Manfred Rehor

Czordan und der Millionenerbe


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groß, dass sie in den nächsten Tagen ermordet wird. Das lehrt die Erfahrung.“

      „Wie bitte?“

      „Sie wird ermordet werden“, sagte er im Tonfall eines ungeduldigen Lehrers, der zum wiederholten Mal eine Selbstverständlichkeit vorbeten muss.

      „Und was unternehmen wir dagegen?“

      „Nichts. Die Polizei gewährt auf bloßen Verdacht hin keinen Personenschutz. Du könntest das übernehmen, aber dich brauche ich hier im Büro.“

      „Das ist zynisch.“

      „Ich nenne es Realitätssinn. Wenn Frau Ahner sich an meinen Ratschlag hält, ist sie sicher.“

      „So viel Vernunft wird sie wohl haben“, sagte ich, ohne recht daran zu glauben.

      „Zum Detektiv fehlt dir die Menschenkenntnis.“

      „Wenn es nur das ist.“

      Das war nun doch zu vorlaut. Czordan schüttelte drohend den Zeigefinger in meine Richtung, als er erwiderte: „Was kannst du denn? Kämpfen, schießen, Personen schützen. Deshalb habe ich dich eingestellt. Aber wahre Detektivarbeit hat mit Köpfchen zu tun. Mit Menschenkenntnis, tiefer Einsicht in die Seele Anderer wie in die eigene, und der Fähigkeit, logisch zu denken. Das macht den Detektiv aus! Nicht die Waffe im Schulterhalfter.“

      „Tut mir leid, aber das stand nicht in der Annonce, auf die ich mich gemeldet habe.“

      „Pah! Ich werde dich ausbilden. Die richtigen Anlagen für diesen Beruf hast du. Über das nötige Wissen verfüge ich.“

      Das bot mir die seltene Möglichkeit, mehr über die Vergangenheit des Alten herauszufinden. Er erzählte nur gelegentlich davon und was er sagte, widersprach sich auch manchmal. Ich versuchte, ihn mit einer weiteren abfälligen Bemerkung aus der Reserve zu locken: „Da redete der Fachmann - auch wenn er bisher nur Inhaber einer ‚Wissenschaftlichen Auskunftei‘ war.“

      Es funktionierte!

      „In New York habe ich dreißig Jahre lang als Detektiv gearbeitet. Als private eye mit fünf Festangestellten! Erst hier in Berlin musste ich mir etwas Anderes einfallen lassen. Ich gebe zu, die Idee, mein Allgemeinwissen zu Geld zu machen, war nicht sonderlich erfolgreich. Also kehre ich nun zurück zu der Tätigkeit, für die ich über ein Talent verfüge wie wenige Andere. So oder so, die Investition in die Maschinen macht sich auf jeden Fall bezahlt.“ Czordan deutete auf die Tür, die in unsere Bibliothek und von dort aus in den Computerraum führte. „Jetzt geht es darum, das auch für die Investitionen in Menschen zu erreichen.“

      Da er mich dabei ansah, schlussfolgerte ich, dass ich eine dieser Investitionen war. „Möge Ihre Rendite weit über dem Marktüblichen liegen. Was soll ich tun, um nicht als totes Kapital zu gelten?“

      Er stand auf und streckte sich. „Arbeiten“, sagte er.

      „Gut, ich bleibe noch eine Weile hier. Vielleicht kommt ein weiterer Klient herein getorkelt.“

      „Du wirst ein Protokoll des Gesprächs mit Frau Ahner in den PC tippen. Anschließend fährst du zu diesem Imbiss und siehst dich dort um.“

      Czordan ging durch die Hintertür nach oben in seine Wohnung.

      Er hatte mich drangekriegt. Ich setzte mich an den Computer und schrieb auf, was mir im Gedächtnis geblieben war. Anschließend fuhr ich zu Joschi‘s, gönnte mir eine Currywurst und erkundigte mich nach der alten Frau, die sonst abends dort arbeitete.

      „Ist heute früher gegangen“, war alles, was ich aus dem dicken Imbissbesitzer herausbekam. Als ich nachhakte, musterte er mich misstrauisch, wandte sich ab und fing mit einem anderen Kunden ein Gespräch an.

      Leute aushorchen konnte ich also noch nicht. Aber da ich erst dabei war, das Detektivhandwerk zu erlernen, machte ich mir nichts daraus und begab mich auf die Suche nach den Müllcontainern. Sie standen fünfzig Meter vom Imbiss entfernt. Einer davon hatte eine waagerechte Schramme entlang der Vorderseite. Als ich mich bückte, um nach Farbresten zu suchen, die der Wagen vielleicht hinterlassen hatte, fühlte ich, dass ich beobachtet wurde. Langsam richtete ich mich auf.

