Martin Romey

KÖRPER-HAFT


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an mir nur noch als außenstehender Betrachter mit. Ich stand schon soweit neben mir, dass ich mühelos zwischen die Ärzte und Sanitäter hätte treten können, um Tipps abzugeben: »He, wisch mal einer den Speichelfaden aus seinem Wundwinkel weg. Der Kerl versaut uns ja noch den neuen Boden! Das ist ja eklig!«

      Die Tür, die mich und meine Lebenserhalter von der Presse trennte, knarzte bedenklich in ihren Angeln. »Der Sturm auf die Bastille lief sicher auch nicht glimpflicher ab«, dachte ich verwundert über diese eigenartige Assoziation und begab mich wieder in die tiefe, schwarze Stille, aus der ich vor ein paar Minuten mühevoll aufgetaucht war.

      Nur geträumt?

      »Der Regenschirmmörder erstickt!« Zugeben, ich hatte schon deutlich bessere Headlines beim Aufwachen im Kopf. Und dieser Kopf fühlte sich üblicherweise beim Aufwachen auch wesentlich klarer an. Was für ein scheußlicher Traum! An welcher Bar war ich gestern bloß dermaßen versackt, dass ich heute so ein wattiges Gefühl im Kopf und in den Gliedern habe? Egal, die Erinnerung kommt erfahrungsgemäß mit allen Konsequenzen wieder. Vielleicht lag ja neben mir jemand, der mir auf die Sprünge helfen konnte. Mein persönlicher Gott im Blaumann aus diesem Horrortraum zum Beispiel?

      Aber eigentlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als Tanja neben mir vorzufinden, wenn ich die Augen aufmachte.

      Der Geruch von frischen Brötchen zog aus der Ferne an meiner Nase vorbei. Seit wann war Tanja ein Frühaufsteher? Das konnte nur eines bedeuten: Samstag! – Mmhh! – Erst gemütlich frühstücken, ein Nümmerchen schieben und dann rüber in die Agentur. Oder in irgendeiner anderen Reihenfolge – egal!

      Ich beschloss mich noch ein Weilchen schlafend zu stellen, um zu sehen, mit welcher Reihenfolge Tanja mich überraschen wollte. Merkwürdig, die Brötchen rochen klasse, aber der Kaffee … Fast wie aus einem dieser Automaten, bei denen man von der Fleischbrühe bis zur Wiener Melange alles aus einer Ausgussrinne bekommt. Scheußlich!

      Ich verzog die Nase, besser gesagt, ich wollte die Nase verziehen und bekam mein Gesicht nur sehr begrenzt unter Kontrolle. Ein dickes Fragezeichen machte sich in meinem Gehirn breit. Ich machte den schlimmsten Fehler des Tages und öffnete die Augen, die seltsamerweise fast genauso schwer aufgingen, wie in meinem Traum …

      Ein 3-D-Flachbildschirm hing über mir an der Decke. An sich nicht schlecht, es war eines der neuesten Modelle mit einer Diagonale von etwa 120 Zentimetern. Genau genommen nicht nur einer dieser gewöhnlichen 3-D-Flachbildschirme, sondern ein Hybrid 3-D, mit dem man wahlweise ein 3-D-Bild auf dem Schirm anschauen oder sich über die Mikro-Projektoren im Gehäuserahmen eine lebensechte Holografie zeigen lassen konnte.

      Ich hatte schon seit Längerem mit dem Gedanken gespielt, solch ein Prachtexemplar an die Decke meines Schlafzimmers zu hängen. Tanja hatte jedoch immer etwas dagegen gehabt. Jetzt stellte ich mit erschrecken fest: Das war nicht mein Schlafzimmer! Wo zum Henker war ich!

      Meine Bar-Versackungs-Theorie ging mir nochmals durch den Kopf, ich begann mich zu fragen, wie ich das nur Tanja erklären sollte. Dann fiel mir auf, dass circa 2,5 Meter rechts neben dem 3-D-Hybrid-Flachbildschirm über mir der nächste Bildschirm an der Decke hing. Ein weiterer folgte und danach in gebührendem Abstand eine Wand, die den Raum begrenzte. Zur Linken befanden sich vier weitere Bildschirme an der Decke, der Raum wurde durch eine Fensterreihe begrenzt. War ich über Nacht in ein Möbelhaus eingestiegen, in dem über den Testbetten Flachbildschirme an der Decke hingen?

      Ich registrierte nur unbewusst, dass ich lediglich meine Augen nach links bewegt hatte, mein Kopf der Blickrichtung jedoch nicht gefolgt war.

