Anja Pauli

Tausche Mann gegen Therapieplatz


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Hebammen und die Ärztin schauten gebannt auf den Wehenschreiber. Sebastian stand irgendwo hinter mir, ich konnte ihn nicht sehen.

      „Wie lange dauert es noch? Es tut so weh“, fragte ich weinerlich in die Runde, bekam aber keine Antwort.

      Ein zweiter Arzt betrat den Raum, und ich spürte es würde Komplikationen geben.

      „Sebastian, Sebastian“, schrie ich und als er sich näherte flehte ich ihn an, „frag was los ist, frag schon“.

      „Ich kann denen doch nicht ins Handwerk pfuschen“, und mit diesen Worten trat er wieder in den hinteren Teil des Zimmers.

      Ich versuchte es noch mal: „Was ist denn los? Nun sagen Sie mir es doch! Stimmt was nicht?“

      Die nächste Wehe kam und ich presste den Schmerz weg.

      „Nicht pressen!“ wurde ich angeschrieen.

      „Die Herztöne Ihres Kindes sinken.“

      Danach hörte ich nur noch „Schneiden!“, „Zange!“ mir wurde noch schwummeriger, und ich versuchte mich auf meinen Atem zu konzentrieren.

      Dann die Aufforderung „Jetzt pressen“. Na was wollen die denn?

      Leise drang Einigkeit der Fachleute an mein Ohr, dass Vorbereitungskurse Pflicht sein müssten, ich wäre ja das beste Beispiel.

      Schier endlos schienen mir die nächsten Minuten bis zur Geburt von Robin. Doch dann war er endlich da. Mein Sohn – nun ja, eigentlich unser Sohn.

      Ganz Vaterstolz streichelte Sebastian Robins kleines Köpfchen und nahm ihn dann, als ich in den Überwachungsraum gefahren wurde. Schon beim Waschen, Wiegen und bei der Untersuchung des neuen Erdenbürgers war Sebastian der Stolz in Person.

      Zu mir sagte er – fast zärtlich – „Danke schön, danke für unseren Sohn.“

      Sollte sich vielleicht jetzt doch alles ändern?

      Nein, dieser Gedanke währte keine fünf Minuten.

      Im Überwachungsraum angekommen, machte er mich sofort auf den Zustand meines nun zu großgewordenen „Bauchfells“ aufmerksam, drückte mir Klein-Robin in den Arm und verabschiedete sich, samt Hebamme, für eine Zigarettenpause.

      Ich drehte mich im Bett herum und schaute Sebastian an.

      Nein, er hatte mir wirklich genug angetan!

      Als wenig später der Wecker klingelte, schlug er voller Wut auf den „Off“-Knopf und maulte unverständlich herum.

      Nach weiteren fünf Minuten meldete sich der unverschämte Wecker erneut. „Blödes Mistding“, schnauzte er. „Mach mal Frühstück, ich muss raus!“

      Ich wollte schon aufstehen, doch meine Erkenntnis von vorhin meldete sich. Los Karina, jetzt oder nie.

      „Ich schlaf noch was. Ab heute gewöhnst du dich besser daran dein Frühstück selber zu machen.“

      „Klasse, rumzicken am frühen Morgen. So was kann ich gebrauchen.“ Missmutig und böse dreinblickend stand er vor meinem Bett. Unsere Augen trafen sich.

      „Keine Angst, die Zicke verlässt dich, Sebastian.“ Ich drehte mich zur anderen Seite und wartete auf das Donnerwetter, doch es blieb still.

      Als Sebastian die Wohnung verlassen hatte, setzte ich mich an den Computer, um einen Artikel zu schreiben. Das Interview hatte ich schon vor drei Tagen gemacht und Herr Klarenwasser, mein Chefredakteur, würde sicherlich nicht weiter warten

      wollen. Unkonzentriert legte ich los. Das Thema lag mir jetzt besonders.

      Ein Ehepaar hatte Diamanthochzeit. Seit sechzig Jahren standen sie sich zur Seite und hatten mir stolz und händchenhaltend ihre Liebesstory erzählt. Inmitten ihrer zahlreichen Gäste schilderten sie ihre Liebe, die kein Hollywood-Macher schöner hätte schreiben können.

