Herbert Speer

Keltisches Kreuz


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rühren blieb Sophie im Bett sitzen.

       Aber was für ein realistischer Traum, das kann doch gar nicht sein...

      Ein Blick zum Fenster verriet ihr, dass es schon früh am Morgen sein musste. Sie überlegte, ob sie versuchen sollte noch einmal einzuschlafen, entschied sich dann aber dagegen. So leise wie möglich schälte sie sich aus dem Bett, klaubte ihre Kleidung zusammen und stahl sich die Treppe hinunter. Im Wohnraum zog sie sich langsam an.

       Ich brauche frische Luft...

      Sophie schlüpfte in ihre Schuhe und verließ das Haus. Eine frische Brise empfing sie.

       Ganz schön kalt...

      Sie knöpfte ihre Jeansjacke zu und lenkte ihre Schritte unbewusst zum nördlichen Gartentor. Während sie der Straße folgte, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen.

       Fakt ist, dass Ian mir die Karte nicht zufällig zugesteckt hat. Also muss er etwas damit bezweckt haben. Vielleicht hat es etwas mit dem zu tun, was er mir gestern erzählt hat, über das keltische Irland...

      Sie zog die Karte aus ihrer Jacke und betrachtete sie eingehend, während sie langsam weiterging.

       Zehn der Schwerter. Ein Kampf, ja, ganz sicher. Aber warum zehn...?

      So grübelnd kam Sophie immer weiter. Zu ihrer Rechten ragte eine grasbewachsene Erhebung in den bewölkten Himmel. Unwillkürlich blieb sie stehen und sah hinauf. Ein Stück weiter befand sich eine Wegkreuzung.

       Wo will ich denn eigentlich hin?

      Unschlüssig sah sie sich um, als auf einmal ein Hund auf sie zuschoss.

      „Hank! Wo kommst du denn her?“

      Freudig erregt sprang der Hund um das Mädchen herum. Sophie ließ sich auf die Knie und kraulte ihn hinter den Ohren.

      „Wo ist denn dein Herrchen? Wo ist Ian?“

      Sie stand wieder auf, denn Hank zeigte an, dass er sie verstanden hatte. Er lief ein kurzes Stück auf den Hügel zu, blieb wieder stehen, und als er sah, dass Sophie folgte, rannte er weiter. Er nahm einen schmalen, im dichten Gras kaum sichtbaren Pfad, der in einem langgezogenen Bogen zur abgeflachten Spitze des Hügels hinaufführte.

      „Du möchtest wohl, dass ich dir folge...? Dann ist Ian da oben...?“

      Also machte sich Sophie an den Aufstieg. Hank rannte ein Stück voraus, wartete, rannte weiter. Es dauerte nicht lange, da war Sophie auf der Kuppe angekommen.

       Hm, keine Spur von Ian...

      Doch ein Stück weiter vorne sah sie Hank. Schwanzwedelnd stand er vor einer kleinen Erhöhung. Als sie näher kam, erkannte Sophie, dass es sich um einen aus dem Gestein gehauenen Hochsitz handelte. Und auf ihm saß...

      „Ian!“

      „Guten Morgen, Sophie. Wie ich sehe, bist du schon früh auf den Beinen.“

      Hank legte sich vor seinem Herrchen ins Gras. Sophie blieb unschlüssig stehen. Der Tinker wirkte nicht im Mindesten überrascht sie zu sehen.

       Die Karte... Ich muss ihn fragen... Aber wie...?

      „Dieser Sitz stammt noch aus keltischer Zeit. Es war ein Wachsitz. Von unten wird man nicht gesehen, kann aber selbst weit über Land blicken und seinen Stamm vor anrückenden Feinden warnen.“

       Ach was. Ich versuch’s einfach!

      Sophie zog die Karte aus ihrer Tasche und reichte sie Ian.

