Herbert Speer

Keltisches Kreuz


Скачать книгу

vielen schönen Orten, von den steil zum Meer abfallenden Felsen im Westen, den wilden unzugänglichen Gebieten im Norden, der großen und pulsierenden Hauptstadt im Osten, sowie den Burgen und Ruinen im Süden. Dabei berichtete Ian nicht nur von seinen eigenen Erlebnissen. Er verstand es gleichzeitig, diese in einen mythischen Zusammenhang zu weben. So erzählte er von den Königen, die in alter Zeit über Irland geherrscht hatten, über ihre Kriege und ihren Glauben.

      „Und die Druiden konnten wirklich zaubern?“, fragte Sophie ungläubig, nachdem Ian von dem mächtigen Einfluss der Druiden gesprochen hatte.

      „Die Druiden verstanden sich als die Mittler zwischen den Göttern und den Menschen. Sie hatten Zugang sowohl zu der einen wie zu der anderen Welt. Wir sprechen heute sehr abfällig von Zauberkunst. Doch was die Druiden konnten, war mehr als das. Ein über Jahrhunderte angesammeltes und entwickeltes Wissen, weitergegeben von einer Generation zur nächsten. Und dabei stets gemehrt und verfeinert. Bis dieses Wissen schließlich in Vergessenheit geriet.“

      „Wie kam es dazu?“

      „Als der christliche Glaube nach Irland kam, duldete er das Wissen der Druiden nicht. Es widersprach seinem Absolutheitsanspruch. Es begannen die Jahrhunderte, aus denen unsere bekanntesten Sagen und Überlieferungen stammen. Am Ende siegte das Christentum und das alte Wissen verschwand...“

      Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Sophie sah im Himmel über sich den hell scheinenden Mond.

       Der Mond über dem Steinkreis! Alte Sagen... Burgen, Ritter, Magier...

      Sie befanden sich bereits wieder auf dem Rückweg. Sophie merkte es erst daran, dass ihr eine schneidende Stimme entgegen schlug:

      „Sophia Maria!“

      So nannte ihre Mutter sie nur, wenn sie ernsthaft böse war.

      „Tut mir leid“, sagte Sophie noch schnell zu Ian, dann rannte sie auf ihre Eltern zu, die auf der Freifläche vor Gunnings auf sie warteten.

      „Ich habe dir doch gesagt, dass du dich nicht mit diesen Leuten abgeben sollst! Und dann noch mitten in der Nacht. Was da alles hätte passieren können? Er ist dir doch nicht zu nahe gekommen?“

      Sophie zog den Kopf ein und ließ es über sich ergehen. Als sie endlich ins Auto einstiegen und die Mutter ihren endlosen Redeschwall einstellte, war Sophie heilfroh.

       ***

      3 Zehn der Schwerter

      Nachdem sie an der Mühle angekommen waren, brachten Herr und Frau Wagner die Kinder ins Häusl und verlangten von ihnen, umgehend ins Bett zu gehen. Sie selbst setzten sich noch mit dem Vogel und seiner Frau auf ein Glas Wein in den Wintergarten.

      „Gehen wir wirklich gleich ins Bett?“

      Kai warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor elf.

      „Spinnst du? Vor Mitternacht kommen die doch nicht!“

      Michael warf seinem Freund einen entrüsteten Blick zu.

      „Oder was meinst du, Sophie?“

      Sophie streifte sich gerade die Jeansjacke ab. Dabei fiel etwas zu Boden.

      „Was ist denn das...?“

      Fast gleichzeitig bückten sich die Kinder. Sophie war die schnellste. Sie hob ein Stück Karton auf.

      „Eine Spielkarte... Wo kommt die denn her...?“

      „Lass mal sehen!“

      Michael nahm sie ihr aus der Hand und betrachtete sie näher. Auf der Rückseite sah man verschlungene Formen und Muster. Die Vorderseite zeigte ein Bild.

