Fred Feining

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eine gemeinsame selbständige Jobmöglichkeit liegen konnte.

      Borowski

      Eine heftige Brise fegte die Straßen und peitschte den Regen vor sich her. Nass bis auf die Knochen erreichte Schroeder das Tejo, vertrautes Eiland in aufgewühltem Meer. Luis rauchte und grinste. Schroeder verlangte einen Capataz, den preiswerten Rotwein des Hauses.

      „Wie könnt ihr Portugiesen eigentlich so einen dünnen Wein machen...“ fragte er Luis, um den Ärger über seine Nässe ein Ventil zu geben.

      „Na ja“, Luis grinste immer noch, „du leistest dir ja keinen besseren!“

      „Du hast gut reden, weißt du, was ich letzten Monat eingenommen habe?“, Schroeder erhob die übliche Klagemelodie. Berichtete von den aussichtslosen Stellenangeboten, von seiner Arbeit mit Ausländern, die keinen Pfennig einbrachte.

      „Du hast es geschafft“, er zeigte auf Luis, „hast ‘ne Kneipe und brauchst nicht bei euch da unten am Tejo Wassermelonen pflanzen...“

      „Hab‘ ich nie gemacht, ich war Stierkämpfer,“ und Luis streifte seinen T-Shirt Ärmel hoch. Die Narbe sah aus wie ein dicker, weißer Wurm.

      So ging das Geplänkel über den Tresen hin und her. Schroeder war an diesem Sautag der einzige Gast. Bei dem Wetter saß alle Welt wahrscheinlich vor dem Fernseher, denn gerade lief wieder eines dieser hoffnungslosen Hertha Spiele. Für Schroeder waren diese Kneipenaufenthalte nicht das Non plus Ultra, immerhin kam er hier auf andere Gedanken.

      Die Gedanken an einen Job. Es wurde eng, das merkte er. Schon musste er sich die verbilligten Kinotage aussuchen, wenn er einen Film sehen wollte. Zeitung las er nur noch im Lesesaal der Bibliothek. Und mit dem Rest der kubanischen Zigarren aus seinem Umzugsgut musste er eisern haushalten. Bald würde er in der U-Bahn Schwarzfahren. Es fehlte einfach an Geld. Mit jedem Euro, den er von seinen Ersparnissen abzog, kam das Verfallsdatum seiner Existenz näher.

      Dann kam ihm die Idee. Frührente! Hatte er nicht gehört, dass man mit sechzig Rente beantragen konnte? Das war nicht mehr lange hin. Schroeder schüttelte sich beim Gedanken an ein Rentnerdasein, denn das war für ihn gleichbedeutend mit endgültigem Alter und Abschied von Reiseplänen. Er beantragte einen Termin bei der Bundesversicherungsanstalt. Sämtliche Nachweise und Unterlagen über seine Versicherungsbeiträge hatte er vor Jahren, nachdem er den letzten Angestelltenjob geschmissen hatte, bei der Behörde eingereicht. Die hatten alles im Computer.

      Der Termin kam vier Wochen später. Schroeder war so gespannt auf das Ergebnis, dass er sich um einen Tag vertat und zu früh vorsprach. Das ließ ihm eine Galgenfrist, um sich auf den Wind, der nun die Richtung wechseln würde, einzulassen. Er sah sich als Frührentner, mit ein paar hundert Euro jeden Monat, die ihm Luft für andere Aktivitäten geben würden. Zum Beispiel für ein Buch. Er wollte über sein Leben in der Fremde schreiben.

      Dann saß er in dem kleinen, warmen Kabuff vor dem Beamten der Rentenversicherungsanstalt. Ein jovialer Mensch, in Schroeders Alter. Ein Verbündeter womöglich.

      „Schroeder, Schroeder mit oe“ stellte er sich vor.

      Sein Gegenüber kam gleich zur Sache. „Ich weiß was Sie wollen“, sagte der Mann freundlich, „Sie wollen bestimmt wissen, wie viel Rente Sie einmal bekommen werden!“

      Der Mann sprach Schroeder aus dem Herzen. Jetzt würde alles gut werden. Schroeder dachte einen Augenblick daran, ihn nach dem positiven Bescheid, der nun mit Sicherheit über den Tisch gereicht würde, zum Wein ins Tejo einzuladen.

      Da sagte der Mann: „Es gibt drei Möglichkeiten, wie Sie Rente bekommen können. Erstens, Frührente mit dreiundsechzig. Kommt für Sie nicht infrage, Ihnen fehlen achtzig Monate Beiträge. Zweitens: Sie werden arbeitsunfähig, dann könnten Sie sofort Rente beantragen. Käme aber für Sie auch nicht infrage, Ihnen fehlen ein paar Jahre Beiträge. Drittens: Rente mit fünfundsechzig. Die ist Ihnen sicher, wenn in dem Bereich überhaupt etwas sicher ist,“ der Beamte lächelte hinterlistig, „aber da haben Sie ja noch Zeit. Sie sind ja noch jung, versuchen Sie irgendwie Arbeit zu kriegen...“

      Schroeder fragte noch dies und jenes, der Mann gab unmissverständliche Auskunft. Jetzt wusste er aus erster Hand: Weitere Jahre Arbeitssuche. Unerwarteter Weise war er erleichtert. Es war, als wäre er jünger geworden, drohendem Alter und damit verbundenem Siechtum entkommen. Sofort machte er Reisepläne für Venezuela. Die reichten bis ins Tejo.

