Claus Beese

Strandgut


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dem Absatz kehrt gemacht und war aus der Kajüte gestürmt. Diese Aktion ließ steile Falten auf der Stirn des Kapitäns der »Treuenfels« erscheinen.

      »Mein Gott!«, hatte er gestöhnt. »Warum muss dieser olle Kommisskopp bloß auf meinem Dampfer fahren?«

      Noch am selben Tag hatte Bodo kistenweise Ersatz für die fehlenden Gegenstände seiner Messe-Ausstattung bekommen und sofort alles ausgepackt und verstaut. Zum Abendessen machte die gesamte Mannschaft dann große Augen, denn so fein war der Speisesaal an Bord noch nie hergerichtet gewesen. Es wunderte daher niemanden, dass der Schlacks seither an Bord so eine gewisse Art von Narrenfreiheit besaß.

      »No, Langa, was gieps?«

      Hein lehnte sich neben dem Schlacks an die Reling und schaute hinunter aufs Wasser.

      »Och so, Haie!«, lispelte er.

      Die Mannschaft hatte schnell mitbekommen, dass der Schlacks einem eigenartigen Hobby nachging. So manches Mal hatte Bodo dafür gesorgt, dass der Smutje wirklich fangfrischen Fisch auf den Tisch bringen konnte, anstelle der normalerweise üblichen panierten Stäbchen.

      Hein, mit richtigem Namen Karl-Heinz, war Bodos Stubenkamerad an Bord. Sie teilten sich eine Kajüte und kamen ganz gut miteinander klar. Hein legte Wert darauf, dass ihn niemand mit seinem vollen Namen ansprach, denn der klang ihm zu wenig seemännisch. Aber Hein, das konnte er gelten lassen, der Name hatte eine maritime Tradition.

      »No, was is nu? Willst ma deine Hairute ausprobiern?«

      Hein sprach nicht viel, aber wenn er redete, dann in einem breiten Hamburger Slang, der keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, wo sich sein Heimathafen befand.

      »Von hier oben aus hab ich keine Chance«, brummelte der Schlacks. »Es ist einfach zu hoch! Wenn ich mal einen am Haken hab, krieg ich ihn gar nicht raus.«

      »Oooch, das is doch kein Thema«, grinste Hein. »Hol du man deine Rude, den Rest mach ich denn schon!«

      Bodo schaute seinen Freund skeptisch an, ging dann aber wirklich ins Logis um seinen Haiknüppel zu holen. Hein indes krabbelte auf den Führerstand des Ladebaumes und startete den Motor der Winde. Er pickte die Gangway an, die auf einer der Ladeluken lag und hob sie hoch. Geschickt brachte er sie an der Backbordseite des Dampfers außenbords und ließ sie in ihre Widerlager gleiten. Dann senkte er sie soweit ab, dass man wie auf einer Treppe bis hinab zum Wasser steigen konnte. So, nun konnte der Lange angeln. Hein war zufrieden.

      Der Schlacks hatte nicht nur seine Haiangel geholt, sondern auch aus der Kombüse ein riesiges T-Bonesteak organisiert, welches er kunstvoll um die große Hakenspitze drapierte.

      »Mein schönes Abendbrot, nu geht es dahin«, hatte Hein sinniert, als Bodo den Köder mit Schwung ins Wasser befördert hatte. Als guter Kumpel hatte er den Schlacks auf der schmalen Stiege nach unten begleitet, und nun standen sie auf der Gangway knapp über der Wasseroberfläche.

      »Sach mol, Alter, woran merkst du oigentlich, das da ‘n Fisch angebissen hat?«

      »Ach, Hein. Weißt du, die machen sich schon bemerkbar«, grinste Bodo, und wusste noch nicht, wie recht er hatte.

      »Boh!«, brüllte er im nächsten Augenblick und hatte Mühe, seine Rute in den Griff zu bekommen. Wild schlug sie aus und hätte der Lange Zeit dazu gehabt, hätte er gespürt, wie sich ein großer blauer Fleck an seinen Rippen bildete. Dort hatte ihn der Knüppelgriff getroffen, als der Hai angebissen und die Rutenspitze heruntergerissen hatte. Bodo versuchte, den Fisch unter Kontrolle zu kriegen, aber die dicke Spezialsehne, die er als Schnur verwendete, wurde Meter um Meter von der Rolle gezogen. Urplötzlich änderte der Hai seine Richtung und schwamm auf Bodo zu. Der Schlacks kurbelte wie ein Besessener seine Schnur ein. Da tauchte der Fisch knappe drei Meter vor ihm auf. Ein riesiges Maul öffnete sich und ein paar Reihen messerscharfer Zähne bleckten Bodo an.

      »Waaaah!«, brüllte der Lange, machte kehrt und rannte ein paar Stufen hinauf, bis Hein ihm den Weg versperrte.

