Manfred Rehor

Czordan und der Millionenerbe


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und erarbeitete mir nach und nach ein Verständnis dafür, um was es eigentlich ging. Anschließend sah ich mir an, was Czordan sich bereits zu diesen Themen notiert hatte. Was auch immer sonst im Kopf des Alten vorgehen mochte: Er verfügte über ein enormes Faktenwissen. Ich glaubte ihm gerne, wenn er behauptete, viele der abertausend Bände seiner privaten Bibliothek habe er nicht nur ein Mal gelesen.

      Zwanzig nach sechs kam er herunter. Er hatte glasige Augen, seine dünnen weißen Haare standen wirr nach oben weg, Essensreste hingen in seinem Ziegenbart. Etwas Unverständliches vor sich hin grummelnd griff er sich die Papiere vom Schreibtisch und verschwand wieder nach oben.

      Er verpasste so um wenige Minuten den zweiten Besuch von Frau Ahner. Sie war angetrunken und drehte sich suchend mit tapsenden Bewegungen um sich selbst, nachdem sie das Büro betreten hatte: „Is dein Chef nich da? Macht nichts, sag ich es eben dir: Meine Tochter ...“

      Ich führt sie zu einem Besucherstuhl.

      „Also, die Renate, was meine Tochter ist, die lebt in Dortmund. Hat ihre Arbeit verloren und kellnert nur noch, verdient nicht viel. Die soll nach Berlin kommen. Weil, mein Herbert wird senil. Parkinson, sagt der Arzt. Ist zu anstrengend für mich allein.“

      „Verständlich“, sagte ich. „Möchten Sie ein Glas Wasser?“

      „Hör auf, mich zu veräppeln, das ist ernst! Die Renate soll kommen und meinen Herbert pflegen. Sie kann bei uns wohnen oder sich ne Wohnung in der Nähe suchen. Geht ja alles, wenn man Geld hat.“

      „Sie meinen die Belohnung.“

      „Genau, Blondköpfchen, ich meine die Belohnung. Ich brauche sie dringend, für die Renate, weil das mit meinem Herbert ...“

      „Habe ich verstanden. Herr Czordan wird gleich morgen früh noch einmal nachhaken, damit Sie die Belohnung so schnell wie möglich bekommen. Soll ich Sie heimbringen?“

      „Nee, ich muss jetzt Arbeiten gehen. Zum dicken Joschi. Hab ich ihm versprochen.“ Sie stemmte sich hoch und ging zur Tür.

      „Herr Czordan hat Ihnen davon abgeraten.“

      Sie schüttelte sich, als hätte sie auf etwas Bitteres gebissen. „Auf die Ratschläge von Männern höre ich schon lange nicht mehr. Man muss selbst entscheiden, was man tut. Ich gehe arbeiten.“

      „Ich fahr Sie hin.“

      „Danke, is nett gemeint, aber ich geh zu Fuß. Die Zeit habe ich noch. Mache ich immer so. Bis ich dort ankomme, bin ich wieder klar im Kopf. Nen schönen Abend noch.“

      Ich sah ihr nach. Mit jedem Schritt in die Dunkelheit ging sie sicherer und aufrechter. Eine Aufgabe, und sei es nur der Verkauf von Currywurst, gibt dem Menschen eben doch etwas, das er braucht. Mit diesem erhebenden Gedanken machte ich Feierabend.

      Es war das letzte Mal, dass ich Frau Ahner sah.

      Kapitel 3

      Mittwochmorgen kam Czordan nicht herunter, um sich seine Zeitungen zu holen. War der große Detektiv indisponiert? Was ja bei seinem Alter von rund siebzig Jahren durchaus vorkommen konnte. Vielleicht leistete er sich deshalb einen Angestellten, also mich, der das Büro am Laufen hielt.

      Ich war mir im Klaren darüber, dass ich mit meiner Arbeit mein Gehalt nicht annähernd erwirtschaftete. Was sich Czordan dabei gedacht hatte, einen ehemaligen Personenschützer für das Büro anzuheuern, wusste nur er allein. Auch als Detektiv war ich eigentlich ungeeignet. Das war ein Job für jemanden wie Ron, der vom Typ her unauffällig war. Mit meiner kräftigen Statur, den kurzen blonden Haaren und meiner Vorliebe für gut geschnittene Anzüge fiel ich dagegen sofort ins Auge.

      Um elf erschien Gregoria mit einem Satz Kabel, die sie im Computerraum installierte. Sie sagte etwas von „besserer Dämpfung“, aber ich hörte nicht zu, weil ich von dieser Technik zu wenig verstand.

