Erich Witte

Waidmannsheil


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Blickwinkel möglich ist, die restlichen Räumlichkeiten unserer Zwangsherberge an. Über Waldblumes Lagerstätte befindet sich die gleiche Lampe, wie bei mir. Die Wand neben ihr ist der gleichen, langweiligen Gestaltung zum Opfer gefallen, wie der Wand neben mir, aber mit dem Nachteil, dass sie nicht durch ein Fenster und den grauen Vorhängen aufgepeppt wurde. Da geht es der Wand zu meinem Fußende schon besser, in ihren beiden, oberen Ecken, sind zwei kleine, besenstielgroße Rohre angebracht, die mit einem matt glänzenden Material verschlossen sind. Außerdem wurde ihr die Ehre zu teil, in ihrer Mitte eine graue Stahltür zu beherbergen. Diese Tür könnte, für Waldblume und mich, eine schicksalhafte Bedeutung haben. Durch sie, könnte eine bösartige Gefahr eintreten, die uns unsere Gesundheit oder gar unser Leben rauben will, oder es erscheint uns ein engelhaftes Wesen, dass uns rettet, uns ergreift und mit uns durch die Tür davon schwebt.

      Die Wand hinter meinem Kopfende, kann ich nur an ihren Enden, zu den Ecken hin, erkennen. Mehr zu Waldblumes Seite als zu meiner, da mein Bett mehr zum Fenster hin ausgerichtet ist. Zu Waldblumes Seite, erkenne ich noch einen kleinen Teil, eines spindartigen Schrankes, natürlich aus Metall und grau eingefärbt.

      Zwischen unseren Betten sieht der Raum schon interessanter aus. Es befindet sich neben unseren Körperablagerungsvorrichtungen ein Tischschrank, oder auch Schranktisch, ( natürlich auch aus Metall und grau ) mit einigen, auch für uns eventuell interessanten Dingen, als da wären: „Verschiedene Skalpelle, div. Scheren, Klammern, dünne Schläuche und andere, zum teil bedrohlich aussehende Dinge, die ich nicht benennen, oder irgendwo zuordnen könnte.“

      Noch wilder und beunruhigender geht es bei Waldblume zu. An ihrem Kopfende ist ein schlankes, hohes, galgenartiges Gestell, mit einer Trinkwasser ähnlichen Flasche angebracht, von der ein dünner Schlauch zu einer Extremität verläuft, in einer Nadel endet und diese wiederum, in einer Ader verschwindet.

      Es ist nicht die einzige Verbindung, die ich an Waldblume erkenne, sondern an mehreren Stellen ihres Körpers sind Saugnäpfchen, in der Größe eines Сhampignon, auf ihrer nackten Haut befestigt, aus denen jeweils ein dünner Draht zu einem Fernseher geht, der auf einem kleinen, einbeinigem Tisch steht, doch statt eines schönen Spielfilmes, erscheinen nur teilweise laufende und blinkende Striche, wellenförmige Linien und wechselnde Zahlen. Ihr Genitalbereich ist mit einem haubenähnlichem Kunststoffgegenstand bedeckt, aus dem ein dünner Schlauch herausschaut, der in einen, ebenfalls flaschenähnlichen Behälter mündet und ein zweiter, dicker Schlauch, der die Struktur eines Flexischlauches besitzt der in einen Behälter endet, der mit einem übergroßen, Benzinkanister vergleichbar wäre. Die ganze Szenerie, ist eine äußerste Erniedrigung und es sollte kein Lebewesen auf diesem Erdball geben, das einer solchen Situation ausgesetzt ist.

      Wenn ich an mir herabsehe, soweit es mir möglich ist, bemerke ich, dass an mir die gleichen Verbindungen haften, genau wie bei Waldblume und auch wie bei ihr, wahrscheinlich in einen Bildschirm enden, der sich hinter meinem Kopf befindet und sich somit außerhalb meines Blickwinkels befindet.

      Langsam, schleichend wie der Morgennebel, der sich schwebend, von einer unsichtbaren Kraft getragen, aus dem Tal, auf die Berghänge begibt, wird mir klar, dass ich in unserer jetzigen Situation nichts unternehmen kann, als mich zu konzentrieren, neue Kräfte zu sammeln, darauf zu hoffen, dass die Kopfschmerzen sich in Luft auflösen und ich sicher in der Lage sein werde, einen klaren Gedanken zu fassen und mir dann irgend etwas einfallen wird, das uns weiter hilft. Nach diesen vielen Gedanken, die meine Gefühlsregungen zu einer Achterbahn werden lassen, werde ich ruhiger und mit einen vorerst letzten Blick, auf meine so friedlich ruhend aussehende Waldblume, komme ich zu meiner natureigenen Gelassenheit zurück.

      2 Natascha mit dem Prof. in der Kantine

      Sie sitzt an einem Tisch, in einer typisch aussehenden Kantine des Universitätskrankenhauses. Typisch, für die cremefarbenen Wände mit den Kunstdrucken, die in den Etagen für die Ärzte und Verwaltungsbosse als Originale wieder zu finden sind. Typisch für die breite Fensterfront, mit Aussicht über die Dächer der Stadt. Typisch für die schlichten, abwaschbaren, beigen Tischplatten auf Tischbeinen, die aber mehr die Bezeichnung Metallgestell lichtgrau verdient hätten. Typisch für den Tischschmuck, der sich nach näherem hinschauen als Aschenbecher, Salz- und Pfefferstreuer zu erkennen gibt. Typisch für die Metallstuhlgestelle, mit gezogenen Mehrschichtholzsitzflächen, frei nach Bauhaus und typisch für den putzfreundlichen Fliesenboden Marke lichtgrau, beige – rot gesprenkelt.

