Thomas Riedel

Kreaturen der Nacht


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dem Privatgelehrten freundlich zu, auch wenn er sich nur mit größter Anstrengung auf die Ausführungen seines Gastgebers zu konzentrieren vermochte. Bei ihm hatte die Schwester Kincaids wie ein Blitz eingeschlagen. Immer wieder wurde sein Blick wie magisch von der entzückenden jungen Frau angezogen, die es sich barfuß und mit angewinkelten Beinen auf der Garnitur bequem gemacht hatte. Sie trug einen raffiniert geschnittenen schwarzen Hausanzug im Tunika-Style, der ihre formvollendete schlanke Figur vorteilhaft zur Geltung brachte.

      Kincaids Schwester musste aus Blakes Blicken gewisse Schlüsse gezogen haben, denn als sie ihn jetzt ansah, funkelte für einen Augenblick ein spöttisches Leuchten in ihren Augen. Kurz darauf erhob sie sich und verließ mit leisen Schritten den Raum.

      »Helmsdale war eine bedeutende Kapazität auf einem Gebiet, das wissenschaftlich nicht anerkannt und mit dem Begriff Parapsychologie nicht voll abgedeckt werden kann«, sagte der Privatgelehrte gerade. »Wenn ich Ihnen jetzt noch erzähle, dass dabei auch finstere, dämonische Praktiken hinzukommen, werden Sie sicher abwinken.«

      Blake lächelte.

      »Ach, wissen Sie«, erwiderte er gedehnt, »so schnell winke ich ganz sicher nicht ab. Inzwischen haben mein Sergeant und ich ein paar, ich möchte es mal so ausdrücken, recht seltsame Begebenheiten hinter uns.«

      Kincaid nickte wissend.

      »Ein Freund von mir kannte Professor Alverston und hat mir von dessen Tod berichtet. Dabei erfuhr ich auch von den Umständen unter denen er ums Leben kam«, klärte er den Chief Inspector auf [2]. »Helmsdale hat sich jahrzehntelang mit der Erforschung des Vampirismus befasst und, wie ich vermute, in dem Bereich übermenschliche Fähigkeiten erworben. Bei seinen Forschungen und Experimenten scheint er auf Dinge gestoßen zu sein, die meiner Meinung nach, schwärzer als die schwärzeste Magie sein dürften. Um es kurz und nüchtern zu sagen: Professor Helmsdale lebt!«

      Blake sah ihn erstaunt an.

      »Und da sind Sie sich vollkommen sicher?«

      Der Privatgelehrte nahm einen Schluck von seinem Drink und nickte.

      »Ja, absolut, Chief Inspector«, gab er zurück. »Nachdem er sein Forschungsziel erreicht hatte, sprengte er seine Villa in die Luft, mit dem Ziel, alles, was auf seine finstere Tätigkeit hindeuten konnte, zu vernichten.« Er warf Blake einen vielsagenden Blick zu. »Helmsdale war es, der dem alten Dunmore das Blut ausgesaugt hat, und er ist es auch gewesen, der Alice Drummond entführt hat.«

      Blake machte ein ungläubiges Gesicht. Er zog seine Zigarettenschachtel hervor. Bevor er seinen Gastgeber um Erlaubnis fragen konnte, war dieser aufgestanden und hatte ihm einen Aschenbecher gebracht.

      »Woher wissen Sie das alles, Mister Kincaid?«, erkundigte sich Blake, während er sich eine Benson & Hedges anzündete.

      Anthony Kincaid zeigte ein grimmiges Lächeln.

      »Wenn ich Ihnen das alles erklären soll, müsste ich Ihre Geduld über Gebühr beanspruchen«, erwiderte er. »Ich bitte Sie einfach mir zu vertrauen.«

      »Daran soll es nicht scheitern«, sagte er schmunzelnd und inhalierte einen Zug.

      Kincaid schien beruhigt.

      »Das freut mich«, stellte er fest. »Schließlich hätten Sie mich ja auch für komplett verrückt halten können.« Er leerte sein Glas. »Es wird einen Kampf geben, Chief Inspector, eine heftige Auseinandersetzung mit einer finsteren, lebenzerstörenden Macht, die sich anschickt Menschen in den Abgrund zu ziehen. Und dieser Sache kann ich mich nicht allein stellen.«

      »Mit anderen Worten: Sie brauchen meine Hilfe!«, schlussfolgerte Blake.

      Anthony Kincaid nickte. Er stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus. Für einen kurzen Augenblick herrschte absolute Ruhe im Raum. Dann drehte er sich abrupt um und sah den Chief Inspector mit festem Blick an.

