zum einen hier, um Ihnen seelischen Beistand bei Ihrer langen und beschwerlichen Reise durchs Tal der Läuterung zu geben. Zum anderen möchte ich Sie mit Ihrem künftigen Tagesablauf und Ihren Holo-Flat-Pads, also Ihren 3-D-Flachbildschirmen, vertraut machen.« Über den Betten meiner Zimmer-, oder sollte ich besser Zellengenossen sagen, schwebten bereits flirrende Holografien. Allerdings nur über den Betten zu meiner Linken, also Nr. 1 bis 4. Ich kannte ihre Namen nicht, deshalb nannte ich Sie von der Fensterseite her aufsteigend Nr. 1 bis 4. Über mir und zu meiner Rechten leuchteten lediglich die Stand-By-Dioden der Holo-Flat-Pads. Nr. 7 hatte man vermutlich irgendwann in der Nacht in seinen neuen Wirkungskreis geschoben.
Aus meinen Augenwinkeln konnte ich über Nr. 1 und Nr. 2 die Holografie von Jesus am Kreuz erkennen. Über Nr. 3 sah ich die Kaaba und eine Menschenmenge, die diese in einer Hadsch umrundete. Es beeindruckte mich tief, dass man sogar die dabei aufgewirbelten Staubwolken sehen konnte, sodass mich unwillkürlich ein leichter Hustenreiz überkam.
Über meinem unmittelbaren Bettnachbarn, Nr. 4, war die äußerst plastische Holografie eines indischen Brahmanen mit langen, hochgesteckten Haaren zu sehen, der über einen kleinen runden Altar gebeugt unhörbare Worte murmelte. Ich musste unwillkürlich an Prinzessin Lea aus Krieg der Sterne denken, die als flirrende Holografie dem kleinen Roboter R2-D2 eine geheime Botschaft mit auf den Weg gab.
Aber vor uns stand nicht Luke Skywalker, sondern Bruder Martin, der mich vom Aussehen her deutlich stärker an Mister Bean erinnerte. Allerdings bei Weitem nicht so lustig … nein, eigentlich alles andere als lustig.
Während meines Gedankenspaziergangs war ich seinen Worten nicht gefolgt und stieg damit wieder mitten in seiner Rede ein. »… bin katholischer Priester und sowohl für den normalen Gefängnistrakt als auch das Sonderprojekt BSS zuständig. Ich selbst habe die religiösen Lerninhalte für die erste Weltreligion, das Christentum, für Sie zusammengestellt.«
Er machte eine kleine Pause, um die eben gesagten Worte im Raum schweben zu lassen und seinen Stolz darüber zu bändigen. »Nach wie vor sind wir mit 2,1 Milliarden Anhängern die absolute Nr.1 in Glaubensfragen! Weit abgeschlagen folgt der Islam mit etwa 1,3 Milliarden Anhängern. Die Nr. 3 ist der Hinduismus mit circa 850 Millionen Anhängern. Fast schon nicht mehr nennenswert ist der Buddhismus mit etwa 375 Millionen Anhängern. Und das Schlusslicht bildet das Judentum mit etwa 15 Millionen Anhängern. Da erscheint es mir, und Ihnen hoffentlich auch, nur allzu schlüssig, sich in die Hände der wahren Glaubensexperten zu begeben und keine esoterischen Experimente zu machen. Um Sie alle auf den rechten Weg zu bringen und Ihre Läuterung zu unterstützen, werde ich jetzt Ihre Holo-Flat-Pads auf die Werkseinstellung, das Christentum, zurücksetzen.«
Er zauberte eine Fernbedienung aus seiner Priesterkutte hervor, hob sie wie ein Zepter an und drückte auf einen Knopf. Die Kaaba und der Brahmane fielen über Nr. 3 und Nr. 4 in sich zusammen, um als Jesus am Kreuz wieder aufzuerstehen. Die Symbolik war unmissverständlich und ich konnte regelrecht den inneren Ruck spüren, der Nr. 3 und Nr. 4 durchlief. Inzwischen schwebte über allen sieben Betten das Kruzifix.
»Ich möchte Sie natürlich nicht bevormunden oder gar missionieren. Es steht Ihnen frei, die Religion Ihrer Wahl über das Untermenü des Untermenüs im Bereich Einstellungen Ihres Holo-Flat-Pads einzuzwinkern. Jawohl, einzuzwinkern! Denn so funktioniert die Menüführung dieses technischen Wunderwerkes. Das entsprechende Symbol auf dem Holo-Flat-Pad mit beiden Augen anvisieren und dann blinzeln. Dabei entspricht das schnelle Schließen des linken Auges der linken Maustaste und das rechte Auge entsprechend der rechten Maustaste. Wenn Sie beide Augen länger als fünf Sekunden schließen, schaltet das Gerät selbsttätig ab. Es sei denn, es läuft gerade das Sozialisierungsprogramm von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr und von 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Das lässt sich selbstverständlich nicht abschalten. Schließlich sollen Sie hier ja auch etwas lernen. Denn umsonst haben Sie die Haftzeitverkürzung nicht bekommen. Und denken Sie bei Ihren Bemühungen stets daran: Man lernt nicht fürs Gefängnis, man lernt fürs Leben! Und außerdem haben Sie ja genügend freie Zeit! Sie müssen schließlich keine Hausaufgaben machen, hihi.«
Mein Gott, worauf hatte ich mich da eingelassen. Als ich den Vertrag zu BSS unterschrieben hatte, waren die zeitliche Abfolge und das Programm noch gänzlich anders strukturiert gewesen. Für mich hörte sich das Ganze jetzt plötzlich stark nach einer umfassenden Gehirnwäsche an.
