Olaf Falley

Im Bann der Traumfänger


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um Augenblicke später im Dorf wieder aufzutauchen, munter ihrer Arbeit nachgehend, hin und wieder miteinander scherzend, als sei nichts geschehen.

      „Wenn du sie wirklich retten willst, musst du noch viel lernen.“

      Neben Baldur stand, wie aus dem Boden gewachsen, urplötzlich eine alte Frau.

      „Was du gesehen hast, war das Zukünftige. Ich kann dir das Werdende zeigen, doch du kannst beeinflussen, ob es so geschieht. Der Mord an den Dorfbewohnern ist eine mögliche Version der Zukunft, eine sehr wahrscheinliche sogar, solltest du dich weiterhin so töricht verhalten. Wolltest du mit deinen Fäusten erreichen, was die Männer des Dorfes nicht zu vollbringen vermochten?“

      Der Wolf hatte sich zu der Alten gesellt und schien Baldur ebenso vorwurfsvoll anzusehen. Der Junge wusste, wer da neben ihm stand. Es war dieselbe alte Frau, die ihm in der Höhle in Gestalt seiner Schwester erschienen war.

      „Finde mich, und ich werde dich lehren…“ waren ihre Worte gewesen. Nun, er hatte sie gefunden.

      „Wirst du mir beibringen, was ich tun muss, um das Alles zu verhindern.“

      Beinahe traurig sah die Norne auf den Jungen herab.

      „Ja, das werde ich. Doch sei eingedenk meiner Warnung, die ich in der Nacht aussprach, als wir uns zum ersten Mal begegneten. Der Preis, den du zahlen wirst, wird sehr hoch sein!“

      -Zwischenspiel-

      Eigentlich war es unmöglich und doch war es die einzige Erklärung. Er war krank gewesen! Aus diesem Grunde konnte er sich nicht mehr an das Geschehene erinnern. Undeutliche Fetzen von seltsamen Träumen irrten noch durch seinen Kopf, doch war es ihm unmöglich, sie zu einem komplexen Bild zusammen zu fügen. Eine leichte Beunruhigung bemächtigte sich seiner. Er war Custos, nicht irgendein Mensch, dem zu träumen erlaubt war. Man müsste diese vorübergehende Verstimmung der Gedanken sorgfältig beobachten, soviel stand fest. Andererseits sollte man nicht jeder kleinen Begebenheit gleich eine allumfassende Bedeutung beimessen. Er hatte eine Aufgabe, die zu erfüllen das oberste Ziel darstellte. Niemals würde er in seiner Aufmerksamkeit nachlassen, niemals ermüden. Denn er war der Wächter seit Anbeginn der Zeit und würde es immer bleiben. Er war Custos!

      3.

      Zartblasse Wolken zogen träge vor einem unbeschreiblich blauen Hintergrund dahin. Klein und nahezu durchscheinend waren sie nicht in der Lage, diesen wunderschönen Sommertag zu beeinträchtigen. Während ihrer Wanderung veränderten sie ständig ihr Aussehen und ein Beobachter mit ein wenig Fantasie war ohne weiteres in der Lage, bekannte Gestalten oder auch Gesichter in den ätherischen Konturen zu erkennen. Zog dort nicht ein riesiges Schiff seine Bahnen? Deutlich konnte man die Masten und Segel sehen, welche im nächsten Augenblick unter einer starken Windböe ihre Form verloren und nun Ähnlichkeit mit den Türmen einer Burg aufwiesen. Und diese kleine Wolke, südlich der Burg, ähnelte sie nicht dem Gesicht eines alten Mannes, bärtig und voller Falten. Die tief liegenden dunklen Augen starrten zornig herab bevor sie, einer plötzlichen Laune des Windes folgend, aufrissen und scheinbar zu Leuchten begannen. Der alte Mann fügte den zahllosen Falten auf seiner Stirn noch einige Ebenbilder hinzu. Er öffnete seinen Mund und plötzlich war deutlich seine Stimme zu hören.

      „Du musst dich konzentrieren, Hexenkind. Wenn deine Gedanken abschweifen, verlieren die Illusionen an Kraft.“

      Der blaue Himmel riss auseinander und verschlang die flüchtigen Wolkengebilde. An seiner Statt erschien nun ein wolkenverhangenes, von Regen und Unwetter kündendes Firmament. Freya war enttäuscht. Wieder einmal war es ihr nicht gelungen, eine Illusion lange genug aufrecht zu erhalten. Thoralf sah sie schmunzelnd an, während Hilda einen Arm um ihre Schultern legte.

