Janine Senkel (geb. Günther)

Rabenlieder


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      Ihre Gesichtsmuskeln entspannten sich und ihre Schultern hingen auch wieder locker herunter. Eine Fledermaus huschte über ihre Köpfe hinweg. Passend zum Logo und dem Namen des Clubs, hatten die Besitzer ein paar Fledermäuse angeschafft, die sich frei im Raum bewegten.

      Da sie daran gewöhnt waren, ließen sie sich davon nicht ablenken. Die drei Freundinnen sahen Shania nach wie vor neugierig an und Saya wusste, dass ihre Freundinnen genauso wenig locker lassen würde, wie auch sie. Shania holte tief Luft. Die Zeit schien still zu stehen. Doch anstatt etwas zu sagen, hob sie ihre rechte Hand. Verwirrt sah Saya von Aniola zu Shina und starrte dann wieder stirnrunzelnd auf Shanias Hand. Dann funkelte plötzlich etwas auf und Saya bemerkte einen Ring an Shanias Finger. Erstaunen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, ihr Mund weit aufgerissen. Aniola und Shina saßen genauso da. Keiner sagte ein Ton. Stille. Fassungslosigkeit umgab sie alle. Saya fand als erstes ihre Stimme wieder. »Er hat dir einen Antrag gemacht?« Verschmitzt grinsend, aber immer noch erstaunt, sah sie ihre beste Freundin an. Diese nickte, ein breites glückliches Lächeln auf den Lippen. »Ernsthaft?« Aniola sah fassungslos von dem Ring zu Shania, deren Grinsen immer breiter wurde, dass man das Gefühl hatte, es würde ihr aus dem Gesicht springen. »Hör auf so zu Grinsen, Kleine! Das ist gruselig.« Sayas Stirn warf sich in Falten bei dem Anblick. Aniola kicherte. »Wo sie Recht hat. Das erinnert irgendwie an die Grinsekatze.« Saya und Shina nickten zustimmend. »Oder an einen Clown.« Saya erschauerte leicht. Bei den Gedanken an Clowns, lief ihr ein leichter eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Sie mochte diese übertrieben geschminkten dauergrinsenden Wesen mit den viel zu großen Schuhen und Pappnasen nicht sonderlich. Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken aus dem Kopf zu kriegen und dann lächelte sie ihre Freundin an und drückte sie. »Ich freu mich für dich!« Dann löste sie die Umarmung und ihr Gesicht wurde ernst. »Aber wehe, er tut dir weh, dann kriegt er es mit mir zu tun!« Ein einstimmiges Gelächter hallte durch den Club.

      Nachdem auch Aniola und Shina der frisch Verlobten gratuliert hatten, bestellten sie neue Getränke und lagen sich kichernd in den Armen.

      *

      Es war bereits vier Uhr morgens und sie saßen immer noch zusammen. Das Bat würde bald zu machen, da die Sonne in wenigen Stunden aufgehen würde und da musste Saya schon wieder zurück sein. Auch Aniola konnte nicht länger bleiben, da sie, genau wie Saya, zu Staub zerfallen würde, wenn sie Sonnenlicht ausgesetzt wäre.

      Im ganzen Club herrschte Aufbruchsstimmung. Die Mädchen zahlten ihre Rechnung und machten sich auf den Weg. Als sie sich draußen verabschiedeten, kam Saya plötzlich etwas in den Sinn. »Was ist denn dann eigentlich mit dem Rabenclan?« Mit hochgezogenen Augenbrauen sahen die anderen sie an. Keiner schien zu verstehen, worauf sie hinauswollte. »Raven ist doch der neue Anführer, oder nicht? Ich dachte, er müsste dann ein Rabenmädchen heiraten, oder so.« Shanias Gesicht verfinsterte sich ein wenig. »Eigentlich schon!« Die jungen Frauen fuhren herum. Hinter ihnen stand plötzlich ein großer, in eine Lederjacke gehüllter Mann mit dunklem Haar, das ihm leicht ins Gesicht hing. Schwarze Federn fielen von seinen breiten Schultern hinab.

       2

      Sein plötzliches Auftauchen hatte die Frauen erstarren lassen. Mit offenen Mündern und aufgerissenen Augen sahen sie den majestätisch aussehenden Mann an. Er verdrehte leicht genervt die Augen und fuhr sich mit seiner rechten Hand durch sein seidig glänzendes Haar. Langsam sollten sie daran gewöhnt sein, dass Wesen aus dem Nichts auftauchten. Shania war die Erste, die sich aus der Erstarrung löste. Ihr Mund verzog sich zu einem freudigen Lächeln und sie ging einige Schritte auf den dunkel gekleideten Mann zu und fiel ihm in die Arme. Er umschloss sie in einer zärtlichen Umarmung und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Raven!« Der Klang in ihrer Stimme war voller Liebe und Fröhlichkeit. Er drückte ihren Kopf an seine starke Brust, so dass sie jeden einzelnen seiner Muskeln spüren konnte. Saya musste kichern. Es war schön, ihre Freundin so glücklich zu sehen. Sie lächelte die beiden zufrieden an und wünschte sich insgeheim, dass sie auch so viel Glück hatte. In letzter Zeit hatte sie Kris nicht oft gesehen. Er und sein Bruder Raven hatten nach dem Tod ihres Vaters, der zudem das Oberhaupt des Rabenclans war, einiges zu regeln. Saya wunderte es, dass Raven und Shania überhaupt noch Zeit füreinander fanden, vor allem da Raven, der Nachfolger werden sollte. Bei dem Gedanken fiel ihr ein, worüber sie geredet hatten, bevor Raven plötzlich aufgetaucht war. »Also, ihr heiratet, obwohl du als Anführer eine Frau von Rabenclan hättest heiraten müssen. Gibt es denn keinen Ärger?« ihr Blick war dem großen gut gebauten Mann gewidmet, der ihrem Liebsten sehr ähnlich sah.

