Die Stimmen ihrer Freunde hörte sie nur ganz dumpf, wie durch eine Wand und spürte auch nicht deren Berührungen, als sie angelaufen kamen und sie in den Arm nahmen. Die Zeit schien still zu stehen. All ihre Freude, all ihre Hoffnung war verschwunden. Alles was blieb, war qualvolle Leere und das Wissen, dass sie niemals glücklich werden konnte.
*
Einige Minuten später saß sie bei Shania daheim im Wohnzimmer. Sie hatte gar nicht richtig mitbekommen, wie sie hier hergekommen war. Sie hatte den ganzen Weg in einer Art Trance verbracht. Sie war noch immer nicht ganz bei Sinnen. Es war einfach unfassbar, wie schnell einem der Boden unter den Füßen weggerissen werden konnte. Alles, was sie je gewollt hatte, war nun außer Reichweite und würde es für immer sein.
»Hier, ich glaub den kannst du jetzt richtig gut gebrauchen!«
Shania stellte ein Glas vor ihr auf den Tisch und sie nahm den starken Geruch von Whiskey war. Normalerweise trank sie nichts außer Blut, aber davon konnte man leider keinen Rausch kriegen und den konnte sie, wie Shania schon richtig bemerkte, jetzt wirklich gut gebrauchen. Natürlich war es kein reiner Whiskey, denn das würde Vampire nichts ausmachen, außer eventuell einen Brechreiz verursachen, aber sie vertrug so einiges, was andere Vampire nicht bei sich behielten. Allerdings auch nicht alles. Der Whiskey war mit Blut gemischt. B Negativ, um genau zu sein. Sie bevorzugte zwar A, aber zum Mischen, war B eindeutig besser geeignet. Es klumpte nicht so leicht. Sie streckte ihre Hand nach dem Glas aus. Es fiel ihr gar nicht so leicht, es zu greifen, da ihre Hand ziemlich stark zitterte und noch schwach von dem ganzen Schock war. Als sie es dann endlich in den Händen hielt, nahm sie einen kräftigen Schluck und das Gesöff rannte ihr warm die Kehle hinunter und sie spürte wie eine Hitze sie von innen durchflutete und wie sie langsam wieder zu sich kam.
»Ich fasse es nicht.« Mehr konnte sie nicht sagen. Selbst die Worte presste sie mit Mühe hervor. Shania legte ihren Arm um Sayas Schulter und auch Aniola und Shina kamen mit besorgten Gesichtern auf sie zu und standen ihr zur Seite.
Saya schätzte es wirklich, dass sie für sie da waren, nur leider konnten sie im Moment nicht viel ausrichten und sie fühlte sich eher ein wenig bedrängt dadurch, aber das wollte sie ihnen nicht sagen. Raven, der am anderen Ende des Wohnzimmers an der Wand lehnte, spürte, dass es ihr zu viel war, warf ihr einen verständnisvollen Blick zu und verließ leise das Wohnzimmer. Schwarze Feder flogen durch die Luft und sie konnte noch ein Krächzen hören, bevor er durch das Fenster fort flog. Shania sah ihrem Verlobten nach. In ihrem Blick lag so viel Reinheit, wie sie es schon lange bei keinem mehr gesehen hatte. Der Gedanke an ihre Hochzeit ließ den Schmerz nur noch umso größer erscheinen. Vor allem, wenn man bedachte, dass er als Ravens Bruder dort auch zugegen war und vielleicht würde es sogar eine Doppelhochzeit geben. Sie wusste zwar noch gar nicht, wen vom Rabenclan Kris heiraten würde, aber das wollte sie um ehrlich zu sein auch nicht wissen. Es war schwer genug und sie war sich nicht sicher, ob sie jemals darüber hinwegkommen würde. Sie nahm noch einen großen Schluck von dem Whiskey-Blut-Gemisch und leerte das Glas somit. Als Shania ansetzte, ihr nachzuschenken, winkte sie ab. Mehr wollte sie von dem Höllengesöff wirklich nicht trinken. Sie spürte, wie sie langsam müde wurde. Der Tag war angebrochen. Zum Glück waren alle Jalousien in Shanias Haus heruntergelassen, aber das konnte man auch erwarten, da sich zwei Vampire im Haus befanden.
Immerhin wollte Shania sicherlich keine zwei Staubhäufchen anstelle ihrer Freundinnen im Wohnzimmer haben.