      „Den Wächter hast du bezwungen. Du kannst in die Gedanken anderer eindringen, und sie Dinge sehen lassen, die nicht existieren. Doch ein Trugbild zu erschaffen, das in der Lage ist, alle zu täuschen, die es sehen, ist um ein Vielfaches komplizierter.“

      Hilda nahm Freyas Gesicht in ihre Hände und sah ihr tief in die Augen.

      „Du darfst nicht verzweifeln. Es ist schwierig, doch nicht unmöglich.“

      „Vielleicht sind wir ja doch nicht zur Ausbildung der Kleinen vorgesehen.“

      Thoralf blickte nachdenklich in den bedrohlich aussehenden Himmel hinauf.

      „Glaubst du nicht auch, dass wir Freya alles gezeigt haben, was es zu zeigen gab, sie alles gelehrt haben, was des Lehrens würdig war“

      Ein blendender Blitz riss die Wolken auseinander, dicht gefolgt vom dumpfen Grollen des Donners. Erste Regentropfen bahnten sich einen Weg zur Erde. Geboren in Schwindel erregender Höhe begann ihr kurzes Dasein in Form eines Wassertropfens der, wäre er in der Lage sich zu wundern, sich fragen würde, warum alle Dinge rasend schnell größer wurden, bevor er mit einem leisen Klatschen auf der Erde aufschlug.

      Dieser Regen war anders! Zwar fielen gewaltige Wassermassen der Schwerkraft folgend auf die Erde zu, doch kam nicht einer dieser unzähligen Tropfen unten an. Sie verschwanden spurlos noch bevor sie den Boden erreichten.

      Verblüfft betrachtete Freya dieses Schauspiel und plötzlich begann sie zu verstehen. Dieses Gewitter war nichts weiter, als eine perfekte Illusion.

      Aufgeregt wandte sie sich an Hilda.

      „Das ist großartig! Ich denke schon, dass du mich weiter ausbilden sollst. Ich möchte auch irgendwann so eine perfekte Illusion hervorbringen können.“

      „Das ist mitnichten mein Werk!“

      Ratlos sah sich die alte Hexe um.

      Auch Thoralf schien verblüfft, doch nur für einen Moment. Dann zogen plötzlich feine Lachfältchen in seine Augenwinkel und schmunzelnd sagte er:

       “Ich glaube, wir waren Alle etwas unvorsichtig. Fragen wir den jungen Simon, wer für dieses Wunder verantwortlich ist“

      Während Freya und Hilda verständnislos zu Thoralf blickten, trat ein blondgelockter Junge schüchtern hinter der Hütte hervor.

      „Nun, Simon, hast auch du neuerdings Kräfte entwickelt? Kräfte, die jene unseres kleinen Hexenkindes übertreffen?“

      Jetzt breitete sich auch auf Hildas Zügen ein Lächeln aus.

      „Oder hast du uns vielleicht noch einen Besucher mitgebracht?“

      Wie aus dem Nichts erschien direkt neben Hilda eine junge Frau. Ein glockenhelles Lachen ertönte, als die Alte zurückschreckte.

      „Ich freue mich, dich lebend anzutreffen, Hilda. Die letzten Informationen, die ich erhielt, schienen das Gegenteil anzudeuten.“

      Sie beugte sich zu Freya herab und das Mädchen war fasziniert von der Schönheit dieser Fremden.

      „Du bist also Gerdas Tochter, Baldurs Schwester, die Hoffnung der Welt“

      Es war eine Feststellung, keine Frage.

      „Du siehst sowohl deiner Mutter, als auch deinem Bruder ähnlich. Ja, ohne Zweifel, du bist Freya.“

      Die Frau wendete sich ab und setzte sich zwischen Hilda und Thoralf auf die Bank. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde undeutlicher.

      „Nun Thoralf, die Dinge entwickeln sich anders als geplant. Ich sollte die Ausbildung Freyas übernehmen, während du dich um Baldur kümmern solltest.“

      Das Gesicht der Fremden nahm einen bekümmerten Ausdruck an.

      „Leider hat das Schicksal anders entschieden. Das Mädchen befindet sich in deiner Obhut, während ihr Bruder den Weg in unser Dorf fand.“

      Freya sprang erregt auf

      „Baldur ist in Sicherheit? Wo ist er?“

      Die Augen der Frau wurden noch ein wenig trauriger. Sie legte Freya ihre Hände auf die Schultern.

      „Mein Sohn Simon wird dir berichten, was geschah. Ich muss mit Thoralf und Hilda beraten, wie