      Der Fensterfront gegenüber, befindet sich die „Ausschankabfertigungsanlage“, die wirklich nur so nüchtern bezeichnet werden kann, da sie mit ihren Edelstahlablageflächen, Edelstahlhandlauf- und Abtrennrohren, eher einer modernen Melkanlage ähnelt, in die glückliche Kühe mit Freude und freiwillig hinein schreiten. Hinter einer nüchternen Glasscheibe findet sich Edelstall wieder, in Form von Vertiefungen, die zum Teil mit Massenspeisen gefüllt sind, aus denen große Edelstahlkellen, mit langen Stielen herausragen, die die Speisen, mit einem eleganten Schwung auf die dargebotenen Teller klatschen. Von den Rückwänden strahlen einem, in greller Leuchtreklame, Speiseangebote des Tages entgegen, die einem Dönerimbiss aller Ehren gereicht hätte.

      Sie, dem Anschein nach eine Krankenschwester, ist das Gegenteil der nüchternen Räumlichkeit. Ihre Erscheinung wirkt befremdend, wie eine Kokospalme im ewigen Eis der Pole. Schon vom weiten leuchtet ihr Haar, mit seinen Rot- und Orangetönen wie eine Abendsonne, die gerade im Begriff ist, sich von unserer Erdkugel zu verabschieden aber nicht ohne uns zu versprechen, dass der nächste Tag ein herrlicher und sonniger Tag werden wird. Ihre Haarpracht fällt, in lockeren Wellen bis über ihre Schultern und wird von einer kleinen, weißen Krankenschwesterhaube bedeckt, die aber auf dieser locker wirkenden Haarfülle, auch ohne Diamanten, wie eine Krone wirkt. Ihre ovalen, leicht schräg gestellten Augen, schweifen durch die Kantine und ein jeder, der sie beobachtet, bekommt den Eindruck, dass ihr nichts entgeht. Die laubgrüne Augenfarbe, mit kleinen, bernsteinfarbenen Einschlüssen, ergänzt sich auf wundersame Weise mit der Haarfarbe. Die Augenbrauen nehmen sich die Freiheit, überwiegend die Kastanienfarbtöne der Haupthaare zu übernehmen und durch den stimmigen Abstand und dem leichten Schwung der Linienführung, konnte es die Natur nicht besser hinbekommen und kein Kosmetikstudio wäre dazu in der Lage, es zu verschönern. Das gleiche trifft auf den freundlich, sinnlich blickenden Mund zu, der durch seinen Schwung, seinem Verhältnis zwischen Oberlippe zur Unterlippe, optimal ausgewogen wirkt und durch den dezenten Auftrag von Lippenstift, einfühlsam unterstützt wird. Die nicht zu kleine Nase, bekommt durch den leicht angedeuteten Höcker und den kaum merklich, nach oben gezogenen Nasenlöchern, eine klassische Form, die durch die betonten Wangenknochen unterstützt wird. Der Abschluss dieser Vollkommenheit, wird durch den zarten, natürlichen Braunton vollbracht, der erkennen lässt, dass diese Haut noch nie unter einer Sonnenbank, den schädlichen Strahlen ausgesetzt war.

      Vor diesem „Traum“ steht eine Tasse, mit noch dampfenden Kaffee, die wohl anzeigt, dass die Pause, mit einer ruhigen Gelassenheit, zu Ende gebracht werden soll. Ihr Blick bleibt an der Essensausgabe hängen und sie bemerkt eine große, stabile, um den Bauch und um die Hüften herum gut gepolsterten, ihr unangenehmen Person: Professor Dr. Neihus, Karl Neihus. Sie lässt ihren Blick schnell weiter gleiten und hofft, dass der bittere Krug an ihr vorbei geht und Herr Professor Dr. Karl Neihus nicht auf den Gedanken kommt, sie mit der Anwesenheit seiner Person, an ihrem Tisch zu beglücken. Prof. Dr. Neihus, der Platzhirsch der ganzen Klinik, der von sich so sehr eingenommen ist, das ein Rad schlagender Pfau wie ein Sperling, der auf einem Herbstlaubweg sitzt, wirkt.

      Das Institut des Professors besitzt eine große Gewichtung, da es in die Klinik intrigiert ist. Durch die Gehirnforschung des Prof., die in der Fachpresse von einer Genieleistung, bis zu einer zweifelhaften, nazistischen und menschenverachtenden Beurteilung geführt hatte, war er zu einer hochgradig, zwielichtigen Berühmtheit geworden, dass mittlerweile auch den Bekanntheitsgrad der Klinik vergrößert. Was macht ein Professor Dr. in dieser Kantine, da doch für die Ärzte und Professoren eine eigene, luxuriöse Wohlfühlkantine eingerichtet wurde?

      Der bittere Krug geht nicht an ihr vorbei, der Herr Professor Dr. Karl Neihus tritt an ihren Tisch heran und fragte von oben herab, ob noch ein Platz frei sei, um sich dann im gleichen Atemzug, sich ihr gegenüber, in den Stuhl wuchtet und gleichzeitig seine Kaffeetasse so energisch