Herbert Speer

Keltisches Kreuz


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nicht herrenlos...“

      Im nächsten Moment bog ein junger Mann um die Ecke. Er trug ausgewaschene Jeans, die teilweise zerrissen waren, und darüber ein ärmelloses T-Shirt. Er hatte kurze braune Haare, die wild in alle Richtungen von seinem Kopf abstanden. Und – was Sophie am meisten auffiel – er hatte einen sympathischen Gesichtsausdruck. Fast schelmisch grinste er die Kinder an, als er näher kam. Der Hund stürmte auf ihn zu und sprang mehrfach an seiner Seite hoch.

      „He, ist ja gut“, sagte der junge Mann auf Englisch. Sophie reagierte sofort und fragte in derselben Sprache:

      „Wie heißt er denn?“

      „Hank! Wie Tom Hanks, nur ohne s. Hi, ich bin Ian!“

      Er hob seine Hand zum Gruß und sah die drei der Reihe nach an.

      „Und ihr verbringt hier wohl eure Ferien...“

      „Stimmt. Sieht man uns das an?“

      „Na ja, wie Iren seht ihr nicht gerade aus, vor allem du nicht.“

      Er zeigte auf Sophie und Michael konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

      „Wie eine Deutsche sehe ich aber auch nicht aus.“

      „1:0 für dich. Du bist nicht auf den Mund gefallen. Und wie kommt’s, dass du Deutsche bist?“

      „Eine deutsche Familie hat mich adoptiert. Das hier ist mein Bruder Michael. Und dies sein bester Freund Kai. Ich komme eigentlich aus dem Senegal...“

      „Oh, nicht gerade der nächste Weg. Aber mir scheint, in Deutschland gefällt es dir ganz gut. Obwohl du dich manchmal fragst, wer deine richtigen Eltern sind...“

      Der junge Mann lehnte sich an den Zaun und blickte Sophie mit schiefgelegtem Kopf an. Sie spürte, dass sie errötete.

      „Woher weißt du das?“

      „Ist keine Kunst. Geht doch allen adoptierten Kindern so, wenn sie mal erfahren haben, dass ihre Eltern gar nicht ihre richtigen Eltern sind.“

      Das klang plausibel.

      „Und wie ist dein Name, dunkelhäutiges Mädchen aus dem Senegal?“

      „Sophie...“

      „Sophie. Klingt schön. Ich muss jetzt weiter, Sophie. Ich wünsch euch noch eine schöne Zeit.“

      Mit diesen Worten wandte sich Ian dem Weg zu und verschwand. Sophie blickte ihm und Hank gedankenverloren hinterher. Nach einer Weile stupste Michael sie an.

      „He! Sophie! Träumst du am helllichten Tag?“

      Da riss sich Sophie aus ihrer Starre und wandte sich den anderen zu.

      „Quatsch! Und jetzt? Machen wir ein Wettrennen?“

      ***

      2 Auf zu Gunnings

      Als Sophie, Michael und Kai von ihrer Wanderung zurückkamen, waren die Eltern schon damit beschäftigt, den Gartentisch zu decken. Herr Wagner stand am Grill und versuchte, die Kohle zum Glühen zu bringen.

      „Hallo, ihr drei! Geht gleich rein und helft eurer Mutter!“

      Im Häusl trafen sie Frau Wagner, die jedem von ihnen etwas in die Hand drückte. Eine Weile später war die Familie um den Tisch versammelt. Der Vater wendete die Fleischstücke auf dem Grillrost und die Mutter verteilte den Salat. Sophie genoss den Duft der Natur, in den sich ein Hauch gegrillten Fleisches mischte. Während sie noch beim Essen saßen, kam der Vogel die Küchentreppe herunter und gesellte sich zu ihnen.

      „Schmeckt’s? Na, des is recht!“

      Er zog sich einen Stuhl heran und nahm darauf Platz.

      „Sagt’s amal, was habts’n heit auf’d Nacht vor?“

      Es war noch früh am Abend.

      „Wenn’ds woit’s, na kennt ma no zum Gunnings fahr’n.“

      „Gunnings?“

      Frau Wagner runzelte die Stirn.