      Im Dunkel des nächsten Hauseingangs stand eine Frau und sah herüber. „Hallo, Süßer, einsam heute Abend?“, fragte sie mit osteuropäischem Akzent.

      „Nein, aber neugierig“, sagte ich und ging auf sie zu. „Vorhin ist ein Wagen ...“

      Sie verschwand blitzartig im Haus. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Ich hörte das leiser werdende Stakkato ihrer Stöckelschuhe, als sie durch den Hausflur davon rannte.

      Kapitel 2

      Am folgenden Tag erschien ich pünktlich um zehn Uhr im Büro. Das war normalerweise nicht meine Zeit, aber ich wollte guten Willen zeigen.

      Czordan erwartete mich, was ungewöhnlich war. Ich fürchtete schon, er hätte schlechte Nachrichten über Frau Ahner, aber er wünschte nur knurrig „Guten Morgen!“ und ging mit seinem täglichen Stapel Zeitungen nach oben.

      Auf dem Anrufbeantworter war keine Nachricht, also fuhr ich den PC hoch und überflog die Liste der Emails, von denen fast alle unerwünschte Werbung enthielten. Eine als wichtig gekennzeichnete Mail mit einem verschlüsselten Anhang stammte von Ronald Swoboda, dem freiberuflichen Detektiv, den Czordan als Hilfe angeheuert hatte.

      Ron arbeitete an einem Fall von Industriespionage. Czordans ‚Wissenschaftliche Auskunftei‘, die nur aus ihm selbst bestand, recherchierte unter anderem für eine Hightech-Firma in Berlin-Adlershof. Als deren Chef sich beiläufig beklagte, dass die chinesische Konkurrenz wichtige Patente und Infos über Verfahrensabläufe in kürzester Zeit in die Hände bekam, bot Czordan an, die undichte Stelle in der Firma zu finden. Das war der Auslöser, der zur Gründung der Detektei führte.

      Seit einigen Tagen war Ron unterwegs, um sich das Umfeld des Betriebes genauer anzusehen. Sein Bericht erwies sich als fünf Seiten lange Aufzählung von Orten, Uhrzeiten und Beobachtungen. Ich formatierte das Dokument um und druckte es für Czordan aus. Der Alte las nicht gerne am PC. Dann ging ich Rons Informationen gründlich durch. Das einzig Chinesische, das er entdecken konnte, war das Chinarestaurant, in dem die Mitarbeiter der Firma mittags aßen, weil der Betrieb keine Kantine hatte.

      Ansonsten bot sich das übliche Durcheinander menschlicher Beziehungen: Der Vorsitzende des Vorstandes, ein Mensch namens Raineri, verheimlichte seine Vorliebe für lederbekleidete käufliche Frauen; das war der Mann, der Czordan beauftragt hatte. Der Leiter der Entwicklungsabteilung hatte ein Verhältnis mit seiner Sekretärin. In der Wohnung der Chefbuchhalterin lebte ein illegal eingereister junger Kubaner. Der Chef der Qualitätssicherung betrog seine Frau mit einem achtzehnjährigen Azubi. Ron war sicher, er würde noch mehr herausfinden, wenn man ihm genügend Zeit ließ.

      Die meisten Führungskräfte dieser Firma waren also wegen ihres Privatlebens erpressbar und kamen als Informanten der Chinesen in Frage. Ron riet, sie rund um die Uhr zu beschatten.

      Als Czordan kurz vor zwölf herunterkam, um die Post durchzusehen, legte ich ihm Rons Bericht vor. Er überflog ihn, grunzte abschätzig und warf ihn in den Aktenvernichter, der das Papier mit einem hässlichen Geräusch zu Schnipseln verarbeitete. „Ron hat nicht verstanden, worauf es ankommt“, sagte er. „Fahr hin und prüf es nach.“

      „Gerne. Was soll ich prüfen?“

      „Wenn sich die Mitarbeiter in dem Restaurant wie in einer Kantine fühlen, dann reden sie dort auch über berufliche Themen.“

      „Und die Serviererinnen hören mit einem undurchdringlichen asiatischen Lächeln zu und berichten es weiter.“

      „Was spricht dagegen?“

      „Die Serviererinnen in Berliner Chinarestaurants stammen überwiegend aus Vietnam und verstehen kaum genug Deutsch, um die Bestellung aufzunehmen.“

      „Finde heraus, ob das dort auch so ist!“

      Das klang wie ein Befehl, also machte ich