Sara Jacob

Kümmer dich ums Kätzchen


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sieht zu ihm herauf wie ein Dackel.

      »Wenn ich schwanger wäre, würdest du mich heiraten, oder?«

      »Warum machst du das?«, fragt er. »Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, dass Schluss ist?«

      Sie steht auf, zieht sich die Hose hoch und geht auf ihn zu, hebt die Hand. Er weicht zurück. Eine merkwürdige Mischung aus Trauer und Triumph spielt um ihre Mundwinkel. Ihre Finger nähern sich ihrem Gesicht.

      »Weil ich dich liebe«, sagt sie leise. Ihre Augen sind voller Angst. dann berührt sie ihn. Er zuckt zusammen.

      »Es geht nicht gut mit uns beiden, das weißt du, oder?«, sagt er. Sie schüttelt den Kopf. Dann wirft sie sich an ihn, presst ihn wie eine Puppe in ihre Arme. Sie verschwindet beinahe hinter seinem breiten Rücken, nur ihr Kopf ragt über seine Schulter, ihre Augen traurig und voller Hoffnung. In meine Richtung. Und dann treffen sich unsere Blicke.

      Ihre Augen wach und groß. Ihr Mund geöffnet in sprachloser Überraschung. Ich erschrecke. Tief presse ich mich in den Schatten der Hecke. Blätter rascheln. Zuletzt sehe ich, wie sie in einer hilflosen, bittenden Geste einen Finger auf den Mund legt.

      Leise verlasse ich meine Deckung, haste verwirrt durch den Park zurück zur Straße, überquerte sie, renne atemlos durch den gelben Nebel der Straßenlaternen. Der beleuchtete Eingang der Jugendherberge wirkt wie ein Leuchtturm am Horizont.

      Fühlst du etwas, spürst du Mitleid, kannst du Katjas Sehnsucht nachvollziehen? Nein, du kannst es nicht, du weißt nur, dass du es können müsstest.

      Sie liebt ihn und er will sie nicht. Sie liebt ihn so sehr, dass sie mit ihm schläft und du, du findest es nur geil, holst dir beim Anblick einen runter.

      Wie in den Pornos.

      Warum fühlst du nichts? Warum kannst du sie nur als Lustobjekt sehen? Bist du normal? Bist du krank? Der runde Hintern, die langen Beine, die großen Titten. Wie in einem Porno. Orgasmus = Glück.

       3.

      Fabian und Frank liegen in unserem Zimmer auf den Betten und lesen.

      »Wo hast du gesteckt?«, fragt Fabian.

      Du hast zugesehen. Und dir einen runtergeholt, weil es dir gefallen hat. Aber du hast nichts verstanden.

      »Spazieren.«

      Und als ich später die Augen schließe, sehe ich Katja, den Finger auf den Lippen, ihren Po und verstehe nicht, warum sie das gemacht hat. Lange liege ich wach in dieser Nacht. Dann dringen plötzlich vermummte Gestalten in unser Zimmer, packen mich, legen mir Fesseln um die Handgelenke und schleppen mich in den Flur.

      Ich versuche zu schreien, doch ich bekomme keinen Ton heraus. Die Angst lähmt mich wie eine Giftspritze. Die Gestalten tragen mich die Treppe hinunter. Meinen Mund verschließt ein breites Stück Klebeband.

      »Du hast deinen Rucksack vergessen«, sagt mein Vater und reicht mir einen Turnbeutel. Danke, Papa, dass du dir die Mühe gemacht hast.

      Die Straße vor der Herberge ist leer, die Luft lauwarm, das gelbe Licht der Laternen weich. Als mich die Gestalten fallen lassen, stürze ich weich in duftenden Rasen. Meine Angst ist verschwunden. Hände auf mir. Meinen Schrei verhindert eine Hand auf meinen Lippen. Weich und warm. Kichern und Lachen, und auf einmal ziehen mich viele Hände aus. Ich wehre mich vergeblich.

      Erst gleiten meine Shorts über die Knie, anschließend mein Hemd. Es ist zu dunkel, um hinter die Masken zu blicken. Schließlich bin ich nackt, aus meiner Angst ist Erregung geworden. Ich fühle mich frei. Die Hände sind überall. Der Park ist eine Wiese im Hochsommer, die Luft schmiegt sich an meinen Körper.

      Die Gestalten lassen ihre Masken fallen. Dahinter strahlen die Gesichter von Katja und Maike. Als sie mir zwischen die Beine greifen, ist mir unwohl. Was zwischen meinen Beinen liegt, gehört mir alleine. Und dann wache ich auf und mein Herz schlägt hektisch.

      Gelegenheiten

       1.