      Mein Blick ging zurück zu dem Monitor über mir und ich entdeckte in der linken oberen Ecke ein kreisrundes Symbol mit einem senkrechten Strich darin. Das inzwischen international gültige Zeichen für den Einschalter. Mich interessierte die grafische Umsetzung des Symbols und ich fokussierte meinen Blick darauf.

      Mit einem leisen Sirren ging der Bildschirm an. Ich stutzte einen Moment, bis ich begriff. Wow, neuester Stand der Technik, Fernbedienung via Eye-Tracking. Es dauerte einen Augenblick, bis sich die Zeilen aufgebaut hatten und die Mikropixel sich zu einem gestochen klaren Bild sortierten.

      Begleitend zur angezeigten Textzeile ertönte eine Frauenstimme aus den Monitorlautsprechern: »Guten Morgen Nr. 5, wir freuen uns, dass Sie den beschleunigten Strafvollzug mit Sozialisierungsprogramm gewählt haben.«

      »Hä?! Was soll ich gewählt haben? Und wer ist Nr.5?!«

      Kaffee und Brötchen

      Ein Stuhl wurde quietschend über den Linoleumboden zurückgeschoben. Jemand stand auf und Schritte näherten sich, begleitet vom Geruch des bereits erschnupperten billigen Automatenkaffees. Als Erstes erschien ein Pappbecher in meinem Gesichtsfeld. Ich folgte neugierig den knochigen Fingern, die ihn hielten, folgte der dürren Hand, die in einen Arm überging … Der Klassiker Dry Bones von The Delta Rhythm Boys aus den 30er Jahren drängte sich in mein Gedächtnis, das ihn auf die Situation hin ummünzte.

       The finger bone is connected to the hand bone

       the hand bone is connected to the forearm bone

       the forearm bone is connected to the upper arm bone

       the upper arm bone is connected to the shoulder bone

       the shoulder bone is connected to the neck bone

       the neck bone is connected to the head bone

       Oh Lord, we`re here in the world of the bones

      Oh, LordOh, Lord.

      Dann beugte sich das Gesicht eines schlanken, geradezu ausgemergelten Mannes über mich. Kurze, blonde, mit Frisiercreme nach hinten gekämmte Haare und tiefe, scharf eingekerbte Mundwinkel nahm ich als Erstes wahr. Dann eine kleine Nickelbrille mit starken Gläsern, welche die kalten Augen unnatürlich groß wirken ließen.

      Mein Herz blieb stehen, ich kannte den Mann! Mosquito … Unwillkürlich wollte ich den Namen laut aussprechen, aber aus meinem Mund drang nur ein jämmerliches Wimmern: »Mmo-ihooo.«

      Ich konnte nicht mehr sprechen! Der Versuch, mich aufzusetzen, scheiterte kläglich. Mein Körper machte keinen Mucks! Ich war nicht nur vor Entsetzen wie gelähmt … Was hatten diese Schweine mit mir gemacht?!

      Es durchlief mich ein heißer Schauer, als ob flüssiges Blei durch mich hindurchfließe. Meine Augen weiteten sich. Das war vermutlich das klare Signal für Mosquito, mit seinem Auftritt fortzufahren.

      »Na, also«, sagte er betont jovial. »Du erkennst mich. Wie schön! Dies ist sicherlich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Du wirst schon sehen, wir werden viel Spaß miteinander haben … Aber entschuldige, ich habe mich noch gar nicht richtig vorgestellt. Mein richtiger Name ist …«, er beugte sich mit seinem weißen Kittel über mich, damit ich sein Namenschild am Revers sehen konnte, »Mengele«.

      Er überprüfte mit raschem Blick, ob sich meine Augen noch mehr geweitet hatten. Offenkundig zufrieden mit dem Ergebnis zupfte er sich den Kittel zurecht und fuhr fort: »Doktor Joseph Mengele!«

      Ich hatte keine Ahnung, was dieser kranke Psychopath von mir wollte, aber eine Scheißangst hatte er mir eingejagt. Ein weiterer Stuhl quietschte über das Linoleum. Das musste das frische Brötchen sein, das ich vorhin gerochen habe.

      Dann donnerte das frische Brötchen los: »Jetzt hör endlich mit diesem Scheiß-Nazi-Arzt-Getue auf, da kommt einem wirklich das Kotzen. Du magst ja Mengele mit Nachnamen heißen, aber in Deinem Bewerbungsschreiben habe ich gesehen, dass Du nicht Joseph, sondern Jonas heißt. Außerdem kennt Dich eh jeder bloß als Mosquito und Doktor bist Du erst recht nicht!«

      »Aber hast Du gesehen, es funktioniert! Bei den Studierten funktioniert das immer mit Doktor Mengele. Ich sag’s ja