Martin Romey

KÖRPER-HAFT


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an.

      »War ´n klasse Trick mit dem Verschwinden was?! Nur musste ich dabei die Hosen runterlassen, hihi. Aber ansonsten war’s einfach göttlich!«

      Dann verschwand er wieder und das Gänseblümchen, das gerade noch zwischen seinen grinsenden Zähnen steckte, trudelte langsam durch die Luft, bevor es auf der Apfelsinenkiste liegen blieb. Zum Glück ließ er dieses Mal nicht auch noch seine Feinrippunterhose zurück. Was sollte der ganze Schwachsinn! Wenn man schon einen persönlichen Gott hat, dann könnte er einem doch bitte auch helfen!

      »Hey Gott, wo bist Du, wenn ich Dich brauche!«, schrie ich aus meinem Grab heraus. Der Rand eines ausgefransten Strohhutes schob sich über seine Latzhose, die noch immer am Grabesrand hing. Sein braun gebranntes, von Lachfalten durchfurchtes Gesicht grinste zu mir herunter. Die Gänseblümchen zwischen seinen Zähnen schienen regelrecht nachzuwachsen … Er hatte zum Glück immer noch seine Feinrippunterhose und die selbst gestrickten Wollsocken an.

      Inzwischen hatte er jedoch ein Banjo um den Hals hängen, dass teilweise von seinem langen, grauen Rauschebart verdeckt wurde. Er zupfte die Saiten des Banjos und fing an einen Country-Song zu spielen. Dazu sang er:

       Where do you come from

       where do you go?

       Where do you come from

       Cotton-Eye-Joe?

       Hey!-hey!

       Während er auf dem rechten Bein hüpfte, drosch er mit der linken Ferse so stark im Rhythmus auf den Boden ein, dass sich ein großer Brocken lehmiger Erde vom Grabesrand löste und einen Teil meiner Schaufel verschüttete. Ganz in seiner Darbietung versunken, bearbeitete er den Boden weiterhin mit der Ferse. Mehr und mehr Erde bröckelte ab und fiel in das Grab, bis nur noch der Schaufelgriff zu sehen war. Dann hüpfte mein persönlicher Gott singend und tanzend aus meinem Sichtfeld und ich hörte ihn nur noch von Weitem singen.

       Where do you come from

       where do you go?

       Where do you come from

       Cotton-Eye-Joe?

      Was sollte das nun wieder? Fassungslos starrte ich auf den Erdhaufen, der die Schaufel fast verschlungen hatte. Ich musste hinaufsteigen, um sie überhaupt wieder herausziehen zu können. Als mir das unter zahlreichen nicht eben jugendfreien Flüchen gelungen war, verstand ich plötzlich. Gott hatte mir ein Zeichen gegeben! Ich stieß die Schaufel waagerecht vor mir in die feuchte Erde. Stück für Stück brach ich ganze Erdschollen heraus und ein Teil der darüber liegenden Erde brach herunter. Auf diese Art und Weise nagte ich mich in die Wand vor mir, während die herunterfallende Erde langsam eine Rampe unter mir bildete.

      Stück für Stück kam ich dem Himmel näher! Schwitzend und ächzend grub ich mich weiter. Es tat gut, die aufgestauten Aggressionen so positiv umzusetzen. Noch ein paar Hiebe mit der Schaufel und ich konnte über den Grabesgrand blicken. Der Schweiß rann mir brennend in die Augen, als ich mich endlich nach oben drücken und über die zusammengesunkene Latzhose schieben konnte.

      »Hey mach mir meinen Fummel nicht dreckig«, sagte Gott, der in seiner lappigen Feinrippunterhose auf einem umgestürzten Kreuz saß. Atemlos japsend ließ ich mich neben meinem Grab auf den Rücken fallen und schaute in den strahlend blauen Himmel. Dann schob sich das Gesicht mit dem Rauschebart meines persönlichen Gottes in mein Sichtfeld.

      »Mensch Junge, wieso machst Du Dir's nur so schwer? Wieso bist Du nicht geflogen? Vorher ging’s doch auch! Sah übrigens witzig aus, wie Du mit Deinen Brustschwimmbewegungen am Himmel entlang herumgeflogen bist. Hat mir gefallen! Echt kreativ!«

      Dann grinste er mich wieder an und flog, einen leuchtend gelb-weißem Schweif aus Gänseblümchen hinter sich her ziehend, gen Himmel bis er verschwand. Myriaden von Gänseblümchen regneten auf mich herunter und begruben mich unter einem Blumenhügel, an dessen Kopfende das umgestürzte Kreuz stand.