      „Das ist ja grauenhaft...“

      „Richtig schaurig...“

      „Zehn der Schwerter steht da...“

      Auf dem Bild waren einige Männer gezeichnet, von Schwertern durchbohrt, blutend und auf einem Haufen liegen. Im Hintergrund brannten drei Hütten.

      „Habt ihr so was schon mal gesehen?“

      Kai hielt die Karte unter eine Lampe und betrachtete das Bild eingehend.

      „Schaut euch mal die Hütten an und die Kleidung der Männer... richtig altertümlich...“

      Sophie nahm Kai die Karte aus der Hand und drehte sie um.

      „Und dieses Muster hier auf der Rückseite mit den zwei Köpfen...“

      „Wie zwei ineinander verschlungene Schlangen...“

      Nun nahm Michael die Karte.

      „Woher hast du die?“

      „Ich hab keine Ahnung. Sie ist mir aus der Jacke gefallen...“

      Einen Moment lang sagte keiner etwas. Dann brach es auf einmal aus Sophie heraus.

      „Erinnert mich an die Geschichten über das alte Irland, die mir Ian erzählt hat. Von den Kelten und den Druiden und so...“

      „Davon hast du ja gar nichts erzählt. Dann muss er dir die Karte zugesteckt haben!“

      Michael war ganz aufgeregt.

      „Ja, schon. Aber warum sollte er so etwas tun...?“

      Sophie nahm die Karte zurück und betrachtete noch einmal eingehend das Bild.

      „Wie nach einer Schlacht sieht es hier aus...“

      „Oder nach dem Angriff auf ein Dorf“, schlug Kai vor. „Da haben irgendwelche Räuberbanden gemordet und geplündert!“

      „Das beantwortet aber noch immer nicht unsere Frage“, kam Michael auf das Wesentliche zurück. „Warum hat Ian dir diese Karte zugesteckt?“

      Darauf wusste keiner eine Antwort. Nachdem sie sich eine Weile ratlos angesehen hatten, schlug Michael vor, Mau-Mau zu spielen. Damit waren alle einverstanden, wenn auch Sophie die geheimnisvolle Karte nicht aus dem Kopf gehen wollte. Als es schon auf ein Uhr zuging, hörten sie, wie unten die Tür geöffnet wurde.

      „Licht aus! Schnell in die Betten!“

      Sie hörten, wie die Eltern das Haus betraten und nach einer kurzen Weile nach oben kamen. Die Kinder stellten sich schlafend. Michael und Kai schliefen bald darauf tatsächlich ein. Nur Sophie lag noch lange wach.

       Zehn der Schwerter! Was bedeutet das? Es wird doch kein Zufall gewesen sein, dass Ian mir die Karte zugesteckt hat. Irgendetwas wollte er damit doch sicherlich erreichen? Nur was...?

      Der Mond schien durch das kleine Fenster an der Stirnseite des Häusls und zeichnete eine silberne Brücke in die Luft. Staubfäden tanzten dort munter hin und her.

       Der Mond...

      Schwere Schritte dröhnten. Männer näherten sich. Schwerter wurden gezogen und Kommandos gerufen. Dann ging der Sturm los.

      „Ian! Sie kommen. Was sollen wir tun?“

      „Baut Barrikaden! Lasst sie nicht heran!“

      Auch Ian hatte sein Schwert gezogen. Kalt glitzerte es im Mondlicht. Sein Gesicht war verhärtet. Er hatte keine Zeit mehr. Gleich würde der Kampf beginnen.

       Ian! Nein...!

      Schon stürmte der erste Gegner auf ihn ein und holte mit dem Schwert aus. Ian parierte den Schlag, doch da kam schon der nächste.

       Ian! Ich muss dir helfen. Komm! Lauf weg! Komm zu mir...

      Doch Ian hörte nicht. Immer neue Gegner tauchten auf. Immer wütender wurden ihre Attacken. Nur mit Müh und Not konnte sich der Tinker verteidigen.

      „Nein!“

      Sophie schreckte hoch und setzte sich im Bett auf. Ihr Herz pochte wie wild. Im Raum war es dämmrig.