Horst Buchwald

Vertraue niemandem


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der Kanzlerin nicht geteilt wird. Es ist also eine Provokation.“ Er schluckte und schaute etwas verunsichert in die Runde, weil die Ministerin ihren abstrafenden Oberlehrerblick auf ihn richtete. Doch Bode hakte nach:

      „Ist das alles? Sie wollen nichts darüber wissen, inwiefern die Ministerin dabei vor allem eines im Sinn hat: Sie will das Abschlachten tausender Unschuldiger beenden, die Manipulationen mit dem Tantalpreis unterbinden und dort unten endlich Frieden schaffen?“

      Nun stoppte Heinz Grünbaum seine Kritzelein auf dem Block vor ihm, setzte ein breites Lächeln auf und kommentierte:

      „Frieden? Frieden? Was ist daran friedlich, wenn wir dort einmarschieren? Wie kann man Frieden mit Panzern schaffen? Ist das nicht die alte Leier? Mir scheint, es ist ein Rückschritt. Nach unseren Informationen wird das kein Spaziergang. Diese Terroristen sind den meisten deutschen Soldaten an Kampferfahrung und Ausrüstung klar überlegen. “

      Karin kannte Grünbaum schon aus den Zeiten der Neue-Welt-Bewegung. Weil er nur manchmal realistische Vorstellungen hatte und zum Recherchieren zu faul war oder in die Themen nicht tief genug eindrang, kam es häufig zu Mißverständnissen. Die Folge davon waren Verdrehungen, Unterstellungen und Spekulationen. Ob linke oder rechte Politiker, sie hüteten sich alle vor ihm. Aus diesem Grunde wollte Karin gerade jetzt kein Risiko eingehen. Grünbaum war auf Ärger aus. Er wollte Krawall zwischen ihr und Ruth erzeugen. Nein, dabei wollte sie nicht mitwirken. Sie erhob sich und stellte klar:

      „Wenn das Ihre Position ist, dann brauchen sie mich ja nicht mehr. Schreiben Sie, was Sie denken. Ich will Ihre wertvolle Zeit nicht verschwenden. Vielen Dank, daß Sie sich hierher bemüht haben.“ Dann verließ das Zimmer.

      Die beiden Redakteure von „Streitlust“ waren empört und doch wieder nicht. Olaf Franz, der mit Bode einst in der Redaktion der „taz“ gearbeitet hatte, kommentierte unerbittlich: „Der Ministerin paßt das also nicht. Diskutieren will sie auch nicht. Hat sie was zu verbergen? Gibt es Ärger mit der Kanzlerin?“

      Bode antwortete: „Ich möchte Ihnen keine Vorschriften machen, wie man ein Interview führt. Aber meinen Sie nicht, daß Sie ziemlich brutal mit der Tür ins Haus gefallen sind?“

      Grünbaum reagierte sauer: „Sie haben uns aufgefordert, zu sagen, worum es geht, das haben wir getan. Der Ministerin paßte das nicht. Ja, es schien uns, als wäre sie noch nicht eingearbeitet, als hätte sie übereilig und unüberlegt eine Entscheidung getroffen, und nun muß sie möglicherweise den Rückzug antreten, sofern die Kanzlerin sich dagegenstellt. Also – was ist das? Ein grandioser Fehlstart. Ich habe mich ohnehin schon gefragt, ob Frau Hausner die geeignete Person für den schwierigsten Job in der Regierung ist.“

      Bode erkannte, die beiden würden morgen einen Artikel veröffentlichen, der es in sich hat. Ändern konnte er das sowieso nicht. Also reichte er ihnen die Hand und verabschiedete die beiden mit den Worten:

      „Wenn es noch Fragen gibt – ich stehe gern zur Verfügung.“

      Sieben

      Hans googelte Artikel über Karin und erfuhr, daß der Unternehmensberater Michael Benn ihr neuer Begleiter war. Benn wohnte in Zehlendorf und war Partner in einer renommierten Wirtschaftsprüfergesellschaft. Die beiden gingen gerne essen. Ihr Lieblingsrestaurant war das „Inferno“ in der Bleibtreustraße. Als er eine Stunde später einen Kunden vor dem Hotel Kempinski am Kurfürstendamm absetzte und ein anständiges Trinkgeld kassierte, nahm er sich eine Auszeit und fuhr in die Bleibtreustraße. Etwa 200 m vom „Inferno“ entfernt, fand er eine Parklücke. Von dort schlenderte er gemächlich am Restaurant vorbei. Fast jeder Tisch war besetzt. Dann sah er, daß die Tür zum Hinterhof geöffnet war. Hans konnte seine Neugier noch nie zügeln. Er ging hinein. An den Mülltonnen bemerkte er eine junge Frau, die Flaschen und Essensreste in die Tonnen warf. Da er schwarz gekleidet war und seine Turnschuhe kaum Geräusche erzeugten, erschrak die junge Dame furchtbar, als er neben ihr auftauchte und ihr einen guten Abend wünschte. Sie wich zurück und hatte plötzlich eine Taschenlampe in der Hand. Damit leuchtete sie ihm direkt ins Gesicht. Hans war sofort geblendet, mühte sich um ein sanftes Lächeln, hob die Hände über den Kopf und sagte:

      „Keine Angst, ich tue Ihnen nichts. Ich bin unbewaffnet. Ich wollte nur mal erkunden, ob es sich lohnt, in diesem Restaurant zu essen.“

      Das Mädchen knipste die Lampe wieder aus. Für einen Moment war Hans immer noch geblendet.

