Olaf Falley

Im Bann der Traumfänger


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im Dunkeln keine zwanzig Fuß an der Stelle vorbei, an der seine Mutter schlief und die blinde Alte im Inneren des Berges murmelte vor sich hin: „ Alles läuft , wie es laufen soll, doch gibt es noch viel zu tun, zu viel.“

      Wächter

      -Zwischenspiel-

      Er würde bald schlafen müssen. Nur durch Schlaf war es seinem Körper möglich, zu regenerieren. Er fühlte sich matt, kraftlos, ausgezehrt; die Jahrhunderte lasteten schwer auf seinen Knochen, viel zu schwer. Er war so unsagbar müde und allmählich begann Unzufriedenheit von seinem Denken Besitz zu ergreifen. Er haderte mit dem Schicksal, welches ihn zu diesem

      unnatürlich langen Leben verdammt, ihn zum Wächter des Gleichgewichts bestimmt hatte. Er nannte sich selbst Custos, denn seinen wahren Namen hatte er schon vor langer Zeit vergessen, da in einer Welt, in der die vergehende Zeit nach Jahrhunderten gezählt wird, Namen jegliche Bedeutung verlieren.

      Schlafen, schlafen nur schlafen konnte ihm helfen, seinen erschöpften Körper mit neuen Kräften ausstatten. Doch gab es nichts auf dieser Ebene der Existenz, was in der Lage gewesen wäre, seinen Geist zu heilen. Schuld war vielleicht sein langes Leben, vielleicht die Einsamkeit; etwas war in seinem Kopf nicht mehr so, wie es sein sollte. Er beobachtete nur noch halbherzig die Verteilung der Machtverhältnisse, bewachte nur noch unzureichend die Kräfte, die zu nehmen oder zu geben seine Aufgabe war. Stattdessen träumte er am helllichten Tage mit offenen Augen von Blumen auf einer Wiese, von Vögeln, die mit ihrem Gesang die Sinne eines Jeden zu betören vermochten oder von herumtollenden Bärenkindern. Möglicherweise waren dies die Vorboten des Wahnsinns, denn es war ihm nicht gegeben, sentimentalen Neigungen nachzuhängen. Seine Aufgabe bestand lediglich darin, zu wachen und zu wirken. Weder das Grübeln, noch das Empfinden gehörten zu seinen Eigenschaften. Früher war dies natürlich anders gewesen. Damals war er ein glücklicher, weil unwissender, Mensch. Doch dann wurde er vom Schicksal zu etwas Höherem berufen…

      Allein, dass er hier saß und an seine Vergangenheit dachte, war schon ein Verstoß gegen seine eigentlichen Aufgaben.

      Vielleicht hatten die Götter ja auch endlich ein Erbarmen mit ihm und übertrugen die Wache einem Anderen. Vielleicht sollte es ihm endlich vergönnt sein, zu sterben und die Tagträume waren die ersten Zeichen einer beginnenden Agonie.

      In den Tiefen seines Geistes umherirrend bemerkte Custos nicht, dass die Kammern geöffnet wurden. Jemand machte sich an den einst genommenen Kräften zu schaffen. Tief hinten, in der letzten Ecke einer dieser Kammern wurde der Eindringling fündig. Noch einmal verwendete er all seine Macht, um den alten Wächter Bilder aus dessen Vergangenheit sehen zu lassen. Dann griff er beherzt zu und befreite die Kräfte, die gefangen in diesem Verlies schlummerten und die einst einer Hexe namens Gerda gehört hatten.

      Während Custos nichts von dem Diebstahl bemerkte, sank viele hundert Meilen entfernt eine junge Frau erschöpft in die Arme eines alten Mannes.

      „Ich habe es geschafft, Thoralf. Ich habe den Wächter überwunden.“

      „Nun, dann sollte deine Mutter bald wieder über all ihre Fähigkeiten verfügen können.“

      Zufrieden strich Thoralf Freya das schweißnasse Haar aus dem Gesicht. Das Mädchen hatte viel gelernt und obwohl sie noch am Anfang ihrer Ausbildung standen, war sie bereits mächtiger als die meisten Hexen der Schwesternschaft. Die Dinge nahmen ihren Lauf…

      1.

      Das erste, was Gerda beim Erwachen wahrnahm, war ein pelziger Geschmack.

      Gerade so, als hätte ihre letzte Mahlzeit aus etwas bestanden, das schon sehr lange tot und ungekühlt gelagert worden war. Dann stellte sie fest, dass sie ihre Beine nicht mehr spürte, doch noch bevor sie darüber entsetzt sein konnte, begann ein unangenehmes Prickeln in ihrer Fußsohle und arbeitete sich langsam in die höheren Regionen vor. Sie hatte wohl einfach zu lange gelegen!