      Im Gare du Nord beäuge ich von meinem Platz auf meinem Rucksack misstrauisch jeden, der mir zu nahe kommt. Viele Araber, Obdachlose, Gauner, unsympathisch wirkende und hektische Menschen laufen von und zu den Gleisen. Wer aussieht, als habe er ein Ziel, ist mir egal.

      Ich misstraue jedem, der zu viel Zeit hat. Frank dreht sich eine Zigarette, Katja erzählt ihm von Paris, Fabian und ich schweigen uns an und fühlen uns wohl dabei.

      Ab und zu sehe ich Katja an und frage mich, warum sie sich vor ihn gekniet hat, und ich finde den Gedanken an ihren Hintern geil, aber ich verstehe es noch immer nicht. Nur die Erinnerung an ihren nackten Hintern und Gregors harten Schwanz sorgen für Herzklopfen.

      Katja hat kein Wort gesagt, vielleicht hat sie mich auch gar nicht erkannt. Ob ich sie ansprechen sollte? Und sie fragen, warum sie das gemacht hat? Macht man so etwas aus Liebe? Und ich dachte immer, man fickt nur, weil es geil ist.

      Maike und Gregor kümmern sich inzwischen in der Touristeninfo um eine Unterkunft, was sich als schwierig erweist. Die Jugendherberge ist belegt, die Stadt platzt aus allen Nähten. Sie finden zwei Zimmer für jeweils zwei Nächte in zwei nahe gelegenen Absteigen im Montmartre.

      Diesmal kaufen wir ein Carnet. Die Metro riecht nach Gummi, nach Bremsbelägen, nach zu wenig Zeit. Die Metrostation Saint Georges protzt mit dem typischen Pariser Jugendstil und liegt am Rande des Vergnügungsviertels Montmartre. Am Ende der Straße strahlt die Sacré Cœur in der Sonne. Mein Rucksack wiegt fast nichts. Im Foyer des Hotel du Moulin, das mich durch Marmor beeindruckt, gibt uns ein mürrischer Araber die Schlüsse.

      Die Zimmer sind dunkel und muffig. Schwere purpurne Vorhänge vor den Fenstern, strukturierte Tapeten. So muss ein Hotel in Paris sein. Wir starten aufgeregt zur Sacré Cœur, kauften Baguette und ein rotes Netz voller kleiner runder Käse mit roter Wachsschicht im ersten französischen Supermarkt meines Lebens, entdeckten die Seine und den Eiffelturm.

      Das sonore Piepen der U-Bahn, bevor sich die Türen schließen, wird zur Musik. Nach der ersten Fahrt mit der RER singt Katja eine Melodie und behauptete, es sei ein Kinderlied. Statt eines Refrains singt sie nur RER und betont die Buchstaben auf sehr französische Art. Die dumme Nuss ist wirklich leicht meschugge.

      Am Abend holen wir uns Bier im Zehnerpack und setzten uns ins Zimmer. Billiger als jede Kneipe. New Model Army bollern durch das kleine Zimmer, für Katja müsste Paris nach Akkordeon klingen, nach Jacques Brel oder Edith Piaf. Aber die hat ja auch keine Ahnung. New Model Army und Phillip Boa. Phillip Boa und New Model Army. Der Soundtrack unserer Tour. Ein Anker und Wiegenlied. Es riecht nach muffiger, ungewaschener Kleidung, Bier, Füßen und dem Staub unter dem Bett.

      »Warum seid ihr eigentlich nicht mehr zusammen?«, fragt Maike. Fabian verdrehte die Augen. So sensibel, Fabian?

      »Es stimmte einfach nicht mehr«, sagt Gregor. »Ich will mich ja auch so früh noch nicht festlegen.«

      »Dabei passt ihr so gut zusammen«, sagt Maike grinsend.

      »Können wir das Thema lassen?«, fragt Katja und rümpft die Nase. Sie sitzt neben ihm auf einem der drei Betten und zieht gedankenverloren die rote Wachsschale von ihrem Käse. Ich bitte Frank um ein neues Bier. Ich mag das Kronenbourg. Davon bekomme ich im Gegensatz zu Warsteiner, Beck's und all den anderen norddeutschen Bieren keine Kopfschmerzen. Außerdem sind die kleinen Flaschen schneller leer als ihr Inhalt schal werden kann.

      »Wenn sie darüber reden will, dann lass sie. Du kannst ihr doch nicht den Mund verbieten«, sagt Gregor ruhig.

      »Aber ihr redet hier über mich«, blafft Katja zurück.

      »Nein, sie hat mich gefragt, was ich denke, und ich habe ihr das gesagt.«

      Als Katja den Kopf hebt, schimmern ihre Augen feucht. Ihre linke Hand ballt sich um die rote Wachsschale zur Faust. In die Stille hinein drehe ich den Kronkorken von der Flasche. Langsam kribbelt mein Hirn. Ich, in Paris, betrunken, in einem Hotelzimmer. Voll