      „So, so … und darum wollten Sie in den Mülltonnen mal die Reste analysieren? Sehr klug. Auf diese Idee sind nicht mal die Leute von Michelin gekommen, als sie uns vor drei Wochen den zweiten Stern verliehen.“

      Das Mädchen war etwas kleiner als er. Ihre blonden Haare waren hochgesteckt. Sie strahlte Gewitztheit aus. Obwohl sie sehr sportlich wirkte, war sie keine dürre Schönheit, sondern fraulich, mit gut geformten Brüsten und sanften Rundungen. Seit langem mal wieder ein weibliches Wesen, daß ihn sofort in den Bann zog.

      Hans tat erstaunt:

      „Echt, zwei Sterne hat dieses Restaurant? Welche Spezialitäten gibt es denn hier?“

      Ihren Gesichtszügen entnahm Hans, daß sie ihn abcheckte und sich zu fragen schien: Na, kann der sich ein Zwei-Sterne-Restaurant überhaupt leisten? Ergebnis: Niemals. Der muß ein ganzes Jahr auf ein Menü sparen. Aus dem Abschätzen wurde eine abschätzige Miene. Aber das ignorierte Hans. Es war ihre Stimme, tief und etwas rau, die ihn faszinierte. Und sie redete auch schon weiter.

      „Geben Sie es zu … Sie haben keine Ahnung, was in so einem Restaurant abläuft! Aber trösten Sie sich, bis vor einem halben Jahr habe ich meinen Kartoffelbrei auch nur aus der Tüte zubereitet. Kochen Sie manchmal?“

      „Was heißt manchmal? Ich koche seit Jahren regelmäßig und gerne.“

      Sie war überrascht. Dann lächelte sie … und schwieg … und musterte ihn von oben bis unten. Beide musterten sich ….und wie es manchmal so läuft, fanden sie vorsichtig Gefallen aneinander. Hans hatte die rettende Idee:

      „Wenn Sie mögen, lade ich Sie mal in meine Sterneküche ein.“

      Wieder lächelte sie und es gab keinen Zweifel – sie fand ihn attraktiv und interessant und war neugierig. Hatte sie grüne Augen? Wie Karin? Diesen Gedanken schob er sofort beiseite. Aber er tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Als er Karin zum ersten Mal begegnete, war der Ablauf ähnlich.

      Sie hob die Hände und lächelte. Schwer zu deuten? Eine Art Abwehrhaltung?

      “Also ich muß schon sagen – das geht ja sehr schnell mit Ihnen. Sie kennen mich ja überhaupt nicht, ich Sie auch nicht. Und außerdem muß ich jetzt wieder zurück an meinen Arbeitsplatz.“

      Hans kapierte – sie verkomplizierte seine Situation und setzte ihn einem stärkeren Test aus. Indem sie fortging, erwartete sie, daß er den richtigen Einfall hatte, um sie doch noch zu einem gemeinsamen Essen überreden zu können. Also griff Hans in seine Brusttasche und holte eine Visitenkarte heraus. „Rufen Sie mich bitte an, wenn Sie frei haben. Vielleicht wollen Sie mich ja mal unverbindlich kennenlernen.“

      Sie nahm die Karte, steckte sie in ihre Schürze.

      „Okay. Am Mittwoch habe ich frei. Ich rufe an.“

      Acht

      Sie hatten es nicht anders erwartet. Das Magazin „Streitlust“ brachte einen Artikel, der sich auf zwei zentrale Aussagen konzentrierte: 1. Die neue Außenministerin treibt das Land leichtfertig in einen Konflikt, der sehr schnell in einen größeren Krieg ausarten kann. 2. Sie hat vermutlich nicht die Unterstützung der Kanzlerin. Deren Sprecher stimme dem nicht zu, dementiere aber auch nicht.

      Kaum hatten Karin und ihr Pressesprecher den Artikel besprochen, bemerkte sie auf dem Display ihres Handys, daß die Kanzlerin anrief.

      „Wie ist es heute um 14 Uhr bei mir im Büro. Ich spendiere auch einen guten Cappuccino.“

      Karin spürte, daß die Kanzlerin vorerst nicht auf Konfrontation aus war. Wenn es mal Differenzen gab, war der Cappuccino das Symbol für die Friedenspfeife.