Dr. Rainer Schneider

Wege aus der Angst. Psychologische Ursachen und praktische Lösungen


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      Abbildung 1: Neuroanatomische Darstellung der Amygdala

      Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, dass Angst unmittelbar und automatisch erlernt wird. Manchmal reicht eine einzige negative Erfahrung aus, um eine Angstreaktion auszubilden. Das geht über einfache Lernmechanismen wie dem klassischen oder operanten Konditionieren. Nehmen wir als Beispiel die Zahnarztangst (Dentophobie), die relativ weit verbreitet ist. Hier genügt manchmal schon eine einzige negative Lernerfahrung, etwa eine unangenehme Wurzelbehandlung, um eine hartnäckige Vermeidungsreaktion auszubilden. An sich neutrale Reize, wie z.B. der Geruch der Zahnarztpraxis oder das Geräusch eines Bohrers, werden mit dem aversiven Reiz, dem Schmerz, verknüpft, und lösen so die Angstreaktion aus (klassische Konditionierung). Dabei spielt es keine Rolle, ob vor der Konditionierung durchweg positive Erfahrungen gemacht wurden. Evolutionsbiologisch kann sich das keine Spezies leisten. Eine Gefahr ist eine Gefahr.

      Eine andere Form des Angstlernens vollzieht sich über operantes Konditionieren, also über das Lernen anhand von Konsequenzen. Wer z.B. beim Streicheln eines Hundes gebissen wird, wird diese negative Erfahrung so schnell nicht los und macht möglicherweise um eine bestimmte Hunderasse (oder gar alle Hunde) fortan einen großen Bogen. Er entwickelt also eine Hundephobie (Canophobie).

      Wie auch immer eine Angstreaktion entsteht, sie ist in den meisten Fällen relativ löschungsresistent. Es braucht seine Zeit, bis sie wieder verlernt wird. Das Verlernen geht über alternative Reiz-Reaktions-Verknüpfungen, beim klassischen Konditionieren also dadurch, dass z.B. Schmerzen beim Zahnarzt ausbleiben (was in Abhängigkeit des Zahnstatus bzw. der Ernährungsgewohnheiten auch länger dauern kann) und beim operanten Konditionieren dadurch, dass man nur Hunden begegnet, die definitiv nicht beißen (was u.U. leichter zu bewerkstelligen ist). Man muss also erst wieder gegenteilige Erfahrungen machen, die dem Reiz seinen bedrohlichen Charakter nehmen. Angstphänomene sind jedoch durchaus komplex, so dass einfaches Löschen u.U. alleine nicht ausreicht, sich der Angst wieder zu entledigen. Ich werde bei der Besprechung der verschiedenen Formen von Angst darauf näher eingehen.

      Ängste werden nicht nur gelernt, sie werden auch vermittelt. Beim sogenannten stellvertretenden Lernen genügt allein die Beobachtung einer negativen Erfahrung einer anderen Person, um selbst eine Angstreaktion auszubilden. In der Psychologie nennt man diesen Mechanismus Beobachtung- oder Modelllernen. Im Falle der Angst könnte man ihn auch Angstinduktion durch Antizipation nennen. Entscheidend ist natürlich, dass man bestimmte logische Bedingungen bzw. Gesetzmäßigkeiten für sich selbst auch an- bzw. übernimmt. Es ist z.B. gar nicht so selten, dass Kinder Ängste ihrer Eltern übernehmen, denn diese sind ja Rollenvorbild und Schutzperson in einem. So überträgt sich Angst, auch wenn das nicht beabsichtigt wird. Diese Übertragung (Induktion) ist auch kulturell Normen unterworfen.

      Ängste werden auch tradiert. Viele US-Amerikaner haben z.B. eine geradezu manische Angst vor Ansteckung durch Keime, Viren und Bakterien (17). Sie setzen sie nach jedem Kontakt mit Gegenständen oder Menschen ein. Überall wird ein böser Keim, eine hinterhältige Bakterie oder ein fieses Virus vermutet. Das Böse ist quasi immer und überall. Dass diese Angst sehr suggestibel für allerlei sinnlose Schutzmaßnahmen macht, können Sie sich leicht denken. Und das ist gleichzeitig auch ein Hauptgrund dafür, warum unser stammesgeschichtliches Erbe der Steinzeitangst uns als Neuzeitmenschen oft ein Bein stellen kann: Mehr und mehr Ängste sind nicht mehr konkret greifbar, sondern werden zunehmend abstrakt: Arbeitsplatzverlust statt Säbelzahntiger, Ehekrise statt Waldbrand.

      Es handelt sich hierbei um eine weit verbreitete Form von Angst: Die Angst durch rationale Vermittlung über (Miss)Information. Was meine ich damit?

      Im heutigen Informationszeitalter werden wir von Geschehnissen aus zweiter Hand geradezu überflutet. Wie wir die Welt sehen, was wir von ihr erwarten und wie wir uns auf sie einstellen sollen, überlassen wir Medien, der Politik und Meinungsmachern. Da sich verständlicherweise die meisten Menschen um ihre Gesundheit, ihre Nachkommen, Frieden und Wohlstand usw. sorgen, wird ihre Gefühlswelt maßgeblich davon beeinflusst, welche Informationsquellen auf sie einströmen. Dass Information Angst macht, hat jeder schon selbst erfahren. Allerdings ist es schwer, genau zu entscheiden, ob für diese Angst immer auch ein echter Anlass besteht. Zum Beispiel stehen nicht hinter jeder politischen Kampagne Schutz oder Bedürfnis des Bürgers. Vielmehr schüren Entscheidungsträger Ängste, die bestimmten kommerziellen Zielen dienen, die nicht mit den propagierten angstauslösenden Ursachen in Zusammenhang stehen.