»Ach, nebenbei bemerkt«, fuhr Bruder Martin fort. »Das Sozialisierungsprogramm beinhaltet folgende Fächer: Religion, Ethik, Knigge und der Umgang mit Menschen, einfache Mathematik sowie Umgang mit der Sprache und ihre Wirkung. Wie ich von dem Linguisten Frederik Ludwig, der das Programm zum Thema Sprache zusammenstellt hat, weiß, hat Ihre temporäre Sprachlosigkeit den Vorteil, dass der Gedanke erst das Wort formt und nicht das Wort den Gedanken. Falls Sie übrigens, und das kann ich mir beileibe nicht vorstellen, während unseres Sozialisierungsprogramms einschlafen sollten, dann wird Sie ein kleiner Stromstoß daran erinnern, dass Sie dem Steuerzahler, der Sie nährt, das Versprechen gegeben haben, als gutes und nützliches Mitglied unserer Gemeinschaft zurückkehren! Wenn wir schon beim Thema Nähren sind, kann ich Ihnen versichern, dass Sie über Ihre Nasensonde in den Genuss einer ausgewogenen künstlichen Ernährung kommen. Da kommen sogar die Vegetarier auf Ihre Kosten, nicht wahr Herr Schirmer? Hihi.«
Und ich hatte mich noch über den Punkt Ernährungspräferenzen im Gefängnisfragebogen gewundert.
»Und da alles was reingeht, irgendwann auch wieder raus will, hat die Gefängnisverwaltung keine Kosten und Mühen gescheut, ihre Betten mit dem Easy-Handle-Sanitizer von Mc Bed ausstatten zu lassen. Die antiseptisch ausgestattete Latexmanschette, die Ihren Unterleib umschließt, einspricht einer Unterhose, die eine Art Absaugglocke eingebaut hat. Sprich, alles was Sie fallen lassen, wird sofort abgesaugt und in die Kanalisation geleitet. Infolgedessen besteht keine Notwendigkeit, Sie täglich zu waschen. Es sei denn, es geht mal was daneben, hihi. Und selbst dann kann die Hose an seitlichen Verschlüssen geöffnet und gewechselt werden. Normalerweise reicht einmal Waschen pro Woche völlig aus.«
Die Fäkalabsaugung und die um die Hüfte herum fixierte Manschette waren vermutlich der Grund, weswegen wir ansonsten völlig nackt unter unseren Bettdecken lagen. Wieso einmal Waschen pro Woche ausreichen sollte, blieb mir schleierhaft und weckte in mir schon die schlimmsten Befürchtungen.
Bruder Martin fuhr fort: »Bei Bedarf werden Bart, Haare und Nägel geschnitten. Den Strohhalm für die Mundspülung und Trinkwasser können Sie über das Holo-Flat-Pad anfordern. Es wird dann automatisch mit dem kleinen Roboterarm zur linken Seite Ihres Kopfes in Ihren Mund geführt. Wir wollen schließlich mit so wenig Personal wie möglich auskommen. Dieses Pilotprojekt lebt letzten Endes von der Effizienz. Also halten Sie durch! Und sollten Sie in einer schwachen Minute an Ihrem Entschluss für BSS Zweifel haben, verzagen Sie nicht! Denn der Glaube, der wahre Glaube, gibt Ihnen die Kraft und versetzt Berge.«
Effizienz und Glaube – diese Kombination erschien mir aberwitzig skurril.
»Ach übrigens: Noch ein kleines Wunder, wenn auch ein rein technisches … Falls Sie sich wundern, dass Sie den Ton des Holo-Flat-Pads ihres Nachbarn nicht hören. Die Zimmerdecke über jedem einzelnen Bett ist als superflache Schallglocke ausgeformt, die ein Interferenz-Tonsignal parallel zur ihrem gewählten Ton aussendet. Dadurch werden die Schallwellen gegenseitig aufgehoben und sind für Außenstehende nicht hörbar. Es entsteht so eine Art Vorhang der Stille. So oder so ähnlich hat man mir das jedenfalls erklärt. Kurz, alles was Sie über Ihr Holo-Flat-Pad hören, kann außerhalb Ihres Bettes nicht gehört werden. Ist das nicht toll?«
Ich hatte diese Technik schon in einer höllisch lauten Gesenkschmiede erleben dürfen und war von dieser Art von kleinen isolierten und völlig geräuscharmen Gesprächsinseln völlig begeistert. Dass ich jetzt inmitten einer solchen Schallinsel lag, beeindruckte mich wirklich.
»Falls Sie trotz dieser tollen und mannigfaltigen Infotainmentmöglichkeiten ein paar warme Worte benötigen, klicken Sie einfach nur auf das Kruzifix am rechten oberen Bildrand und ich komme so schnell wie möglich. Ansonsten