      „Was ist das?“

      „Das ist eine Tarot Karte. Zehn der Schwerter. Hm, keine leichte Kost...“

      Sophie versuchte anhand von Ians Reaktion zu erkennen, ob wirklich er ihr die Karte zugesteckt hatte. Doch das Gesicht des Tinkers blieb ausdruckslos.

      „Was bedeutet sie?“

      „Das ist keine gute Karte. Sie deutet unmissverständlich auf eine drohende Niederlage hin. Eine Bedrohung von außen... Sie nimmt langsam Form an... Sie nähert sich unaufhaltsam... Nicht schön...“

      Er gab Sophie die Karte zurück. Sein Blick ging dabei ins Leere.

       Aber du hast mir die Karte doch gegeben...

      Noch immer fühlte sich Sophie unfähig, den Gedanken auszusprechen.

       Wer wird bedroht? Ich...? Oder du...?

      „Schau mal! Die Sonne geht auf!“

      Ian deutete nach vorne. Tatsächlich riss die Wolkendecke auf und ein breites Lichtband schien über sie hinweg in die tiefer liegende Ebene.

      „Fällt dir was auf? Die Sonne steht hinter uns. Wir blicken hier also genau nach Westen...“

      Sophie sah noch einen Moment auf die saftigen grünen Weiden, dann wandte sie sich um.

      „Ian, diese Karte...“

      Der Tinker war aufgestanden und machte sich eben auf den Weg.

      „Wir müssen dann mal wieder los. Hat mich gefreut dich zu treffen, Prinzessin...“

      Ehe sich Sophie versah, waren Ian und sein Hund schon um die erste Biegung verschwunden. Ratlos blieb sie zurück.

       Das gibt’s doch nicht! Warum habe ich ihn jetzt nicht gefragt...?

      Sie setzte sich auf den Hochsitz und ließ das kurze Gespräch noch einmal Revue passieren. Doch sie fand keinen Punkt, an dem sie anders hätte handeln können. Ruckartig stand sie auf.

       Ich muss zurück! Jetzt müssen Michael und Kai ran!

       ***

      4 Prinzessin der Kelche

      Ganz außer Atem erreichte Sophie das Häusl. Vor Ungeduld war sie den ganzen Weg gerannt. Jetzt musste sie erst einmal Luft holen, dann öffnete sie die Tür und trat ein.

       Stille! Dann schlafen wohl alle noch...

      Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihr, dass es erst kurz nach sieben war. So leise wie möglich schlich sie die Treppe nach oben. Dort setzte sie sich auf den Rand des Bettes, in dem ihr Bruder schlief, und zupfte an seiner Bettdecke. Keine Reaktion. Sie legte die Hand auf seinen Oberarm, der sich unter der Bettdecke abzeichnete, und schüttelte ihn leicht. Als Antwort kam nur unwirsches Gebrummel. Dafür wachte Kai auf, der gleich daneben lag. Er setzte sich auf und starrte Sophie ungläubig an.

      „Was ist denn los?“

      „Ihr müsst aufstehen. Es gibt Neuigkeiten!“

      Das schien auch Michael gehört zu haben, denn im Nu schüttelte er sich die Decke ab und folgte Kai und Sophie die Treppe hinunter.

      „Ich hoffe, du hast einen guten Grund, uns so früh am Morgen aus dem wohlverdienten Schlaf zu reißen...“

      Michael gähnte herzhaft und ließ sich in den bequemen Sessel fallen. Sophie blieb stehen.

      „Ich habe Ian getroffen!“

      Jetzt war auch Michael hellwach.

      „Und? Hat er dir die Karte zugesteckt?“

      „Das konnte ich nicht herausfinden... Das heißt, ich konnte ihn nicht fragen...“

      „Ja, was? Wieso denn nicht?“

      „Das ist ein wenig kompliziert. Er war so seltsam. Aber ich habe ihm die Karte gezeigt und ich bin überzeugt davon, dass er sie mir gegeben hat und etwas Bestimmtes damit bezweckte.“

      „Und was soll das sein?“

      Kai setzte sich auf die Lehne des Sessels.

      „Das ist