Herbert Speer

Keltisches Kreuz


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      Die Kinder stürmten fast gleichzeitig die Treppe hinauf, während Frau Wagner einen Wäscheständer entdeckte, der unter der Decke hing. Der Vogel fing ihren Blick auf, griff nach einem Seil, das an einem Haken an der Wand befestigt war, und ließ den Wäscheständer tiefer sinken, bis er auf Augenhöhe hing.

      „So, da könnt’s die Wäsch aufhängen. Wenns was zum Waschen habts, gebts as uns.“

      „Ist ja unglaublich praktisch“, freute sich Sophies Mutter.

      „Ich will an der Wand schlafen.“

      Michael hatte das Rennen gewonnen und als erster den Schlafbereich im oberen Stockwerk erreicht. Es gab ein Doppelbett am Ende des Raumes, das sich durch einen Vorhang abtrennen ließ. Ein weiteres Doppelbett befand sich an der Seite und ganz vorne, bei der Treppe, war noch ein einzelnes Bett.

      „Vielleicht sollten wir erst einmal eure Eltern fragen, wo die schlafen wollen...“

      Kai konnte sich nicht recht entscheiden und Sophie dämmerte bereits, dass sie das Einzelbett beziehen würde.

      Unten verabschiedeten sich derweil der Vogel und seine Frau. Gleich darauf kamen auch Herr und Frau Wagner nach oben und entschieden, dass sie den abgetrennten Schlafbereich für sich beanspruchen würden.

      „Und was machen wir jetzt?“

      Michael hatte seine Tasche aus dem Auto geholt und sie auf das Bett gewuchtet.

      „Jetzt sehen wir uns draußen um. Los, wer Erster ist!“

      Sophie nutzte den Vorteil, dass sie direkt an der Treppe stand, und sauste hinunter. Kai und Michael folgten ihr ins Freie. Eine riesig anmutende Rasenfläche erwartete sie dort. Der Vogel und seine Frau saßen an einem Tisch und tranken Bier. Als sie die Kinder sahen, winkten sie ihnen freundlich zu.

      „Schaut’s euch nur um!“

      Die Kinder rannten über den Rasen, schauten sich Blumen- und Gemüsebeete an, und versuchten, eine Katze zu fangen, die sie in einem Gebüsch aufgestöbert hatten. Als sie zurückkamen, hatten sich die Eltern zu den Gastgebern gesellt.

      „Jetzt zeig ich euch das Prunkstück von der ganzen Anlage.“

      Der Vogel erhob sich und schritt über den Rasen auf einen seitlichen Anbau des Haupthauses zu. Die anderen folgten ihm. Sie umrundeten einen Schuppen und kamen so an ein tief eingeschnittenes Bachbett.

      „Da seht’s jetzt das Mühlrad!“

      „Wow!“

      „Klasse!“

      Michael und Kai drängten sich an den Erwachsenen vorbei, um besser sehen zu können. Ganz entgegen ihren Erwartungen erblickten sie ein Stück weiter vorne nicht ein altersschwaches, von Moos überzogenes hölzernes Mühlrad, sondern stattdessen eine moderne Konstruktion aus Metall.

      „Gell, da schaut’s! Mit dem Radl produzierma an Strom. Da drüben auf der andern Seitn, wo die Achs nei geht, da steht der Generator. Wenn’ds woit’s, kennt’sn eich anschaun.“

      Die Kinder schritten über ein Wehr und schlüpften durch einen niedrigen Durchgang. Der Vogel eilte hinter ihnen her. Die Eltern genossen indes den Anblick des sich harmonisch drehenden Mühlrades und des Wassers, das von den großen Schaufelrädern aufgenommen und am höchsten Punkt wieder in die Tiefe abgegeben wurde.

      Im Generatorhäuschen scharten sich Michael, Kai und Sophie um den Vogel.

      „Wisst’s eigentlich, wozu ma früher a Mühlrad braucht hat? Ich mein, bevor’s an Strom gem hat.“

      Er sah die drei fragend an. Diese überlegten fieberhaft.

      „Um das Korn zu mahlen!“

      Sophie wusste die Antwort als Erste.

