Horst Buchwald

Vertraue niemandem


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Häme. Es war eine tolle Zeit mit ihr. Davon verstehst du nichts.“

      „Ich weiß, ich weiß. Du bist der Schuldige – ganz allein. Du hast einen Fehler gemacht und so weiter. Sie war nur lieb. Also – ich bin zwar kein Psychologe, aber meine Diagnose lautet: Du bist masochistisch. Schwer masochistisch.“

      „Okay Herr Student der Psychologie: Was hat ein Masochist mit Schlagsahne gemeinsam?“

      James dachte nach. „Ein Witz soll das werden. Keine Ahnung.“

      „Beides muss man steifschlagen!“

      James lachte dröhnend los.

      Eine halbe Stunde später fuhr Hans einen schweigsamen Gast zum Flughafen Schönefeld. Der ältere Herr hatte sich hinter einer Zeitung verschanzt und zeigte damit, daß er beschäftigt war. Obwohl Hans versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, verfiel er in Gespräche mit Karin, und es liefen wieder und wieder Szenen aus der Vergangenheit in seinem Kopfkino. Ja, für sie war Zeit immer „knapp“. Das lag an ihrem Ehrgeiz, alles Wichtige aus der Politik, Jura oder Ökonomie in Rekordzeit aufzusaugen und in die Praxis umzusetzen. Ihr Tempo war enorm. Er war anders, aber, wie sie rasch merkte, keineswegs weniger effektiv. Während sie die Details liebte, konzentrierte sich Hans auf den Punkt, auf den es ankam. Zusammen waren sie ein sehr starkes Team. Ja, es waren fünf phantastische Jahre! Nach diesem Gedanken war er plötzlich wieder da – der Katzenjammer. Hans wurde traurig und dann zornig über sich selbst. Und merkte erst jetzt, daß sein Gast etwas von ihm wollte:

      „Bitte, fahren Sie mich zu Terminal 2. Hier sind wir falsch.“

      „Oh Pardon.Tut mir leid. „

      Hans nahm die nächste Abfahrt, schaltete die Taxiuhr aus. „Das geht auf meine Rechnung“, und lieferte den Zeitungsleser wenig später an Terminal 2 ab.

      Vier

      Tom Snyder, der Nordeuropa-Chef des internationalen Security-Dienstes TOP, konnte seinem Boß, der in Dubai saß, einen ersten Erfolg melden. Erst gestern hatte er von ihm den Auftrag erhalten, die Kommunikation der neuen Außenministerin „scharf zu beobachten.“ Also hatte er zwei seiner besten Hacker auf sie angesetzt – Germanicus und Fridericus. Beide saßen ihm gegenüber. Sie hatten das Telefonat der Kanzlerin mit der neuen Außenministerin abgefangen und wenig später auch die Mail von Hausner an ihren einstigen Ehemann.

      Snyder las den Bericht und bedankte sich für die gute Arbeit. Dann rief er seinen Chef über die verschlüsselte Leitung an.

      Snyder: „Ich mache es kurz. Die Strategie der neuen Außenministerin bedeutet sehr wahrscheinlich: Es gibt Ärger in der Regierung. Hausner schlägt sich entweder auf die Seite der Expansionisten oder sie benutzt das Thema Intervention im Kongo als Lockmittel, um Ruhe in der Koalition herbeizuführen.“

      Boß: „Für mich steht fest: Wenn die Bundeswehr im Kongo gegen diese Elitetruppe antreten will, muß sie sich ziemlich warm anziehen. Das wird kein Waffengang, der in einem Monat abgeschlossen werden kann. Und man darf ja nicht vergessen: Sie beherrschen den Tantalmarkt. Die neue Ministerin weiß nicht, was sie da angestoßen hat. Ein ziemlich blöder Anfängerfehler. Entscheidend ist aber, daß sie von rechts gestützt wird und daß es auch in der Bevölkerung Verständnis für diesen ‚gerechten Krieg‘ oder ‚humanitäre Aktion‘ gibt.“

      Snyder: „Dann ist das Thema also heiß – ein Streitpunkt zwischen Hausner und Stroth?“

      Boß: „Ohne Zweifel. Die Neue hat die Kanzlerin sofort auf dem falschen Fuß erwischt. Stroth hatte sich ja vorgenommen, ‚jetzt kürzer zu treten‘ und ‚die Annehmlichkeiten der Macht und die damit verbundenen Freiheiten‘ zu nutzen ‚und zu genießen‘.“

      Snyder: „Ich erinnere mich, diese Sätze stammen aus einer Mail an ihren Lover?“

      Boß: „So ist es. Unser Mann ist perfekt. Sie ahnt überhaupt nichts. Aber das Verhältnis zwischen den beiden könnte ein Problem werden.“

