein Problem. Ich schlafe auch auf dem Boden. Rucksäcke ins Zimmer und ab in die Katakomben.
Wir betreten ausgelatschte Pfade. Kein Schritt, der nicht schon einmal von anderen gemacht wurde, kein Blick auf ein nie gesehenes Objekt. Nur wir sind neu, unberührt und unbekannt. Sonst nichts.
Der Sommer hat uns wieder. Paris riecht jetzt nicht mehr nach Abgasen, sondern nach dem Gummi der Metro, nach Bäckereien, die wir auf dem Weg passierten. Kann man Totenschädel fotografieren, ohne sich schlecht dabei zu fühlen und vor allem, ohne sich dabei erwischen zu lassen? Wir können. Fabian und ich vor einem Haufen Schädel, stumpf stierend, im gleichen T-Shirt, mit der gleichen Sonnenbrille im Hemdkragen und dem gleichen schwarzen Bananenbeutel vor dem Bauch.
Im Dunkeln ist gut munkeln, müssen sich Katja und Gregor denken. Hinter jeder Ecke könnten sie stehen, sich anfassen, knutschen, fummeln. Irgendwann sehe ich sie, in einer dunklen Sackgasse, Gregor in Designershorts mit Polohemd, seine Hände unter ihrem ausgefransten T-Shirt, in ihrer engen, knielangen Hose, die nur ein Gummiband auf den Hüften hält, sehe Katja erschrecken und Gregor sie festhalten, mit beiden Händen in ihrer Hose und unter dem Hemd, im schummrigen Licht der Lampe über dem Notausgang, vor einer makabren Kulisse aus Totenschädeln. Bei der nächsten Gelegenheit sind sie verschwunden.
Ratlos stehen wir eine Weile in der Mittagshitze auf der Straße. Dumme Nuss, warum kommt sie nicht? Fahren wir eben nach Versailles ohne die beiden, die sich vielleicht schon schwitzend in den Betten wälzen. Doch dann treffen wir Gregor und Katja in der RER-Station wieder. In ihrem Schoß liegt sein Kopf. Ihre Finger spielten mit seinem Haar. Sie scheint glücklich,
Die Harmonie dauert nur eine Bahnfahrt. Im gleißenden Sonnenlicht eines frühen Pariser Nachmittags streckt sich unsere Gruppe unter Platanen über zweihundert Meter Straße.
Fabian und Maike voran, ausnahmsweise Hand in Hand, ohne Streit und ohne scharfe Worte. Ein paar Meter hinter Gregor zieht Katja ihren Pullover über das Gesicht.
»Weshalb heult sie?«, frage ich.
»Er hat einem Mädchen nachgeguckt«, sagt Frank und raucht wieder zu tief.
»Der spielt doch nur mit ihr«, flüstere ich, weil ich das Gefühl habe, Anteilnahme zeigen zu müssen. Dabei empfinde ich gar nichts bei dem Gedanken an Katja. Warum kapiert sie nicht, was hinter Gregors Verhalten steckte?
Vor uns taucht Versailles auf. Vor uns und Tausenden anderen Touristen. Sie wanken wie die Zombies in meinen Träumen aus am Straßenrand geparkten Bussen, laufen tumb über die riesigen Parkplätze, wie ferngesteuert hoch erhobenen Wanderstäben mit bunten Wimpeln folgend. Japaner, Amerikaner, Europäer und wir.
»Natürlich tut er das.«
»Er ist aber auch ein Arsch.«
Frank wirft seine Zigarette in den Rinnstein. Über dem Schloss wölbt sich ein azurblauer Himmel. Die untoten Touristen ächzen und stöhnen sich dem Eingang entgegen.
»Sie macht es ihm aber auch zu leicht.«
»Na, ich bin gespannt, wie es weiter geht.«
»Lenk sie doch ab.«
»Bin ich katholisch? Außerdem passen wir gar nicht zusammen.«
Woher nimmt Frank nur diese Idee? Was für eine Vorstellung: Katja und ich ein Paar. So ein Quatsch.
Was von Versailles bleibt: Der Spiegelsaal und der Versuch, sich die Krönung Wilhelms I. zum Kaiser vorzustellen. Das Datum 18. Januar 1871. Marie Antoinette und die Revolution. Die Gärten. Die Kanäle. Prunk. Gregor findet den Protz verachtenswert, Frank stößt ins gleiche Horn. Unsere Revoluzzer auf der Suche nach einer Welt ohne Kapital kaufen nach dem Besuch im Supermarkt um die Ecke ihren Zehnerträger Bier, und ich freue mich erneut, dass ich vom Kronenbourg keine Kopfschmerzen bekomme.
»Natürlich gewinnen wir«, sagt Frank und legt so viel Begeisterung für unsere Nationalmannschaft an den Tag, dass ich an seiner anarchistischen Einstellung zweifele.
»Die Dänen sind zu gut«, sage ich, dabei habe ich keine Ahnung. Was geht mich Fußball an? Ich will nach