Horst Buchwald

Vertraue niemandem


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seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr. Jeden Versuch ihrerseits, mit ihm wieder ins Gespräch zu kommen, hatte er konsequent blockiert. Diesmal aber war es anders. Er würde ihr einen Brief schreiben.

      Zwei

      Karin las den Brief von Hans ein zweites Mal. Warum hatte sie ihn nicht verbrannt oder geschreddert? Weil seine „Visionen für eine bessere Welt“ Positionen enthielt, die sie selber im tiefsten Herzen vertrat. Doch die Regierungszentrale war eine andere Welt. Die reale Welt da draußen war weit weg. Hier herrschten andere Gesetze und Regeln. Eine davon war: „Du kannst deine echten Überzeugungen niemals 1:1 verwirklichen. Du mußt immer faule Kompromisse eingehen.“ Und die zweite Regel lautete: „Du mußt einen sehr langen Atem haben.“ Das alles konnte Hans nicht wissen. Aber wenn die Zeit reif war, würde sie ihm das erklären. Ihre Zeit war knapp, denn sie mußte sich auf ein Interview mit dem Magazin „Streitlust“ vorbereiten. Ihr Pressesprecher Konrad Bode hatte den Redakteuren begeistert zugesagt, sie aber erst gestern informiert. Sie war verstimmt, aber absagen wollte sie auch nicht, weil das negativ ausgelegt werden könnte. Ihr blieben noch eine Stunde und 15 Minuten für die Vorbereitung. Sie schrieb Hans eine kurze, verschlüsselte E-Mail und legte seinen Brief in ihren Safe.

      Ihr Handy klingelte, es war die Kanzlerin.

      „Hallo Karin, wir müssen dringend miteinander reden. Hast du eine halbe Stunde übrig?“

      „Was ist so dringend?“

      „Das kannst du dir doch denken – es geht um deine Ankündigung, wir sollten im Kongo intervenieren. Das war nicht abgesprochen. Wir müssen uns verständigen, bevor andere daraus einen Widerspruch zwischen uns konstruieren.“

      „Aber ich bin jetzt ziemlich ausgelastet … In einer Stunde gebe ich ein Interview. Ich muß noch an einigen Formulierungen feilen.“

      „Sie werden dich auf das Thema Kongo festnageln. Also wäre es doch sinnvoll, wenn wir uns eine gemeinsame Linie erarbeiten.“

      Karin war sich bewußt, daß die Kanzlerin eine andere Strategie verfolgte. Während Ruth Stroth glaubte, man müsse den Rechtsnationalen nicht entgegenkommen, hielt Karin das für richtig. Sie wollte die Spannungen in der Koalition zwischen der NSD und den rechten Unionlern abbauen und damit verhindern, daß die Union die Koalition verließ und sich mit den extremen Rechten aus der Opposition zusammentat. Der Hinweis auf eine mögliche Intervention im Kongo war also auch ein Lockmittel. Faßte die Union es positiv auf, war das Weiterregieren einfacher. Was dann letztlich von ihr und der Kanzlerin entschieden wurde, war eine völlig andere Sache. Im Nachhinein konnten sie jede Entscheidung damit rechtfertigen, daß die Umstände nichts anderes zuließen. Danach konnte man erneut mit der Fahne „Kompromißbereitschaft“ winken. Aber das jetzt mit der Kanzlerin zu diskutieren – dazu war die Zeit zu knapp. Also schlug Karin vor:

      „Ich glaube nicht, daß wir das in einer Viertelstunde erledigen können … wie wäre es, wenn du mir vertraust und wir reden hinterher?“

      Die Kanzlerin schwieg einige Sekunden, dann gab sie eine überraschende Antwort:

      „Du willst meine Position also schwächen … oder anders gesagt: mich herausfordern?“

      Jetzt war Karin perplex, doch sie antwortete rasch:

      „Auf keinen Fall, aber die Zeit drängt. Bisher habe ich dir noch nie geschadet oder einen falschen Rat gegeben. Warum kannst du mir nicht vertrauen?“

      „… Vertrauen schon, aber du kannst mir nichts vormachen. Mit der Entscheidung, daß wir – also Deutschland – in Afrika intervenieren, leitest du eine neue Strategie ein. Bevor wir uns dazu entschließen, sollten wir die Sache vom Ende her denken. Wir sollten wissen, wo uns diese neue Linie hinführt. Wo lauern mögliche Gefahren? Welche Kosten kommen auf uns zu? Wer ist für und wer ist gegen uns? Ich hoffe, du verstehst, daß dies ein ernsthaftes Thema ist. Falsch angepacktkann es negative Folgen für uns haben. Aber gut, ich lasse dich erst mal machen. Doch eine offizielle Zustimmung von mir wird es nicht geben, falls ich um ein Statement gebeten werde.“

      Die Kanzlerin legte auf. Karin atmete tief durch. Hatte sie sich durchgesetzt? Ruth war ihre beste Freundin und Förderin. Aber sie hatte noch nie zugelassen, daß Karin ohne Abstimmung mit ihr wichtige Entscheidungen traf. Jetzt aber hatte sich alles verändert. Karin hatte ihr eigenes Ressort und in dieser Position mußte man Entscheidungen treffen. Wenn die Kanzlerin das als Herausforderung begriff, ja, dann offenbarte sie eine Seite ihrer Persönlichkeit, die Karin bisher nicht kannte.