      „Siehste“, trumpfte er vor Luis auf, „ich krieg wenigstens Rente! Du, als Stierkämpfer, habt ihr so was wie eine Rentenversicherung?“ Luis verstand nicht.

      „R e n t e n v e r s i c h e r u n g“ buchstabierte Schroeder.

      „Nö, hab‘ ich nicht. Ich hab‘ ja ‘ne Kneipe“, Luis ließ seine Arme durch den Raum gleiten, „alles bezahlt!“

      „Ich brauch einen Job“, Schroeder hatte Venezuela vergessen, „weißte nicht was?“

      Luis sah ihn an, als warte er auf den in die Arena hereinbrechenden Stier. „Geh doch mal zum Arbeitsamt!“

      Daran hatte Schroeder bislang nicht gedacht. Zwar hatte er hier und da gehört, es gäbe auch dort keine Stelle, aber wieso eigentlich nicht? Mit seinen Kenntnissen! Marketing aus dem FF, Erfahrung in Beruf und im Leben, Englisch, Spanisch und Französisch! Hatte diese Kombination nicht Seltenheitswert? Wurde nicht nach diesem Profil geradezu gefahndet?

      Schroeder holte sein second hand Jackett aus dem Schrank, öffnete das Fenster und begann, das Jackett auszubürsten. In der Tasche klimperten noch zwei vergessene Pesetenstücke, die nahm er als gutes Ohmen. Gegenüber war das Zebra in Aktion. Auf der Anrichte türmten sich belegte Platten, und sie war dabei, Käse zu schneiden. Im Fenster stand ein Strauß Flieder, Schroeder konnte ihn förmlich riechen. „Die hat Geburtstag und macht heute Abend ‘ne Party, ‘ne Party wäre jetzt nicht schlecht...“. Wie konnte er, verdammt noch mal, mit dem Zebra in Kontakt treten?

      Er erinnerte sich an die Zeit bei seinem Freund Pablo in Hamburg. Damals hatte es eine ähnliche Situation gegeben: Gegenüber hatten sie zwei junge Frauen in einer Küche hantieren sehen. Es war eine frauenlose Zeit und sie waren scharf auf jede Bekanntschaft, gleichgültig welcher Art. Nur Frauen sollten es sein. Die beiden Frauen wurden auf das Gehampel der beiden Freunde aufmerksam und grinsten herüber. Klar, das Telefon! Pablo schrieb seine Nummer überdimensional auf einen DIN A 3 Bogen und hielt ihn den Damen entgegen. Sie brauchten nicht lange zu warten, und das Telefon klingelte. Die Nacht endete in einer wilden Party.

      Hier lag der Fall anders. Schroeder hätte die Telefonnummer in haushohen Ziffern schreiben und ans Fenster hängen können, das Zebra schaute nicht einmal zu ihm hinauf. Sie strich Brote. Und schnitt Käse, Scheibe um Scheibe. Dumme Kuh, brummte Schroeder und verließ das Haus in Richtung Arbeitsamt.

      Das Arbeitsamt nannte sich nun Agentur für Arbeit. Oder hieß es Jobcenter? Schroeder, der jahrelang in einer Werbeagentur seine Arbeitskraft zu Markte getragen hatte, war gespannt darauf, was eine Agentur für Arbeit mit einer für die Werbung gemein hätte.

      Offensichtlich ging es irgendwie um Menschen. Jetzt, nach der Umbenennung waren die Gänge nicht mehr mit Wartenden bevölkert. Die standen nun verteilt auf den verschiedenen Stockwerken, von denen jedes für drei oder fünf Buchstaben des Alphabetes zuständig war. Das heißt, die S-Schlange, zu der Schroeder gehörte, baute sich vor einem Schalter im Flur, im vierten Stock des Gebäudes auf.

      Die Abfertigung an diesem Schalter ging zügig vonstatten. Man nahm die persönlichen Daten auf, Geburtsdatum, Beruf, Tätigkeitswunsch, Schulbildung und so fort. Die Wartezeit begann danach: „Gehen Sie durch die Tür dort hinten, dann den Flur links bis zu Zimmer 32. Sie werden aufgerufen!“ Immerhin, so wie auf spanischen Ämtern war es hier nicht. Dort kam man erst an die Reihe, wenn sich das Personal ausführlich über die letzten Wochenendgeschehnisse ausgetauscht hatte, oder eben „mañana“, sprich morgen.

      Der Raum war mit Ansichtskarten aus Amerika, der Türkei, Italien und Spanien geschmückt. Auch eine einsame Karte aus Ladakh hatte Urlaubsgrüße eines Kollegen herbei getragen. Der Fenstersims war ein einziger Wald