      Snyder: „Warum das?“

      Boß: „Wenn die Kanzlerin sich gegen Hausner stellt und zwar in einer so wichtigen Frage, sich dann die Kräfteverhältnisse in der Partei und in der Regierung zugunsten von Hausner entwickeln, was ich gegenwärtig vermute, dann ist der Job der Kanzlerin gefährdet. In dem Fall ist unser Lover nichts mehr wert, weil die Kanzlerin nach verlorenem Machtkampf zurücktreten muß. Folgt Hausner ihr nach, wen platzieren wir in einer ähnlichen Position wie unseren Lover?“

      Snyder: „Da gibt es diesen Taxifahrer, der zu seiner ehemaligen Frau wieder Kontakt aufgenommen hat.“

      Boß: „Richtig. Den müssen wir im Auge behalten und im Fall der Fälle trickreich nachhelfen.“

      Snyder: „Wird gemacht. Bis demnächst, Boß.“

      Fünf

      Henry Lawrence war außer sich. Wieder mal sah es so aus, daß die TOP-Leute schneller waren. Der Berliner CIA-Chef geriet dadurch in Bedrängnis. Denn offensichtlich hatte sein Konkurrent Snyder es geschafft, einen eigenen Mann im unmittelbaren Umfeld der Kanzlerin zu installieren. Das Gespräch zwischen Snyder und seinem Boß in Dubai, das ihm die NSA entschlüsselt übermittelt hatte, ließ daran keine Zweifel. Und jetzt planten sie auch schon für den Fall der Fälle – dem Rücktritt der Kanzlerin und der Annahme, daß die neue Außenministerin die Nachfolgerin wird. Lawrence sah in diesem Fall jedoch auch eine Chance für sich. Denn es war ja nicht unmöglich, diesen Taxifahrer für seine Interessen einzusetzen.

      Einschub:

      Aus dem Brief von Hans Kolbe an seine ehemalige Frau Karin:

      „E-Mails wurden einst von Wissenschaftlern erfunden, die sich vertrauten. Inzwischen sind E-Mails so vertraulich wie eine Postkarte. Doch viele wollen es nicht wissen, andere ignorieren es und beruhigen sich mit der Formel ‚Ich habe doch nichts zu verbergen‘ oder stellen sich die unsinnige Frage: ‚Wer interessiert sich schon für meinen Alltag?‘ Nur ein kleiner Kreis der Nutzer setzt Verfahren wie Authentifizierung, Signierung und Transportve rschlüsselung ein. Warum machen das so wenige? Die meisten Menschen hassen Komplikationen und sie lieben Bequemlichkeit. Verschlüsselungstechnik ist für sie so schwierig wie die Relativitätstheorie. Darum ist sie kaum verbreitet.

      Heute haben all jene, die sich über Milliarden Menschen ein genaues Bild machen wollen, beste Chancen. Wie machen sie das?

      Lauschangriffe auf E-Mails können innerhalb des Systems Internet an jeder Stelle stattfinden: Per Trojaner auf dem Absender- und Empfänger-Gerät, auf den Mail-Relays der Provider und vor allem während des Transports durch das Internet.

      Geheimdienstler haben Zugriff auf den E-Mail-Verkehr aller wichtigen Provider: Microsoft, Google, Yahoo und AOL. Sie kontrollieren den Mail-Verkehr, der über die Unterseekabel im Mittelmeer, dem Nahen Osten und an der britischen Küste verläuft.

      Die riesigen Datenmengen, die dabei abgesogen werden, landen in einem Data-Warehouse – das ist wie eine riesige Festplatte, von der die gespeicherten Daten mit spezieller Software, die die neueste Forensik-Technik verwendet, zu jedem Zeitpunkt ausgewertet werden. Für was? Wer die Verhaltensweisen von Milliarden Menschen im Alltag kennt, ihre Vorlieben, ihr Sündenregister, ihre Ziele, ihre Wünsche, ihre Geheimnisse, ihr Vermögen, ihre Schulden, ihre Krankheiten – einfach ALLES! – der wird eines Tages in der Lage sein, ihr Verhalten vorauszuahnen und er wird die Menschen so formen, wie sie die Mächtigen dieser Welt haben wollen. Menschen sind dann nur noch Schäfchen, die nach Belieben manipuliert werden können. Das Menschsein wird dann von diesem Erdball verschwinden.“

      Sechs

      Karin empfing die Redakteure Olaf Franz und Heinz Grünbaum vom Magazin „Streitlust“. Ihr Pressesprecher Konrad Bode sondierte die Thematik. Er fragte ganz offen:

      „Worauf läuft das Gespräch hinaus? Was wollen Sie wissen?“

      Olaf Franz, ein etwa 50-jähriger, schlanker, grauhaariger Marathontyp mit tiefen Falten in der Stirnregion, übernahm nach einem kurzen Abnicken