      »Wollen Sie wissen, was dieser alte Teufel vorhat?«, fragte er mit leiser Stimme. »Er will sich ein schauerliches Schattenreich erschaffen, mit Sklaven, die ihm zu Diensten sind und Sklavinnen, derer er sich jederzeit bedienen kann.« Kincaid schaute wieder hinaus und stemmte seine Hände auf die Fensterbank. »Und wenn ihm das gelingt, dann wird Professor Helmsdale zum unbestrittenen Weltfeind Nummer Eins!«, fügte er mit düsterer Stimme bedrohlich hinzu.

      Kincaid schaute noch einen Augenblick hinaus, dann ging er zurück und nahm wieder Platz.

      »Sie zeichnen ein recht schwarzes Bild«, meinte Blake, während er sein Gegenüber forschend ansah, »vergleichbar mit einem von Krebs befallenen Organismus. Sobald eine bestimmte Schwelle überschritten ist, verlieren die Immunkräfte ihre Abwehrreaktion gegen die erkrankten Zellen und der Körper geht zugrunde.«

      Kincaid nickte zustimmend.

      »Ein treffender Vergleich, Chief Inspector«, sagte er leise. »Mir ist durchaus bewusst, dass so etwas nur schwer zu glauben ist, aber was wissen wir denn schon über all die Dinge, die außerhalb unseres doch recht beschränkten Horizonts liegen, und die wir mit den Mitteln der Logik allein nicht klären können?« Er schlug sich mit der rechten Hand auf den Oberschenkel. »Nun aber genug des Philosophierens. Da Sie bereits eigene übersinnliche Erfahrungen sammeln konnten ... aber als Kriminalist zählen für Sie auch Tatsachen.« Er schenkte Blake ein Lächeln. »Damit kann ich Ihnen ...«

      Plötzlich waren gellende, offenbar in höchster Not ausgestoßene Schreie zu hören, die gleich darauf in ein wimmerndes Heulen übergingen.

      Einen Augenblick lang saßen sie wie versteinert da. Dann schnellte Kincaid als erster mit einem mächtigen Satz hoch und stürmte, dicht gefolgt von Blake, aus dem Zimmer.

      Kapitel 6

      K

      aum waren die beiden Männer in der Diele, kam ihnen Kincaids Schwester entgegen. Ihr Gesicht war schneeweiß, und in ihren Augen flackerte das nackte Entsetzen. Mit taumelnden Schritten ging sie auf ihren Bruder zu.

      »Kimberly!«, rief Kincaid. »Kimberly! Um Gottes willen! Was ist mit dir?«

      »Tante Kathlyn!«, brachte sie mit erstickender Stimme heraus, als sie dicht vor ihm stand. »Oben!«

      Dann brach sie zusammen.

      Blake konnte die junge Frau gerade noch rechtzeitig mit den Armen auffangen, bevor sie vor ihnen auf den gefliesten Boden fiel. Vorsichtig trugen er und Kincaid die Ohnmächtige zur Sitzgarnitur und legten sie hin. Wie auf ein geheimes Kommando kreuzten sich dabei ihre Blicke, und schon hetzten sie die Treppe hinauf in das Obergeschoss.

      Die Tür zum Schlafzimmer der Tante stand leicht offen. Durch den Spalt drang schwaches Licht. Es war totenstill in dem Raum. Blake konnte es nicht erklären, denn obgleich er keine Ahnung hatte, was vorgefallen war, fühlte er, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken kroch.

      Ohne weiter darüber nachzudenken war er mit einigen schnellen Schritten bei der Tür, stieß sie ganz auf und betrat das Zimmer.

      Voller Entsetzen starrte er auf das Bett. Alles war mit Blut besudelt. Inmitten der zerwühlten Kissen lag die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leiche einer älteren Frau. Jemand hatte ihr die Arme und Beine buchstäblich aus den Gelenken gerissen. In grauenvoller Unordnung lagen sie neben dem Torso. Den Kopf hatte der Täter auf einen der Bettpfosten gesteckt. Die schrecklichen, verzerrten Gesichtszüge unter den blutverschmierten hellbraunen Haaren, hatten nichts Menschliches mehr an sich. Die Augenhöhlen waren leer. Wer auch immer das getan hatte, hatte ihr die Augäpfel herausgedrückt und fein säuberlich auf das weiße Zierdeckchen des Nachtschränkchens drapiert. Es schien Blake, als würden sie ihn in stummer, blickloser Qual ansehen.

      Detective Chief Inspector Blake war mit den Jahren so einiges gewohnt, aber das was sich ihm in diesem Zimmer bot, gehörte mit zum Grauenhaftesten, was ihm je zu Gesicht gekommen war.

      Ein