      Als sie fertig war, setzte sie sich auf Czordans Stuhl. Sie war so klein wie er, aber vier Mal so schwer. Trotzdem war sie mit ihren achtundzwanzig Jahren eine attraktive Frau. Was auch an den hellroten Haaren und ihrem blassen Teint lag, der sie frisch und kühl wirken ließ. Im Gegensatz zu ihrer türkischen Freundin Ayse, die eher der dunkle, feurige Typ war - aber das ist ein anderes Thema.

      „Deine Geschäfte gehen gut“, stellte ich fest. Gregoria verdiente ihr Geld als selbständige IT-Beraterin, wobei sie mehr vom Aufstellen und Betreuen der Computer lebte, als von der Beratung.

      „Wie kommst du darauf?“

      „Dein neuer Wagen. Eine Klasse besser als der letzte.“

      „Geleast. Stimmt, es läuft im Moment alles rund. Was nicht heißen soll, dass ich ausgelastet bin. Habt ihr in der Auskunftei irgendwelche technischen Anfragen, die ich bearbeiten kann?“

      „Im Moment nicht. Außer, du verstehst etwas von neuassyrischer Kanalbautechnik. Ein reicher Hobbyarchäologe bezahlt Czordan dafür, bestimmte Einzelheiten darüber in Erfahrung zu bringen.“

      „Nicht mein Gebiet. Hat sich Czordan schon zu meiner Idee geäußert?“

      „Er will lieber Detektiv sein, als in weitere Computerkapazität zu investieren. Obwohl auch eine Detektei ein elektronisches Gedächtnis gut gebrauchen kann.“

      „Jeder braucht das heutzutage. Die drei Mal achthundert Terabyte werden nicht mehr lange reichen. Ich könnte euch einen neuen RAID ...“

      Ich hob die Hände. „Ich ergebe mich. Lass uns über etwas Schöneres reden.“

      „Ayse braucht mal wieder Geld. Czordan kann sie zurzeit wohl nicht beschäftigen?“

      „Sie könnte höchstens mir die Arbeit wegnehmen.“

      „Verstehe. Aber vielleicht kennt er jemanden, der eine Sekretärin sucht.“

      „Czordan kennt vermutlich eine Menge Leute. Aber ich glaube nicht, dass darunter Geschäftsleute sind.“

      „Sondern?“

      „Wenn ich das wüsste. Sein Privatleben ist mir so unbekannt wie der Stand seines privaten Bankkontos.“

      „Wie wäre es, wenn Ayse und ich in der Detektei mitarbeiten? Wir könnten Leute beschatten oder was man sonst so treibt als Detektiv.“

      „Ich werde deinen Vorschlag wohlwollend prüfen und ihn höheren Orts vortragen“, versprach ich.

      „Tu das. Ein wenig Abwechslung wäre meinem Befinden ganz zuträglich.“

      Wir kamen nicht dazu, weiter zu tratschen, weil das Telefon klingelte. Der interne Klingelton, also konnte es nur Czordan sein.

      „Guten Morgen!“, grüßte ich ihn.

      Gregoria zwinkerte mir zu, denn es war kurz vor zwölf Uhr.

      Ich lauschte seinen gegrunzten Anweisungen und legte dann auf. „Er will Zeitungen und Post hochgebracht haben“, berichtete ich.

      „Tu deine Pflicht. Ich gehe.“

      Ich ließ Gregoria hinaus und schloss hinter ihr ab.

      In der Post war ein Schreiben aus den USA, Absender eine Smith Agency in Danbury, CT. Vermutlich erwartete er das so dringend. Durch das hintere Treppenhaus ging ich nach oben in den ersten Stock. Dort hatte sich Czordan drei Wohnungen zu einer großen Suite umbauen lassen. Selbstverständlich mit Schallschutz, Klimaanlage und was sonst noch alles Standard war in New York - wenn man ihm Glauben schenkte. Da ihm das Haus gehörte, konnte ihm keiner dreinreden.

      Das Treppenhaus war durch Bewegungsmelder und Kameras gesichert. Auch das war angeblich in New York so üblich. Ich brauchte nicht zu klingeln. Als ich vor der Tür stand, öffnete sie sich von alleine.

      Czordan lag in einem großen Sessel. In der Rechten hielt er die Universal-Fernbedienung, mit der er die Tür geöffnet hatte. Ein süßlicher Geruch hing in der Luft, die von der Klimaanlage auf arktische Temperaturen herunter gekühlt wurde. Durch den Raum dröhnten die Schläge einer Bassgitarre und das Krächzen