      Plötzlich fiel mir ein: Pushing up the Daisys, also die Gänseblümchen hochdrücken, hatte im übertragenen Sinne die selbe Bedeutung wie die Radieschen von unten ansehen. Ich schüttelte im Traum die Gänseblümchen ab und grinste in den klaren blauen Himmel.

      Professor Marquez

      »Was szoll das heißzen, er ist noch nicht aufgewacht! Das kann doch gar nicht szein!«

      »Herr Professor, bitten entschuldigen Sie, aber Nr. 6 ist seit der roten Injektion nicht wieder zu Bewusstsein gekommen. Sie können gerne die Protokolle seines Vitalometers prüfen.«

      »Rote Injektion, so ein Blödszinn! Können Szie sich nicht etwas fachkundiger auszdrücken? Habe ich esz hier wirklich nur mit blutigen Laien zu tun? Dasz ist eine Schande für dasz Projekt und eine Schande für Ihren Berufszstand junger Mann!«

      »Äh, ich wollte ja nur plastisch darzustellen dass die Injektion des Neurosynapsenunterbrecherserums der letzte Punkt war, an dem der Patient bei Bewusstsein war.«

      »Dasz wird ja immer schlimmer mit ihrem unwisszenschaftlichen Gestammel, also halten szie lieber den Mund. Neurosynapszenunterbrecherszerum, ein kürzeresz Wort ist Ihnen wohl nicht eingefallen, wasz? Und dasz mit der Terminologie desz Patienten können Szie szich auch gleich mal aus dem Wortschatz sztreichen. Dasz hier szind szubversive Elemente und würde esz szich nicht so unwisszenschaftlich anhören, würde ich Labor-Ratten szagen. Und jetzt lasszen Szie mich endlich in Ruhe Nr. 6 unterszuchen! Oder glauben Szie ich würde meinen wohlverdienten Szonntag wegen Ihnen und ihres dilettantischen Geschwafelsz unterbrechen?«

      Ganz das Gehabe eines furchtbar wichtigen Professors. Getragen auf einer Welle aus Arroganz und maßloser Selbstverliebtheit, die keinen Widerspruch duldete. Immer leicht aufbrausend mit einem Hang zum Cholerischen gewürzt, um den Gedanken einer anderen Meinung gleich im Keime zu ersticken. Wäre er als Primat auf die Welt gekommen, hätte er sich vermutlich so lange auf die Brust getrommelt und böse gegrunzt, bis die junge Horde den Blick gesenkt und sich davon getrollt hätte. Die so genannten Silberrücken bei Berggorillas und graue Eminenzen sind sich gar nicht so unähnlich, wie man im ersten Augenblick glaubt.

      Sicherlich hatte der Professor wie so viele seiner Kollegen seine Fachpublikationen auf den frischen Ideen seiner Studenten aufgebaut. War ja auch einfach. Thema vorgeben, die interessantesten Beiträge der Studenten als aberwitzigen Blödsinn abtun, um sie danach dezent umformuliert als eigene inspirierend-innovative Ideen zu verkaufen ...

      Jedenfalls hatte er den jungen Pfleger oder Assistenzarzt ordentlich eingeschüchtert. Ich stellte mich weiterhin schlafend und versuchte das Geschehen mit zu Sehschlitzen leicht geöffneten Augen durch den Schleier meiner eigenen Wimpern zu verfolgen. Ich rührte mich nicht und lag still und starr da. Eine der wenigen Tätigkeiten, die ich seit Kurzem bis zur Perfektion weiterentwickelt hatte … Ich freute mich, dass das Serum nicht auch noch meine Selbstironie aufgefressen hatte.

      Professor Marquez stand mit einem langen weißen Ärztekittel vor dem Display des Vitalometers. Er schaute sich die Pupillen von Nr. 6 an, tastete und pikste ihn mit einem Kugelschreiber an den Armen, dem Oberkörper und sogar im Gesicht. Prüfend sah er auf die Anzeigen des Vitalometers, um gleich darauf Notizen auf seinem mobilen Medi-Pad zu machen. Dabei schüttelte er immer wieder sein graues Haupt.

      Seine fahle Haut und sein scharf geschnittenes Gesicht erinnerten mich abermals an Christopher Lee als Graf Dracula. Der lange, weiße Arztkittel machte ihn einerseits noch größer als er ohnehin schon war und ließ andererseits seine Erscheinung noch unnatürlicher, beinahe schon geisterhaft wirken. Es hätte mich vermutlich keine Sekunde lang gewundert, wenn er mit wehendem Gewand herumgewirbelt wäre, um seine langen Eckzähne in die Halsschlagader von Nr. 6 zu schlagen und sich an ihm zu nähren.

      Mir war aufgefallen, dass sein zischelnder spanischer Akzent bei Weitem nicht mehr so stark war, wie ich ihn aus dem