Hubert Schem

Verrückt in Bonn


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gefragt, was für konkrete Folgen sein Auftraggeber befürchtete, wenn es zu dieser abrupten Systemauflösung kommen sollte, wusste aber, dass eine solche Nachfrage der Situation nicht angemessen gewesen wäre, nachdem Busch fast eruptiv ausgerufen hatte: "Herr Rüthberg, es geht nicht darum, hier in Bonn Stecknadeln im Heuhaufen zu finden, sondern zu verhindern, dass der Heuhaufen Feuer fängt, unter Wasser gerät, vom Wind verteilt wird oder so zusammensackt, dass das Heu anfängt zu schimmeln. Und ich sage Ihnen, das letztgenannte Risiko ist das gefährlichste." Jürgen hatte Busch danach nur verblüfft angesehen und geschwiegen, weil er keinerlei Vorstellung davon hatte, was der Abteilungsleiter meinen könnte.

      Zu gerne hätte er sein Pflichtgefühl ignoriert und sein Orientierungsprobleme mit Petula besprochen. Petula, soviel wusste er inzwischen schon von ihr, hielt sich an keine der herkömmlichen Regeln, wenn sie sie nicht als ihre eigene akzeptiert hatte. Dabei wäre sie nach seiner Einschätzung sicher eine gute Schauspielerin geworden. Aber sie zog es vor, ihre Talente nicht im anerkannten Kulturbetrieb zu zeigen, sondern sich ihre Rollen spontan auszudenken, die Mitspieler selbst zu bestimmen und den Ort nach ihrem Belieben festzulegen. Für sie war alles Theater oder das Theater ein Teil der Realität, wie arbeiten, essen, trinken, schlafen, lieben.

      Alle Versuche, Menschen nach abstrakten Kategorien zu unterscheiden, lehnte sie rigoros ab. Obwohl Jürgen das nie erlebt hatte, stellte er sich manchmal vor, wie sie wütend über ihn herfiel, nachdem er eine ihrer Verhaltensweisen oder Meinungen in irgendeinem Sinne als typisch bezeichnet hatte. So wie sie mit dem Eifer Neubekehrter ihre Überzeugung verkündete, es sei sinnlos, alles und jedes in einen Zusammenhang mit allem und jedem stellen zu wollen, und ihm immer wieder neue Variationen eines philosophischen Flickenteppichs beschrieb, kämpfte sie dagegen, bestimmte Verhaltensfelder streng voneinander getrennt zu lassen. Sie wollte es insbesondere nicht einsehen, dass privates Verhalten im Beruf ein Störfaktor ist und berufliches Verhalten in der privaten Sphäre albern oder abstoßend, jedenfalls immer befremdlich wirkt. So war strenge Verschwiegenheit für sie nicht menschengemäß. Und als Jürgen ihr einmal vorhielt, dass sie damit von einem festen Menschenbild ausgehe, was mit ihrer individuellen Philosophie nicht in Einklang zu bringen sei, erwiderte sie mit theatralischen Stöhnen: "Selbst dieser Mensch versteht mich nicht!"

      Jürgen bemühte sich, ihre Ansicht als liebenswerte Schrulle zu bewerten und unterdrückte jeden Anflug von Verärgerung über ihre pubertäre Verstiegenheit. Manchmal empfand er sogar Sympathie für Petulas Ansicht. Dann spürte er einen Sog, seine Prinzipien über Bord zu werfen, sich vorbehaltslos ihr anzuschließen, danach zu leben, die Wirkungen zu beobachten, zu genießen und negative Folgen in Kauf zu nehmen. Doch die in vielen Jahren mühsamen Kampfes implantierten Signalsysteme warnten ihn davor, sich zum Narren zu machen. Also folgte er weiter der gewohnten Praxis. Manchmal drängte sich jedoch Petulas Einstellung zwischen Bestandteile seines eigenen Wertesystems, und dann sah er phasenweise sein berufliches Umfeld und seine eigenartig verschachtelten Aufgaben mit ihren Augen. In diesen kurzen Phasen überkam ihn wiederholt die Andeutung eines gefährlichen Schwindels.

      Dass Petula sich in dieser Weise geistig unabhängig gemacht hatte und auch entsprechend ihrer Überzeugung lebte, war nach Jürgens Ansicht nur möglich, weil sie durch eine Erbschaft nicht gezwungen war, regelmäßig gegen Entgelt zu arbeiten. Wenn sie sich ironisch mal als Privatgelehrte, mal als Lehrling des Schreibwesens bezeichnete, registrierte Jürgen regelmäßig schwache Angriffe jenes widerwärtigen Gefühls, das er am meisten an sich hasste: Neid und Missgunst. Dabei schrieb er sich allerdings gut, dass sein untergründiger Neid sich nicht auf ihr Vermögen bezog. Die Erträge daraus sicherten Petula lediglich ein bescheidenes Auskommen, deutlich bescheidener als das, was Jürgen sich durch sein Gehalt leisten konnte. Vielmehr war es Petulas Unabhängigkeit von allen Rücksichtnahmen auf die Interessen und die Ansichten eines Arbeitgebers oder Dienstherrn, die ihn zum Kampfhahn hätte machen können. Dann hätte er ihr leicht entgegenschleudern können: Du bist gut dran! Du hast gut reden! Du hast ja keine Ahnung! Du bist eine Exotin in einer Arbeitnehmergesellschaft! Und weitere Sprüche dieser Art. Aber stattdessen versuchte er, ihr in philosophisch-abstrakter Sprache klarzumachen, warum sie ihre Erfahrungen nicht verallgemeinern könne. Das tief unter seiner frischen Liebe verdeckte feindliche Gefühl kam nie zum Durchbruch. Er ahnte, dass da etwas sehr Gefährliches lauerte, was diese Liebe zerstören könnte, weil ihre besondere Ausprägung sich nicht mit Erdenschwere und kleinkariertem Alltagskram vertrug. Seit der Begegnung zu Füßen des großen Bonners wurde Jürgen von einem im weiten Sinne heiteren Grundgefühl leicht in der Schwebe gehalten. Die Unterwelt der bösartigen Gefühle hatte keine Chance zum Durchbruch. Dagegen verstärkte sich der von Petulas Lebenseinstellung und Lebensweise ausgehende Sog unaufhaltsam.

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