Fred Feining

Keine Nachricht für Schroeder


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von einem Alkoholiker und dem Geliebten der Hauswartsfrau bewohnten Seitenflügel gezogen, weil seine frühere Wohnung „diesen Scheiß Nachwendespekulanten“ zum Opfer gefallen war.

      Schroeder hatte einen anderen Weg als Riedemeier. Es lag ihm wenig an seinem lauten Nachbarn und manchmal wechselte er die Straßenseite, wenn er diesen von Ferne entgegenkommen sah. Zum Glück war Riedemeier kurzsichtig, so dass er Schroeders Ausweichen nicht bemerkte.

      Nur einmal fühlte sich Schroeder verpflichtet, sich um den Mann zu kümmern. Als der nämlich für längere Zeit unsichtbar war, klingelte Schroeder an dessen Tür. Vielleicht lag der inzwischen mit offenem Mund auf dem Küchenfußboden? Nach mehrmaligem Klingeln, die schlimmsten Befürchtungen schienen sich schon zu bewahrheiten, brüllte Riedemeier von innen: „Mensch, wer is denn da?“ – „Dein Nachbar!“ war die Antwort, und Riedemeier schrie zurück, dass er keinen Nachbarn habe. Damit war immerhin klar, dass er noch lebte und Schroeder konnte beruhigt zurücktreten.

      Während also der eine in die billigen Kaffeestuben rund um den Hermannplatz wanderte, zog es Schroeder an den Landwehrkanal. Dort ging er zu einem türkischen Bäcker jenseits der Admiralsbrücke und kehrte nach kurzem Spaziergang zurück, die Tüte mit duftenden,

      warmen Brötchen unter dem Arm.

      Morgens saßen wenige Leute auf dem Gras rund um den Kanal. Zu dieser Stunde roch es noch nicht nach Haschisch. Die Jungs, die sich später an Bongos und exotischen Schlaginstrumenten versuchen würden, schliefen noch. Nur ein paar Jogger zogen ihre Kreise. Auch die Hundehalter waren schon unterwegs. Aus dem Grün frühlingshaften Grases ragten zahlreich die braunen Kegel frischer Hundescheiße. Ein gigantisches Freiluft Scheißhaus, und immer wenn Schroeder jemand mit einem Hund an der Leine entgegen kam, fluchte er murmelnd „Scheißköter“.

      Neu war auch, dass einige Leute den scheißenden Hunden den Kampf ansagten. In den Straßen, besonders in den Fenstern der Cafés, klebten Schilder: „Hundebesitzer, achten Sie darauf, dass Ihre Hunde ihr Geschäft nicht auf dem Gehsteig erledigen!“ Mit diesem Begriff aus der Kaufmannssprache umschrieb man, wenn sich ein Hund in die Hocke begab, mit unschuldigem Blick und unter Verdrehungen des Rückgrates die Verdauungsrückstände von Schappi und Brekkies abdrückte.

      Die ersten Tage durchwanderte Schroeder die Straßen, fand einiges, das er noch nicht kannte. Das Kino gegenüber der Wohnung, wo er früher gelebt hatte, war jetzt ein Teppichladen. Der Landwehrkanal, so schien ihm, war nun ein einladender Fluss. Wegen der vielen Sonnenbadenden am Ufer. Das war ihm früher nicht aufgefallen.

      Seit seinen Studienjahren hatte sich die türkische Bevölkerung in diesem Viertel verzigfacht. Überall gab es nun Dönerbuden und Gemüseläden, in denen Kopftuch tragende Frauen Billigtomaten und Gurken betasteten. Über den Läden prangte das Schild „Halal“, hier gab es Lebensmittel, zubereitet nach muslimischen Richtlinien. Schroeder hatte Schwierigkeiten ein Frauengesicht zu finden, das er anlachen konnte. Bei Kopftuch tragende Frauen hätte das leicht zu Missverständnissen führen können.

      Überhaupt musste er den in Spanien angeeigneten Flirtspaß drosseln. Während dort an den Supermarktkassen mit „mein Schöner“, „meine Königin“ und anderen, das Herz erwärmende, Harmlosigkeiten der Einkauf zu einem kleinen Fest wurde, war dies hier ein anderes Pflaster. Einmal bewunderte Schroeder die gestylte Brille einer Supermarktkassiererin und ließ sich in spanischer Manier dazu hinreißen, der Dame seine Aufwartung zu machen. Es endete damit, dass er sich gezwungen fühlte, eine Entschuldigung auszusprechen. Seit dem wurden Schroeders Gunstbezeugungen seltener.

      So viel Neues gab es, dass Schroeder sich wie in einem fremden Land vorkam. Zum Beispiel die Stammkneipe aus der Studentenzeit, die „Kleine Weltlaterne“. Daraus war ein griechisches Suvlaki Restaurant geworden. Zu seiner Zeit verkehrten hier die Kreuzberger Künstler mit ihren schönen Musen im Schlepptau. Schroeder war zwar weder Künstler noch Muse gewesen, aber er hatte die Kneipe oft noch vor dem Schlafengehen zu einem letzten Bier aufgesucht.