      Schon bei ihrer ersten flüchtigen Begegnung wusste der Jubilar „das ist die eine“ und er erzählte seinem Vater, dass er die Frau getroffen habe, die er einmal heiraten werde. Der Vater belächelte seinen Sohn, denn zunächst war diese Liebe recht einseitig. Dass die beiden dennoch zusammenfanden, verdankte der Bräutigam der Schwiegermutter, die die Geschicke des jungen Glücks sorgfältig und unermüdlich lenkte, bis die Herzensdame ihn schließlich erhörte.

      Seitdem hielten sie zusammen, und was auch immer sich an Schwierigkeiten in ihren Weg stellte, sie fanden gemeinsam eine Lösung. An der Türe verabschiedete mich das Paar mit den Worten: „Bis in zehn Jahren, dann feiern wir eiserne Hochzeit.“ Sie winkten mir noch lange nach. Doch ihre Worte sollten noch viel länger in mir nachhallen. Das war echte Liebe. „Cincero Amore“, die einzige und wirkliche Liebe.

      So etwas wollte ich auch empfinden, dachte ich, und vielleicht kam dadurch auch die Erkenntnis der vergangenen Nacht.

      Gedankenversunken schrieb und schrieb ich ihre Geschichte. Zum Schluss merkte ich, dass sie viel zu lang war. Nun hieß es kürzen. Doch was soll man bei so einer wunderschönen Geschichte kürzen. Jeder Satz den ich aus dem PC löschte tat mir leid. Und ich bemerkte wie meine Tränen erneut rollten.

      Geschichten, die das Leben schrieb. Oh, was hatte ich einen

      depressiven Drehbuchautor!

      Aber nun stand auch noch meine wöchentliche Kolumne auf der Tagesordnung. „Leben live“, witzig, spritzig, alltäglich. Wie sollte ich das in meiner Stimmung zustande bringen?

      Wieder einmal half mir die Erinnerung an Sebastian.

      „Immer zu spät

       Wann immer ich eine Verabredung habe – ich komme zu spät. Oh, nicht, dass ich mich nicht bemühe pünktlich zu sein. Aber wenn ich einen Termin habe, scheint sich die Welt gegen mich zu verschwören. „Mama, guck mal was passiert ist!“ Und ich sehe, schon in den Startlöchern stehend, den Traubensaft quer über das Bett verteilt. Super! Nun heißt es Bett abziehen, in die Waschmaschine stopfen und dann loseilen. Natürlich mit einer viertel Stunde Verspätung. Ist es nicht der Saft, dann hat es der Welpe mal eben nicht mehr bis in den Garten geschafft, die Nachbarin muss dringend etwas mitteilen, oder das Telefon klingelt. Und sollten einmal keine anderen Personen meine Zeit in Anspruch nehmen, kann ich darauf wetten, dass mein Schlüssel wie vom Erdboden verschluckt ist, oder dass das Müllauto genau so vor meinem Wagen seinen Dienst verrichtet, sodass ich nicht gleich losfahren kann. Nun hatte ich eine Verabredung mit meiner Freundin. Als Treffpunkt hatten wir den Münsterplatz vereinbart, und dort konnte ich sie unmöglich lange stehen lassen. Alle Verzögerungen einplanend, stellte ich den Wecker eine halbe Stunde früher, Telefon und Schelle wurden ignoriert und den Hunden ließ ich die ganze Zeit die Tür zum Garten auf. Und zum ersten Mal seit langem schaffte ich es. Ich war pünktlich. Als ich auf dem Marktplatz stand, begann es zu nieseln. Den Schirm hatte ich in der Eile natürlich vergessen. Durchnässt sah ich sie eine halbe Stunde später auf mich zuschlendern. „Sorry. Aber ich hätte nicht gedacht, dass du mal pünktlich bist!“

      Typisch Sebastian! Doch ich entschied mich die Geschichte schnell auf meine Freundin umzuschreiben, denn er sollte in meinem Leben einfach keinen Platz mehr haben.

      Welch Bildnis! Ich war wirklich zu spät dran, ich hätte mich schon viel früher trennen müssen!

      Wir einigten uns zunächst noch gemeinsam in der Wohnung zu leben, bis Sebastian etwas für sich gefunden hatte. Ich schlief also fortan mit in Robins Kinderzimmer.

      Die Zeit danach

      Schützenfest.

      Und was tat ich wieder dabei?

      Ich liebe das Landleben! Obwohl wir eigentlich streng genommen eher ländlich, als auf dem Land leben. Zwei Großstädte sind in weniger als einer Viertel Stunde mit dem Auto erreichbar. Aber wir haben