      Es wird sie vielleicht verwundern, warum ich an dieser Stelle in diese scheinbar unpassende und populistisch anmutende Diskussion eintrete.

      Lassen Sie es mich erklären. Ich halte Angst durch rationale Vermittlung für sehr wichtig, denn gerade das soziokulturelle Umfeld trägt dazu bei, welche Ängste in einer Gesellschaft aufrechterhalten werden. Außerdem nimmt sie eher zu als ab und viele Menschen wissen erstens nicht, dass es sie gibt und zweitens, wie sie sie abstellen sollen.

      Ich möchte das an einem kleinen Beispiel erläutern. Laut WHO erkranken jährlich weltweit etwa 1 Milliarde Menschen an Influenza. Davon verlaufen 500.000 tödlich; im Schnitt stirbt also jede Minute ca. 1 Mensch (18). Man nennt das Influenza-„Grundrauschen“, das normale Maß an erregerbedingten Erkrankungen.

      Im Jahre 2009 meldeten Ende April über 50 DPA-Meldungen vierzig bestätigte Fälle einer anscheinend äußerst aggressiven Schweinegrippe, die sich laut Vorhersagen unkontrolliert ausbreiten würde. Doch schon einen Tag später gab die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC (Center for Disease Control) Entwarnung. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO von einer Pandemie sprach und die Stufe von 4 auf 5 erhöhte, meldete sie zeitgleich einen Rückgang der Fälle. Das verwundert insofern, als sich jede Seuche zunächst ja einmal ausbreiten muss, um überhaupt als Pandemie zu gelten. In den USA waren zu diesem Zeitpunkt lediglich 149 bestätigte Schweinegrippe-Fälle registriert, davon einer tödlich.

      Postwendend wurden 1,5 Millionen Dollar für die Produktion des inzwischen berühmt berüchtigten Impfstoffes Tamiflu® bereit gestellt, dessen Produktionsmonopol beim Patentinhaber Roche lag. Bemerkenswert war, dass die Sterberate mit Einführung des ungeprüften (!) Testsystems mit Zunahme der Länder, die es einsetzten, umgekehrt proportional sank. Obwohl also immer mehr Tests eingesetzt wurden, sanken die Raten der Erkrankungen immer weiter. Dessen ungeachtet erhöhte die WHO die Pandemiestufe im Juni 2009 sogar auf 6, verkündete aber gleichwohl, dass die Todesfolgen als sehr gering einzustufen wären (19).

      Worauf ich hinaus will: Obwohl also bei einem Influenza-Grundrauschen alleine pro Tag 2,7 Millionen Neuerkrankungen zu erwarten sind, belief sich die Zahl der Erkrankungen an der Schweinegrippe auf gerade einmal 500 pro Tag. Die „Pandemie“ hingegen hielt nur ganze zwei Monate an, ohne dass dabei die Zahl der Erkrankungen durch die Behandlung mit dem Impfstoff sank, die Gensequenz des Virus sauber isoliert oder dessen Ansteckung eindeutig nachgewiesen worden wäre.

      Vor einiger Zeit hatte ich zu diesem Thema eine amüsante Foto-Persiflage im Internet gefunden, die das Thema sehr treffend auf den Punkt brachte. Auf dem Boden lag, etwas melodramatisch dargestellt, der dahin geschiedene Frosch aus der Sesamstraße Kermit. Darunter folgender Titel: „Internationaler Schauspieler stirbt an Schweinegrippe, und wir wissen ALLE, wer ihn angesteckt hat“.

      Aber das Thema ist natürlich ernst, zumindest hinsichtlich seiner eigentlichen Implikationen. Die durch Gesundheitsbehörden, Politik und Medien induzierte Angst sorgte bei den Menschen erwartungsgemäß für Angst und für einen entsprechenden Vorbeugungsreflex, den sich die Pharmaindustrie zusätzlich über Steuergelder und Krankenkassenbeiträge fürstlich entlohnen ließ. Die erfundene Pandemie hat sich inzwischen als Skandal entpuppt und die Verantwortlichen stehen in beträchtlicher Erklärungsnot (20). Inwieweit die Bürger allerdings nicht schon wieder das nächste Killer-Virus als nächste Panikmache vorgegaukelt wird, ist wohl nur eine Frage der Zeit. Wie viele sich dann wieder Angst machen lassen, ist eine weitere spannende Frage.

      Das ist kein Einzelbeispiel und nicht nur auf das Gesundheitswesen beschränkt. Aber gerade Kritiker des Gesundheitswesens beklagen eine zunehmend profitorientierte Medizin, die in Koalition mit der Pharmaindustrie Angst als Werbe- und Druckmittel einsetzt (21, 22). Das machen sich auch andere Wirtschaftszweige