      Mit Wehmut erinnerte er sich nun an einen noch im Greisenalter aufstrebenden Maler. Der war ein Namensvetter von ihm, nur ohne oe dafür mit dem märchenhaften Zusatz „Sonnenstern“. Schröder Sonnenstern litt unter schizophrenen Schüben und schmückte sich mit den selbst verliehenen Titeln „Geheimrat Prof. Dr. phil. Eliot J. von Sonnenstern, Fachpsychologe für Universitätswissenschaften“. Die Kneipe stand Kopf, wenn er, nur mit einem wehenden Nachthemd bekleidet hereinrauschte um seine farbstarken Phantasien gegen Bier einzutauschen.

      Die andere Kneipe, die „Henne“, existierte weiterhin. Dort schien es wie immer: Der Schankraum verräuchert, die Grillhähnchen als alleiniges Gericht, das Bild des Kneipengründers über dem Tresen. Als seien die Jahre spurlos vorübergegangen. Nur, dass jetzt der Laden mit Touristen gefüllt war, die neben den Hähnchengericht den Reiseführer mit dem Insidertipp liegen hatten.

      Die Mauer, die damals direkt vor der Tür der „Henne“ die Grenze gezogen hatte, gab es nicht mehr. Wie oft hatte Schroeder seinerzeit nach durchzechtem Abend dagegen gepinkelt! Nun war der Blick frei, hinüber nach Osten, wo man inzwischen die Plattenbauten mit Farbe und Balkonkästen aufgemöbelt hatte.

      Endlich kam sein Umzugsgut. Was er beim Auspacken entdeckte, ließ sein Herz hüpfen: Die Kaffeemaschine. Jetzt war Schroeder nicht mehr auf das seichte Gebräu der umliegenden Cafés angewiesen. Die Sammlung der Zigarrenabschneider. Unumgängliche Werkzeuge für sein, wie er glaubte, einziges Laster.

      Als Krönung tauchte eine ungeöffnete Kiste kubanischer Zigarren auf, „Flor de Juan Lopez“. Von Juan Lopez, einst Hoflieferant des spanischen Königshauses. Die Kiste mit der Abbildung eines kubanischen, ländlichen Ambientes, eingerahmt von den zahlreichen Medaillen aus den Hauptstädten dieser Welt. Mit dem spanischen Wappen neben kubanischen Palmen. Ein Rauchgenuss der leichten Art, mit der Corona von 142 mm Länge. Und einem Deckblatt aus Kubas bester Tabakregion, der Vuelta Abajo. Natürlich handgedreht. Schroeder schluckte vor Verlangen, die Kiste zu öffnen.

      Als Schroeders Kisten kamen, begann eine neue Zeitrechnung.

      Das Jobwunder

      Schroeder machte Kasse. Da waren noch ein paar Aktien und Fondspapiere. Ihr Wert hatte sich in den letzten vier Jahren um dreißig Prozent vermindert. Die Hälfte einer unbedeutenden Barschaft war für die Umzugsspedition draufgegangen. Zu seiner Überraschung entdeckte er fast zweitausend Euro Außenstände für zwei noch in Spanien verfasste Artikel über Istanbul und den Bosporus sowie über die Aserbaidschanische Ölmetropole Baku. Dorthin war seine letzte Reise gegangen, die er mit dem Umweg über Alexandria und die Wüstenoase Siwa gekrönt hatte.

      Alexandria. Ein herunter gekommenes Hotel aus vorrevolutionären Zeiten. Blick auf die Corniche. Gegurgele von Wasserpfeifen, süßer Tee mit Pfefferminze. Verstohlene Blicke unter Kopftüchern hervor. Rotes Mittelmeer im Abendlicht. Früher Ruf der Imame von den Moscheen der Stadt. Florence aus Paris, herausfordernd gurrend. Ihr BH anderntags zwischen spitzen Fingern des triumphierenden Hoteldieners, als Schroeder vom Frühstück zurückkam.

      Auf der Festplatte seines Computers lagerten noch einige Themen. Schroeder begann mit der Arbeit. Sie bestand darin, roh verfasste Reisereportagen ins Reine zu schreiben, den Themen einen aktuellen Anstrich zu verpassen und sie schließlich verschiedenen Magazinen anzubieten. Meistens endete es mit Absagen. Kamen keine Absagen, konnte er weiter hoffen. Bis er nach Wochen aufgab, denn viele Redaktionen gaben sich nicht die Mühe eine Nachricht zu senden, was auch eine Absage bedeutete. Schroeder, dem nichts lieber war als korrektes Geschäftsgebaren, war ob solcher Ignoranz gekränkt.

      Er gab jedoch nicht auf. Er verlegte seine Aktionen in den Bereich der so genannten Kundenzeitschriften. „Lenz“, eine Zeitschrift, die ihre Seniorenleser davon überzeugen will, dass das Leben trotz künstlichen Hüftgelenks und Schwerhörigkeit lebenswert ist. Oder „an Bord“, ein Magazin für betuchte Kreuzfahrer, oder „zu Tisch“, die Kundenzeitschrift des Kücheneinrichters Miele, der mit Hilfe glanzvoller Artikel über Gewürze und Olivenöle seine Heißluftöfen an die Frau bringen will.

      Diesen Blättern bot er seine Artikel an, in der Hoffnung, dass seine vielen unbekannten Kollegen noch nicht auf die gleiche Idee gekommen waren. Fehlanzeige.