      „Des is unser Pub. Da kriagt’s as beste Guinness von ganz Irland!“

      Herr Wagner nickte freudig.

      „Warum nicht?“

      „Aber die Kinder lassen wir hier. Ein Pub ist doch kein Ort...“

      Frau Wagner konnte den Satz nicht beenden, da flogen ihr schon von allen Seiten Vorwürfe an den Kopf. Der Vogel musste daraufhin lauthals lachen.

      „Also, weng dem braucht’s eich keine Sorgen macha. Beim Gunnings geht jeda nei, a die Kloana. Hinten steht a so a Billardtisch...“

      „Wir müssen ja nicht ewig bleiben“, schlug sich der Vater auf die Seite der Kinder. Nach kurzer Diskussion gab die Mutter nach und so beschloss man, am späteren Abend gemeinsam zu der Kneipe zu fahren.

      Die Kinder konnten es gar nicht abwarten, bis es endlich losging. Sie halfen widerwillig beim Abwaschen, dann vertrieben sie sich die Zeit mit Ballspielen. Als es auf 21 Uhr zuging, wurde endlich das Signal zum Aufbruch gegeben. Hans und Louise fuhren in ihrem VW-Bus voran, und zwar in die Richtung, aus der sie am Nachmittag gekommen waren.

      „Der fährt ja einen scharfen Reifen!“

      Herrn Wagner gelang es kaum, dem VW-Bus auf den Fersen zu bleiben. Aber wenigstens schaffte er es, den Abstand so klein zu halten, dass er die Rücklichter des voranfahrenden Autos nicht aus den Augen verlor.

      Nach kurzer Fahrt erreichten die beiden Autos ein niedriges Haus, vor dem einsam eine alte Zapfsäule vor sich hin rostete. Als Sophie ausstieg, fielen ihr ein paar altersschwache Campingbusse auf, die auf der anderen Straßenseite geparkt waren. Auf Klappstühlen saßen Männer und unterhielten sich. Sie rauchten und tranken Bier aus Dosen. Schon wollte Sophie den anderen zum Eingang des Pubs folgen, da sah sie den Hund und gleich darauf sein Herrchen hinter einem der Autos hervorkommen.

      „Hi Sophie! Hallo Michael und Kai!“

      Ian winkte von der anderen Straßenseite, während Hank gleich angestürmt kam.

      „Wer ist denn das?“

      Sophies Mutter setzte eine besorgte Miene auf.

      „Niemand!“

      Sophie kraulte Hank hinter den Ohren und blickte dabei immer wieder verstohlen auf die andere Straßenseite. Auch Michael und Kai scharten sich um den Hund, während Frau Wagner ihren Mann auf die Männer vor den Campingbussen aufmerksam machte.

      „So, kummt’s mit. Na segt’s, wia des beim Gunnings ausschaut!“

      Der Vogel gab das Signal. Die Kinder lösten sich von Hank und folgten den Erwachsenen. Über dem Eingang des Pubs stand in verblichenen Buchstaben das Wort „Gunnings“. Durch die Tür kamen sie zunächst einmal in einen Kramladen. In überfüllten Regalen stapelten sich Lebensmittel, Haushaltswaren, Zigaretten und anderes. Ein Mann hinter einer Theke begrüßte die Ankommenden.

      „Und das soll ein Pub sein?“

      Michael konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.

      „Des Pub kimmt erst hinta dera Tür“, bemerkte der Vogel, der es gehört hatte.

      Michael blieb dennoch skeptisch. Doch als sie durch die zweite Tür schritten, musste er zugeben, dass sie tatsächlich in so etwas wie einer Kneipe gelandet waren. Hinter der Verlängerung der Theke des Kramladens befanden sich nun unzählige Flaschen, die sicherlich alkoholische Getränke enthielten. Auf dem Tresen waren mehrere Zapfanlagen für Bier montiert. Auf hohen Barhockern saßen zwei ältere Männer und eine Frau. Die Männer trugen einfache Kleidung und flache Kappen mit kariertem Muster auf dem Kopf.

      Der Vogel begrüßte alle Anwesenden persönlich. Dann steuerte er auf einen niedrigen Tisch zu. Dort setzten er und Louise sich auf eine Bank, während sich die Eltern und die Kinder