machte sich an einem Safe zu schaffen. Er holte eine massive Schatulle aus poliertem Plexiglas hervor, in deren Innern sieben grün und sieben rot schimmernde Glaskolben von Spritzen den Blick magisch auf sich zogen. Er stellte sie auf einen brusthohen weißen Marmorblock.
»Ich habe etwasz für Szie!« Ein Sonnenstrahl, der durch das Fenster hereinfiel, brachte die Schatulle zum Glitzern und den grünen und roten Inhalt zum Leuchten.
»Professor Marquez, Sie haben es tatsächlich geschafft!«, sagte Kellermann und seine Augen glänzten hinter seiner Hornbrille. »Bitte erklären Sie mir, wie es funktioniert.«
»Wir werden unszere Patienten mit unserem roten Neuro-Szerum in einen aktiven Winterschlaf versetzen. Oder um es etwas wisszenschaftlicher zu szagen: Ein Grosszteil der Neurosynapsen auf der motorischen Ebene werden vorübergehend unterbrochen. Alle vegetativen Funktionen und der Geiszt des Patienten bleiben aber weiterhin aktiv, um szich voll auf das Lernprogramm von B-Sz-Sz konzentrieren zu können. Während der Szoszialszierungszphasze kümmert sich dann das physziotherapheutische Bett von John Mc Lay um die optimale Fitnessz desz Patienten. Nach vollendetem Szozialiszierungsprogramm, verabreichen wir dann dasz grüne Szerum, wodurch alle vorher getrennten Verbindungen zu den Neuroszynapsen wieder vollständig hergesztellt werden.«
Paul Kellermann nickte. »Uijui-jui, das war ja eine ganze Menge Informationen, Herr Professor. Aber habe ich Sie richtig verstanden?« Er schnipste mit dem Finger. »Sie meinen einfach nur ROT – aus«, wieder schnipste er mit dem Finger, »und GRÜN – an?«
Professor Marquez lächelte nachsichtig. »Ja wie bei einem Lichtschalter – Ausz und An! Oder wie bei einem Ampelmännchen, bei Rot sztehen – bei Grün gehen.«
»Das ist ja phantastisch, Sie und Ihre Leute von Skyline Technologies haben ja wahre Wunder vollbracht!« Dann beugte er sich verschwörerisch zu Professor Marquez hinüber: »Noch eine Frage, warum hat das Serum diese geheimnisvolle rote und grüne Farbe?«
Der Professor imitierte die Verschwörergeste und legte Kellermann vertraulich den Arm um die Schulter: »Offsziell szagen wir immer, esz wäre wegen der Unterscheidung. Aber unter unsz, alter Freund, wir fanden esz einfach nur hübscher!« Beide Männer fingen herzhaft an zu lachen und klopften sich gegenseitig auf die Schulter.
Als sie sich etwas beruhigt hatten, fragte Professor Marquez: »Jetzt haben wir allesz wasz wir brauchen. Wie geht esz jetzt weiter?!«
Kellermann schüttelte den Kopf. »Wir haben fast alles! Was uns jetzt noch fehlt, sind die ersten Teilnehmer für unser BSS-Pilotprojekt.« Dann zeigte er mit dem Finger auf den Betrachter. »Wenn Sie jemanden wissen, der sich für unser Projekt interessiert oder Sie selbst in den nächsten drei Monaten eine Haftstrafe zu verbüßen haben, dann melden Sie sich bei uns unter www.BSS-Eine-bessere-Welt-fuer-bessere-Menschen.com. Es stehen für unser Pilotprojekt nur sieben Plätze zur Verfügung! Wir suchen Teilnehmer aus einem möglichst breit gefächerten kulturellen und religiösen Umfeld. Da wir und das Ministerium für innere Sicherheit, das uns bei dieser Aktion unterstützt, vom Erfolg unseres Sozialisierungsprojektes voll und ganz überzeugt sind, wird unseren Teilnehmern die Hälfte ihrer Haftzeit erlassen.«
Das Schlussbild zeigte die beiden Männer, wie sie die erhobenen Daumen ins Bild hielten. Sie wirkten wie eine Klammer, in der folgende Worte eingerahmt waren:
– BSS –
Beschleunigter Strafvollzug mit Sozialisierungsprogramm
Angebot
Natürlich sah ich den Spot mit den Augen des Werbeprofis. Am Anfang des Films blieb der Inhalt völlig offen – es hätte sich genauso gut um die Werbung einer Versicherung handeln können. Der Spannungsbogen wurde bis zum Schluss aufrecht erhalten, dass Versuchspersonen für eine Art Casting gesucht wurden, ohne jedoch zu sagen, um was es eigentlich geht. Nahezu alle emotionalen Trigger wurden eingesetzt. Der etwas unbeholfen wirkende Kellermann sollte die Harmlosigkeit des Projekts symbolisieren. Der weiße Hubschrauber stand für den Fortschritt. Das hässliche Bild des Gefängnishofes sollte abschrecken, die grünen Landschaften im überdeutlichen Gegensatz eine heile Welt darstellen. John Mc Lay und seine Fitness-Jünger köderten mit Kumpanei und nackter Haut. Der Glaspalast von Skyline Technologies mit seiner Parkanlage und dem Pavillon strahlte Kompetenz und den fürsorglichen Umgang mit der Natur aus. Professor Marquez sollte mit seinem Erscheinungsbild und seinen zischenden »sz« vom eigentlichen Inhalt ablenken. Zum Schluss ein kleiner, auflockernder Scherz mit den Farben des Serums. Und als Dreingabe noch der halbe Preis.