      Ravens Augen verdunkelten sich und seine ganze Mimik wurde angespannt, als er den Mund öffnete, um ihr zu antworten. »Ja.« Er fuhr seiner Verlobten durchs Haar. »Es ist einem Anführer nicht gestattet, eine Frau zu haben, die dem Clan nicht angehört.« Er hielt inne. Saya musste sich an das erinnern, was sie vor einiger Zeit über Ravens Vater und Shanias Mutter herausgefunden hatten. Die beiden hatten ein Verhältnis. Wahrscheinlich hatte Ian die Mutter von Raven und Kris auch nur geheiratet, weil er musste. Er hatte neben Shanias Mutter noch andere Geliebte. Es konnte schließlich nicht gut gehen, wenn man jemanden nicht liebte und mit der Person sein Leben verbringen musste. Sie fragte sich, was das jetzt für Raven bedeutete. Sie wollte gerade ihren Mund öffnen, um ihn danach zu fragen, als er erneut zu sprechen begann. »Ich habe auf mein Amt als Anführer verzichtet.« Erstaunte Blicke wurden ausgetauscht.

      Fassungslos sahen die jungen Frauen sich an. Saya konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Der Kiefer klappte ihr nach unten und sie musste lächerlich aussehen, so wie sie da stand und Raven ansah. Ungläubig schüttelte sie ihren Kopf. »Du hast was?« Raven zuckte nur belanglos mit den Achseln, als ob das keine große Sache wäre. Dann ging er einen Schritt auf Saya zu, Shania immer noch fest im Arm. »Wie würdest du dich denn entscheiden? Ich hatte keine andere Wahl. Entweder Shania oder der Posten als Oberhaupt. Ich sage nicht, dass es mir leichtgefallen ist, aber ich hätte meine Liebe aufgeben müssen und das hätte ich nicht verkraftet.« Er lächelte seine zukünftige Braut liebevoll an und streichelte sie zärtlich, wobei er seine Fingerspitzen sanft über ihre Haut gleiten ließ. Saya nickte verständnisvoll. Was Raven für ihre Freundin getan hatte, war das schönste Geschenk, was sich eine Frau nur wünschen konnte. Er hatte seine Liebe über seine Verpflichtungen gestellt. Das bewies eindeutig, wie sehr er sie liebte und Saya hatte absolut keine Bedenken, was die Beziehung der beiden anging. Nun bekam sie ein kleines bisschen Sehnsucht und wünschte sich, Kris wäre hier. Sie vermisste seinen warmen starken Körper, sein Hände, die zärtlich über ihre Haut strichen. Sie versuchte, den Gedanken zu verdrängen, bevor sie noch gänzlich in Selbstmitleid versinken würde. Sie wollte ihrer Freundin schließlich nicht die Freude auf ihre bevorstehende Hochzeit nehmen. »Wer nimmt dann eigentlich deinen Platz im Clan ein?« Aniolas Stimme erklang neugierig hinter Saya. Sie drehte sich um zu ihr und sah sie fragend an. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Der Clan brauchte einen Anführer und wenn Raven ausschied, dann musste jemand Neues ernannt werden. Raven räusperte sich und alle wandten sich wieder ihm zu. Mitleidig sah er zu Saya hinüber und sie bekam es ein wenig mit der Angst zu tun.

      Was hatte dieser Blick zu bedeuten? »Kris!« Es war nur dieses eine Wort, dieser eine Name. Stille. Es waren nur die Herzen zu hören, die laut pochend in ihren Brüsten schlugen. Ein Wort, das alles veränderte. Ein Name, der all die Freude in Sayas Blick schwinden ließ und sie schnurstracks in die Hölle zu verfrachten drohte. Alle sahen sie an und auch auf den Gesichtern ihrer Freundinnen zeichnete sich nun Mitgefühl ab. »Kris?« Ungläubig wiederholte Saya diesen Namen. Den Namen des Mannes, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Raven nickte und sah sie zähneknirschend an. »Ja, Saya, Kris wird der neue Anführer und - « Er hielt kurz inne und holte tief Luft, bevor er fortfuhr. » - so leid es mir wirklich tut. Wirklich, glaub mir, ich wünschte ich könnte dir bessere Nachrichten bringen.«

      Sayas Herz pochte schmerzend und drückte so fest gegen ihren Brustkorb, dass sie kaum atmen konnte. »Er wird ebenfalls heiraten. Die Kandidatin steht noch nicht fest, aber sobald sie erwählt ist, wird er diese ehelichen und dann zum Oberhaupt ernannt werden. So ist das Brauch.« Alles in Saya zerbrach. Ihre Brust brannte, Tränen stiegen ihr ins Gesicht und rannten, wie kleine Wasserfälle ihre Wangen hinunter.

      Ihre Knie gaben nach und sie sackte