»Say, Ani, kommt mal mit. Ich habe im Keller ein Gästezimmer für euch eingerichtet. Ihr solltet euch jetzt am besten etwas hinlegen.« Saya hatte eigentlich nur den Drang, hinaus in die Sonne zu laufen und ihren Qualen ein Ende zu bereiten, aber das würde Shania sicher nicht zulassen und sie wollte ihr das auch nicht antun. Also trottete sie geistesabwesend hinter Aniola her in den dunklen Keller, wo alle Ritzen abgedichtet waren, dass kein einziger Sonnenstrahl hindurchgelangen konnte. Shania hatte sich große Mühe gegeben, alles passend für einen Vampir einzurichten. In einem Eck von dem Raum stand sogar ein Kühlschrank voll mit Blut. Was wollte man mehr. Sie würden zwar tief und fest schlafen und sicher keine Nahrung zu sich nehmen, aber sobald sie wach würden, könnte eine kleine Mahlzeit sicher nicht schaden. »Du hast wohl Angst, dass wir unschuldige Menschen anfallen, wenn wir nicht ausreichend genährt sind.« Aniola hatte den Kühlschrank ebenfalls entdeckt und warf Shania einen belustigten Blick zu. »Oder dich!«, ergänzte Saya Aniolas Kommentar. Dabei zog sie ihre linke Augenbraue leicht nach oben und ihr Mund verzog sich zu einem frechen Grinsen. Stirnrunzelnd wanderten Shanias Augen zwischen den zwei Vampirfrauen hin und her und blieben dann auf Saya haften. »Soll das heißen, ich bin kein unschuldiger Mensch?« Sie verschränkte ihre Arme. Aniola und Saya sahen sich belustigt an und fingen an, laut loszulachen. »Also, erstens bist du ja wohl kein Mensch, oder haben Menschen die Fähigkeit, über den Wind zu herrschen?« Aniola lehnte lässig an der feuchten Kellerwand, ihre langen dunklen Haare fielen ihr über die Schulter und ihre Augen leuchteten amüsiert. Saya ging auf ihre beste Freundin zu, der gleiche Gesichtsausdruck, wie auch Aniola ihn hatte. »Außerdem, Kleines, würde ich dich garantiert nicht als unschuldig bezeichnen. Du wirkst manchmal vielleicht so, aber du bist ein durchtriebenes Luder.« Entsetzt über diese Worte, starrte Shania ihre Freundin an. Ihr Mund stand leicht offen. »Ich möchte nicht wissen, was Raven und du oft so anstellen.«
Sie fuhr ohne weiteres fort. Shanias Mund schloss sich langsam wieder und verzog sich zu einem schuldbewussten, aber dennoch zufriedenem Grinsen. Ihre Augen fingen an zu funkeln, als Saya Raven erwähnte und es kam ihrer besten Freundin so vor, als ob sie sich im Kopf gerade vorstellte, was sie öfters miteinander trieben. Saya schüttelte diesen Gedanken ab. Sie wollte es, um genauer zu sein, gar nicht wissen. Wenn es nur halb so wild war, wie das, was sie und Kris so anstellten... Dann kam ihr plötzlich wieder das mit Kris bevorstehender Hochzeit in den Sinn und ihr Gesicht erstarrte. Der Schmerz durchfuhr sie aufs Neue und sie war wie gelähmt. Shania und Aniola bemerkten diese Wandlung sofort und wussten was los war. »Du solltest ihn zur Rede stellen.« Shania hatte den Arm um ihre beste Freundin gelegt und diese war in diesem Moment sichtlich froh, solche Freundinnen zu haben. Sie sah sie betrübt an und dann drehte sie sich zu Aniola um, die ihr aufmunternd zunickte.
»Mach den Mistkerl fertig!« Sie klopfte ihr auf den Schenkel und wäre sie kein Vampir, hätte sie sicher einen Bluterguss davongetragen. »Er hätte es dir zumindest sagen müssen.« Shania verschränkte die Arme. Sie war sichtlich sauer auf ihren zukünftigen Schwager. »Feigling!« Sayas Mundwinkel verzog sich wieder zu einem leichten Grinsen, als der schwarze Engel neben ihr empört dieses Wort hervorpresste. Sie hatten ja beide Recht. Die Tatsache allein war schon schlimm, aber er hätte mit ihr reden können.
Wieso erfuhr sie es durch Raven? Wahrscheinlich stimmte es, was Aniola sagte und er war zu feige, es ihr direkt zu sagen. Deswegen hatte sie in letzter Zeit fast nichts mehr von ihm gehört. Und sie hatte gedacht, er hätte viel zu erledigen. Das war vermutlich nicht gelogen, da er seine Hochzeit planen musste. Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt und ihre Trauer wandelte sich zu Zorn. Sie war wütend, stinkwütend. Auf Kris, der kein Ton erwähnt hatte, aber auch auf sich selbst, da sie es nicht gespürt hatte. Sie hätte an seinem Verhalten merken müssen, dass etwas nicht stimmte, doch sie war zu enthusiastisch und geblendet, um es zu sehen. Sie hätte sich selbst ohrfeigen können, für diese Naivität. »Ich werde morgen sofort zu ihm fahren und mit ihm reden.« Sie schenkte ihren Freundinnen noch ein dankbares Lächeln und legte sich dann schlafen. Aniola tat es ihr gleich.
*
Es war Nacht, ein eiskalter Wind heulte durch die Bäume und sie konnte nichts sehen, dennoch spürte sie die Anwesenheit einer weiteren Person. Sie blinzelte und dann vernahm sie im Schatten der Häuser eine Gestalt. Sie war groß und gut gebaut. Ein schwarzer Mantel wehte im Wind umher. Sie ging auf die Gestalt zu und als sie näher kam, erblickte sie ein ihr bekanntes Gesicht. Es war das Gesicht desjenigen, mit dem sie einige Nächte verbracht hatte. Sie wollte gerade noch weiter auf ihn zugehen, da näherte sich von hinten eine weitere Person. Eine Frau mit langen braunen Haaren stürmte auf Kris zu und fiel ihm um den Hals. Sie küssten sich. Plötzlich veränderte sich alles. Sie waren nicht mehr in der Wohnsiedlung, sondern standen vor Westminster Abbey, wo auch schon die Königsfamilien geheiratet hatten. Kris kam herausstolziert, in einem