      Gerade, als sie ihre Augen öffnen wollte fühlte sie, wie etwas Weiches ihren Unterarm streifte. Voller Abscheu schrie sie laut auf und schleuderte dem Angreifer ein uraltes Wort entgegen. Hastig setzte sie sich auf und erhob ihre Hände, bereit, sich zu verteidigen, doch das einzige Geräusch welches zu hören war, war ein klägliches Maunzen. Gerda öffnete ihre Augen und stellte fest, dass ihr vermeintlicher Angreifer der kleine weiße Kater war, der sie hierher geführt hatte. Er hing kopfüber in der nächstgelegenen Eiche, fest verschnürt durch dünne Ranken Hexenseide. Schnell befreite Gerda das Tier aus seiner misslichen Lage, verwundert, wie ihr das hatte gelingen können. Sollten ihre Kräfte allmählich zurückkehren? Die Alte in der Höhle hatte so etwas angedeutet. Überhaupt, wie kam sie eigentlich hierher? Eingeschlafen war sie in der Höhle der Norne, erwacht unter freiem Himmel.

      Gerda lies ihren Blick schweifen und begann, an ihrem Verstand zu zweifeln. Dort, wo am Vorabend das Dorf des Schattenvolkes gestanden hatte, befanden sich nur noch Ruinen, längst verlassen und verrottet. Wo verwahrloste Kinder gespielt hatten, wuchs Unkraut und Gestrüpp, undurchdringlich und abweisend.

      Es hatte den Anschein, als sei das Dorf schon vor vielen Jahren von seinen Bewohnern verlassen worden. Voller Panik rannte Gerda zum Fuß des Berges am Ende des Dorfes. Das Loch, in welches sie voller Verzweiflung gesprungen war, existierte nicht! Kein Loch, kein Weg, keine Schicksalsweberin!

      Sie hatte alles nur geträumt! Gerda wusste, dass dies nicht stimmte, es war real gewesen. Die Frauen mit ihren Bögen, die Kinder und auch die Opferstelle.

      Hatte sie durch eine Laune des Schicksals etwa einen Blick in die Vergangenheit geworfen? Schließlich war ihre Gastgeberin letzte Nacht Urd gewesen, die Norne des Vergangenen. Oder hatte der Zauber der Alten vielleicht bewirkt, dass Gerda viele Jahre geschlafen hatte? Dieser Gedanke war mehr, als nur unangenehm, doch ließ er sich leicht widerlegen. Der Kater war immer noch bei ihr! Kein Tier hätte jahrelang neben einer Schlafenden gewartet. Nach dem Anblick des Dorfes zu urteilen, war es unwahrscheinlich, dass ein Kater, der sie damals hergeführt hatte überhaupt noch am Leben wäre. Waren es also doch nur Trugbilder gewesen? Wahrscheinlich würde sie dieses Rätsel niemals lösen können. Unentschlossen sah Gerda in alle Richtungen.

      „Ich würde gern sagen, dass du mich führen sollst, allerdings befürchte ich die Konsequenzen.“

      Ihre Worte schien der Kater als Beleidigung aufzufassen, denn er wandte ihr den Rücken zu und begann hocherhobenen Hauptes die Flanke des Berges zu erklimmen und während Gerda noch überlegte, ob sie dem Tier folgen sollte oder nicht, überwand der Kater den ersten steilen Abschnitt und verschwand von einem Augenblick auf den Nächsten. Gerda beeilte sich, um an die Stelle zu gelangen, an der sie das Tier zuletzt gesehen hatte. Das erwies sich als gar nicht so einfach. Ständig gab das lose Geröll unter ihren Füßen nach. Für jeden Schritt, den sie vorwärts machte, schien sie zwei Schritte zurück zu rutschen. Als sie endlich oben angekommen war, konnte sie weit und breit kein Lebenszeichen ausmachen.

      „Hervorragend! Jetzt hat auch der Kater sich als Trugbild erwiesen.“

      Gerda spähte den Hang hinauf. Weniger als eine Achtelmeile entfernt glaubte sie einen Weg auszumachen, der sich um den Berghang zu schlängeln schien.

      Seufzend ergab sie sich in ihr Schicksal und setzte sich in Richtung dieses Weges in Bewegung. Wenn sie schon würde klettern müssen, konnte sie nebenbei, als Zeitvertreib gewissermaßen, ihre Theorie von vorhin, bezüglich ihrer Kräfte, überprüfen.

      Sie starrte nach unten in das verfallene Dorf, fixierte eine besonders verrottete Hütte und murmelte leise einige Worte. Das Ergebnis war beeindruckend.

      Die fauligen Bretter der Hütte vergingen in einem Feuerstoß, der sofort wieder erlosch, als seine Arbeit getan war. Ein gellender Schrei erklang von der Lichtung und Gerda hastete entsetzt den Berg weiter hinauf. was immer diesen Schrei ausgestoßen hatte, sie wollte es nicht wissen. Sie wollte nur noch weg von diesem unheimlichen Ort.

      2.

      Die Angst vor der Dunkelheit und dem, was verborgen