      »Ey, was is los, Alter? Los, runner mit dir. Mach ihn fäddich, gib ihm Saures!«, kommentierte der Hamburger Matrose die hastige Flucht. Bodo drehte sich zitternd um und stieg die Stufen wieder hinunter. Erneut zog der Fisch ab, und der Lange drehte langsam die Bremse fester. Den Hai beeindruckte das nicht im Geringsten. Ruhig und stetig zog er davon. In Bodo erwachte der Kämpfer. Noch fester und noch fester zog er die Rollenbremse. Dann blockierte das heißgelaufene Getriebe und die Rute machte eine heftige Verbeugung. Mit einem hässlichen Splittern verabschiedete sich die Rutenspitze, eine Sekunde später zerlegte sich die ganze Angelrute in kleine, handliche Teile, die man bequem in jede Mülltonne stecken konnte. Die Schnur brach mit einem lauten Knall, und Bodo saß urplötzlich auf seinen vier Buchstaben. Verdattert blickte er sich um.

      »Verdammt, Alter! Das ‘n Ding! Hassu den gesehen? Minnestens drei Meter lang, sach ich dir!«

      Hein war vorsichtshalber die Gangway ein gutes Stück höher geklettert, als er die Zähne des Ungetüms gesehen hatte. Angst hatte er nicht, aber man konnte ja nie wissen. Schließlich war die Zeit der einbeinigen Seeleute vorbei, und wie John Silver auf einem Holzbein durch die Gegend hinken, wollte er auf keinen Fall. Das machte bei den Mädels im Hafen keinen guten Eindruck.

      »Los, Langa! Den Bruder holn wir uns!«

      Trotz seines großen Respekts vor dem Raubfisch war Hein jetzt heiß. So konnte man nicht mit seinem neuen Freund umgehen. Ihm einfach die Angelrute kaputt machen. Das durfte keiner wagen. Auch ein Hai nicht!

      »Scherzkeks! Und womit?«

      Anklagend hielt Bodo ihm die traurigen Überreste seines teuren Gerätes hin.

      »Los, komm mit, Langa! Ich zeich dich, wie das gehen tut!«

      Hein war nicht zu bremsen. Als erstes zog es ihn in die Tiefkühlkammer, wo die Fleischvorräte des Smutjes lagerten. Eine komplette Hammelkeule fiel ihm zum Opfer, und der Haken, an dem sie gehangen hatte, kam ihm auch gerade recht. Er wurde ebenfalls konfisziert. In der Schlosserwerkstatt wurde der Fleischhaken dann so hergerichtet, dass er wie ein überdimensionierter Angelhaken aussah. Ein Stück Stahlkette bildete das ideale Vorfach.

      »Und wo willst du das dranbinden?«, wollte der Schlacks wissen. »Schließlich haben wir keine Rute mehr!?«

      »Maaann, Alter! Vertrau mir!«

      Die beiden schleppten das ganze Gedöns an Deck und Hein schäkelte es an einer langen, dünnen Stahltrosse fest, die von einem der kleineren Ladebäume herabhing.

      »Für die einen isses nur ein Ladebaum, für die annern isses die stärkste Hairute vonne Welt«, grinste er, spießte die Hammelkeule auf den Haken und warf alles über Bord.

      Bodo gab ihm Zeichen, und Hein ließ das Stahlseil von der Winde laufen, bis der prächtige Köder tief unter dem Dampfer im Wasser hing.

      Bodo kratzte sich am Kopf. Er hatte in seinem jungen Leben auch schon so einiges angestellt, aber eine so unorthodoxe Angelmethode wäre selbst ihm nie in den Kopf gekommen. Hein jedenfalls war begeistert von seiner Idee.

      »Und woran merkst du jetzt, dass einer angebissen hat?«, wollte er von Hein wissen.

      »Twäng! Twäng!«, machte die Stahltrosse und spannte sich bedenklich.

      »Das hör ich an die Leine. Die is wie so ein akustischen Bissanzeiger und macht dann ‚Twäng, Twäng‘!«

      »Du«, stellte der Lange fest, »Ich glaub, da hat schon einer angebissen, ich hab deutlich das ‚Twäng, Twäng‘ gehört!«

      Die beiden schauten über die Reling und sahen unten einen großen Hai an der Stahltrosse toben.

      »Und nun?«, fragte der Lange.

      »Warten, bis er müde is«, riet Hein und beide lehnten sich auf die Reling, steckten sich eine Zigarette an und rauchten genüsslich. Den Hai ließen sie einfach an der Trosse weiter toben.

      »Meine Herren, haben sie Langeweile?«, fragte der Kapitän, der unbemerkt an die beiden herangetreten war.

      »Nööö, Freiwache!«, antwortete Hein. »Warum?«

      »Na, schauen sie