      „Gut. Des is richtig. Und jetzt kimmt’s mit! Dann zeig ma euch noch unser Haus. Da seht’s dann auch noch die Mühlsteine.“

      Der Vogel kehrte mit den Kindern aus dem Generatorraum zurück und überquerte das Wehr. Sie umrundeten den Anbau und folgten Hans die Treppe zum Haupthaus hinauf. Hinter der Tür befand sich eine langgestreckte Küche. Gleich links ging es in einen gemütlich eingerichteten Wohnraum.

      „Da vorn am Boden, da seht’s die Radln.“

      Der ganze Raum war mit hellem Parkett ausgelegt. Doch an der Schmalseite ragten zwei große flache Steinscheiben ein wenig aus dem Holzboden.

      „Mit dene hat ma früher as Korn gmahln.“

      Zusammen mit seiner Frau führte Hans die Gäste durch das ganze Haus. Den Eltern gefiel der Wintergarten, der sich auf der Längsseite des Hauses anschloss, am besten. Hier gab es viele Pflanzen und einen langen Holztisch mit zwei Bänken.

      „Hier könnt ihr jederzeit rein“, sagte Louise. „Wir sitzen abends oft bei einem Glas Wein zusammen und freuen uns dann über Gesellschaft.“

      Durch eine Tür in der Glaswand verließen sie den Wintergarten und gingen am Haus entlang zum Eingang des Häusl’s.

      „Und was machen wir jetzt?“, fragte Kai, nachdem sie den Wohnraum betreten hatten.

      „Also wir müssen jetzt zum Einkaufen nach Mullingar fahren.“ Frau Wagner wandte sich an die Kinder. „Da müsst ihr natürlich nicht mitkommen. Schaut euch doch einfach ein wenig um.“

      Sophie, Michael und Kai wechselten Blicke. Dann schlug Michael vor:

      „Noch mal zum Mühlrad. Wer als Erster dort ist!“

      Und schon sauste er los, dicht gefolgt von seinem besten Freund und seiner Schwester. Die schaffte es auf der Strecke über den Rasen die beiden Jungen zu überholen. Außer Atem erreichte sie den Generatorraum.

      „He! Das gilt nicht! Du hast geschummelt!“

      Michael hielt sich den Bauch. Er hatte Seitenstechen bekommen.

      „Geschummelt? Ich?“

      „Ja, natürlich. Da war überhaupt keine Katze...“

      „Kann ich was dafür, wenn du dich ablenken lässt?“

      Noch einmal bewunderten die Kinder den Generator, dann kehrten sie in den Garten zurück.

      „Und jetzt?“ Michael machte es sich im Gras gemütlich. Kai ließ seinen Blick schweifen.

      „Wie wäre es, wenn wir ein wenig die nähere Umgebung erkunden?“

      „Au ja! Da vorne ist ein Tor!“

      Sophie hatte als Erste das zweite Gartentor entdeckt. Es ging in Richtung Norden. Diesmal war Michael schneller. Er öffnete es und sie traten hinaus auf eine schmale Straße, die sich durch leicht welliges Land dahinzog. Seitlich war sie durch niedrige Steinmauern begrenzt.

      „Na, schön. Dann mal los!“

      Pfeifend und singend marschierten die Kinder durch die irische Landschaft. Auf den Weiden hinter den Steinmauern entdeckten sie Schafe und schließlich ein paar Pferde. Sie stellten sich an die Mauer und versuchten die Tiere anzulocken, doch das war vergeblich.

      Als sie schon enttäuscht abziehen wollten, spürte Sophie auf einmal etwas an ihrer Wade. Erschrocken fuhr sie herum. Ein mittelgroßer Hund schnüffelte an ihrem Bein.

      „Bist wohl neugierig, was?“

      Sie beugte sich tiefer und kraulte das Tier hinter den Ohren, woraufhin dieses mit heftigem Schwanzwedeln antwortete und zusätzlich seine Zunge ausfuhr und Sophie stürmisch das Gesicht schleckte. Michael und Kai knieten sich auf den Boden und streichelten den Hund ebenfalls.

      „Ja, ja, ist ja gut. Nicht so heftig, mein Guter. Wie heißt du denn?“

      Sophie tastete den Hals des Hundes ab, entdeckte dort aber weder Halsband noch Hundemarke.

      „Hast du etwa kein Herrchen? Oder braucht man in Irland keine Marke?“

      In