Wenn man den Aufwand der Videoproduktion plus den logistischen Aufwand in Relation mit den lediglich sieben Teilnehmern setzte und dann noch die Hafterleichterung sah, mussten eigentlich bei jedem die Alarmglocken klingeln.
Aber wie heißt es immer, wenn Nacktbilder von Prominenten in den Medien auftauchen? »Ich war jung, wusste es nicht besser und brauchte das Geld!«
Ich hingegen verkaufte meine Seele aus einem anderen Grund. Der Hafterlass würde auf einen Schlag meine zwanzig Jahre auf zehn reduzieren und ich setze alles daran, dass mich mein Anwalt früher herausboxte. Außerdem konnte ich mir nur zu gut vorstellen, was mir blühen würde, wenn das Medieninteresse nachgelassen hätte. Der Luxus meiner Einzelzelle, die ich während der Untersuchungshaft hatte, würde sich ganz schnell in Gar-nicht-Wohlgefallen auflösen. Und daran, dass ich in der Gemeinschaftsdusche nicht nur meine Seife verlieren könnte, wollte ich gar nicht denken …
Dann doch lieber die verkappte Hirnwäsche!
Noch bevor die Werbung für das Programm in den Medien richtig angelaufen war, stürzten sich die selbigen darauf und bekamen von der politischen Opposition Rückenwind.
Hintergrund für dieses ganze Theater um das Pilotprojekt war folgender: Kritiker des BSS-Programms vermuteten, dass es früher oder später auch in Alten- und Pflegeheimen eingesetzt werden sollte, um Personal und damit Kosten zu sparen. Für diese Vermutung sprachen auch das Engagement von Mc Bed und Skyline Technologies, die ihre Investitionen sicherlich gewinnbringend wieder einfahren wollten.
Die Renten- und Pflegekassen waren leer, der Staat hatte aber weiterhin die politische Verpflichtung eine lebenserhaltende Grundversorgung zu bieten. Dem standen zwar die enormen Investitionskosten für das BSS-Programm im Weg. Mit den zu erwartenden gewaltigen Personaleinsparungen hätte sich das Ganze aber schnell gerechnet. Darüber hinaus hatte die verheerende Sozial- und Rentenpolitik der letzten Jahre zu einem rapiden Anstieg der Verbrechensrate geführt. Insbesondere die Beschaffungskriminalität wuchs in erschreckendem Ausmaß. Viele der alten Menschen konnten sich ihre Medikamente nicht mehr leisten und brachen für sich, Freunde und Verwandte in Apotheken und Krankenhäusern ein. Diesen Trend erkannten auch viele der arbeitslosen jungen Generation und bedienten neben dem eigenen Bedarf auch einen gut florierenden Schwarzmarkt der Alten. Die Generationenzusammenkunft hatten sich die Politiker in ihren Planspielen sicherlich anders vorgestellt. Aber sie funktionierte!
Kurz nachdem ich mich auf Drängen meines Anwalts Thomas für das Projekt gemeldet hatte, wurde der Clip abgesetzt. BSS hatte seine sieben Versuchskarnickel im Sack. Und eines davon war ich! Nur wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welche folgenschwere Entwicklung diese Entscheidung mit sich bringen würde.
Bruder Martin
Ein Klopfen an der Tür forderte meine Aufmerksamkeit ein. Hoffentlich nicht Mosquito! Erstaunlich wie schnell mein Hirn ihn mit Angst assoziiert hatte ...
Ein Mittdreißiger mit braunem Haar und einer klassischen Prinz-Eisenherz-Frisur steckte seinen Kopf herein. »Hallo, ich bin Bruder Martin, Ihr Gefängnisseelsorger und möchte mit Ihnen über Gott und wie dieses Gefängnis Sie zu ihm führen kann sprechen.«
Ich atmete auf, zum Glück nur ein Seelenhirte, der hilflose Opfer missionieren