      Karin glaubte, daß ihr Plan perfekt war. Sie wollte dem Morden von Golden Security ein Ende machen und dafür sorgen, daß diese Terrortruppe nicht länger die Preise für das strategische Metall Tantal manipulierte. Ihr war bewußt, daß die deutschen Unternehmen das begrüßen würden. Hörte das Abschlachten der Bevölkerung auf, würde sie auf der internationalen Bühne zusätzlich Lob ernten. Und weiter: Wenn die Rechtsnationalen in der Union durch diese Aktion ruhiggestellt wurden, weil sie glaubten, die neue Außenministerin sei auf ihrer Linie und dadurch das Weiterregieren einfacher würde, dann hatte sie ihr Ziel erreicht. Ob dies eine neue Militärstrategie bedeutete, war ihr egal.

      Drei

      Hans saß in seiner Lieblingskneipe „Ganymed“ im Bahnhof Zoo. Er hatte sich ein Schinkenbrötchen und einen Kaffee bestellt und dachte nach. Er war enttäuscht. Karin hatte ihm nur ein paar Zeilen geschrieben. Sie freue sich, daß er sich gemeldet habe, aber die Zeit wäre knapp. Sie lasse von sich hören, sobald sie wieder durchatmen könne. Kein Wort zum Inhalt seiner „Visionen für einer bessere Welt“.

      Sein Taxifahrerkollege James Baier klopfte ihm auf die Schulter und setzte sich zu ihm. „Na, mein Freund, du bist heute anders. Dich belastet irgendetwas. Wer hat dir den Kopf verdreht und dich dann hängen lassen? Etwa deine ehemalige Gattin?“

      Hans mußte grinsen. Baier hatte manchmal hellseherische Qualitäten. „Ja, du liegst nicht ganz falsch. Ich habe ihr einen ausführlichen Brief geschrieben. Du kennst ja meine ‚Visionen für eine bessere Welt‘ – von Karin keine Zeile dazu. Nur dies: keine Zeit.“

      „Mensch Hans – vergiß das Weib. Die lebt in einer total anderen Welt. Die ist abgehoben. Uns versteht die gar nicht mehr.“

      „Glaube ich nicht. Du übertreibst, wenn du behauptest, sie kann uns nicht mehr verstehen. Ich war fünf Jahre mit ihr verheiratet und die meiste Zeit haben wir uns sehr gut verstanden …“

      „Aber ihr seid schon seit zwei Jahren getrennt. Es ist viel passiert mit ihr. Da, wo diese Frau gelandet ist, herrscht ein anderer Wind – und der verändert die Menschen total.“

      „Ich will dir nicht grundsätzlich widersprechen. Was mich an ihrer Reaktion stört, ist, daß bei ihr immer die Zeit knapp ist. Das erinnert mich an unsere erste Begegnung. Es war an jenem Tag, als die Neue-Welt-Bewegung in Berlin gegründet und wir beide in den Vorstand gewählt wurden. Karin ist ja vier Jahre jünger als ich und sie wollte von Köln nach Berlin ziehen, um hier Jura zu studieren. Ich schrieb damals an meiner Diplomarbeit im Fach Psychologie und hatte mich bei der Polizei um einen Job bemüht. Als ich ihr von meinen beruflichen Absichten erzählte, kommentierte sie das eiskalt mit den Worten: ‚Das paßt doch gar nicht zusammen – unsere Bewegung und die Bullen.‘ Ehrlich gesagt, im ersten Moment habe ich mich wegen dieser Abfuhr ziemlich schlecht gefühlt. Darum schlug ich ihr vor, wir sollten das unbedingt diskutieren. Ihre Antwort: ‚Keine Zeit.‘ Aber dann habe ich ihr erklärt, daß ich kein Bulle werde, sondern ein Spezialist für Konfliktlösungen, und da huschte über ihre Gesichtszüge plötzlich ein Lächeln … ‚Spezialist für Konfliktlösungen‘, wiederholte sie. Sie machte eine Pause und meinte dann mit Begeisterung in der Stimme: ‚Das klingt interessant. Davon will ich mehr wissen.‘ Das reichte mir. Also habe ich sie zum Essen eingeladen. Ihr gefiel ihr sehr, denn wir gingen ins ‚Bruno‘. Ich mußte meine gesamten Ersparnisse investieren. Aber das war der Abend aller Abende. Sie verwandelte sich in einen der liebenswürdigsten Menschen, den man sich vorstellen kann. Und ob du es glaubst oder nicht – über Konflikte und wie man sie löst, haben wir an diesem Abend kein Wort verloren.“

      „Und