Fred Feining

Keine Nachricht für Schroeder


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Sie war dick und schaute zunächst nicht hoch. Fleischige Arme quollen aus einem T-Shirt hervor, unter den massigen Brüsten wellten sich Gürtel wie beim Michelinmännchen.

      „Guten Tag, Schroeder mein Name, Schroeder mit oe!“ Er grüßte extra laut, mit der Absicht, dem Menschen Manieren beizubringen. Doch die Dicke dachte gar nicht daran, sich belehren zu lassen, etwa aufzuschauen. Schroeder spürte aufkommende Trockenheit im Hals.

      „Also, dann nicht Guten Tag“, blaffte er patzig.

      Sie bestand darauf, dass er sagen solle was er wünsche.

      „Ich weiß nicht“, Schroeder tat unwissend, „ich bin hierher geschickt worden. Ich suche Arbeit“, fügte er forsch hinzu, und, „darf ich mich setzen?“

      Die Dicke antwortete nicht und schaute auf den Bildschirm, nachdem sie einige Tasten gedrückt hatte. „Schroeder“, brummte sie vor sich hin.

      „Mit oe“ betonte Schroeder. „Ahh“, dachte er, die hat mich schon auf dem Computer...

      „Sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, Sie sind doch freiberuflich.....“ jetzt blickte sie das erste Mal auf, schaute Schroeder an. Sie trug eine Brille von der Stärke, die ihr Augen eines Seehundes verlieh. Die glänzenden Blätter der Gummibäume nahmen Fratzen an. Sie hatten die Züge der Dicken, jedes Blatt, dicke Lippen, über die eine fette Zunge kreiste, grinsend bewegten sie sich auf Schroeder zu. Er machte eine abwehrende Bewegung.

      „Ich weiß“, beeilte sich Schroeder zu sagen, er wollte nur raus hier, „ich möchte nur diese Bescheinigung, dass ich hier vorgesprochen habe. Soll gut sein für meine Rente, oder haben Sie einen Job für mich?“

      „Für Journalisten sind wir nicht zuständig!“

      „Und haben Sie was anderes, ich könnte Stadtführungen machen!“

      „Nein, nichts. Ich schreib‘ Ihnen jetzt diese Bescheinigung, Sie müssen sich damit alle drei Monate hier melden!“

      Sie schlug ein paar Tasten an und aus dem Drucker quollen einige Seiten, auf denen festgehalten war, dass er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe, nach Paragraf soundso.

      Das war es also. Oft schon hatte Schroeder vom Service auf diesen Ämtern gehört. Immer hatte er an Übertreibungen geglaubt, nun das hier. Schroeder wurde von einer Art Jagdeifer befallen. Am liebsten hätte er der Dicken seine Meinung über die Arbeitsmarktsituation mitgeteilt, doch er wusste, sie war völlig unschuldig, wahrscheinlich selbst ein Opfer der Zeiten.

      Er betrachtete die bunten Ansichtskarten, zeigte auf eine mit dem Zuckerhut Rios und sagte zu der Dicken: „Dann kann ich dort ja hinfahren, werde dort ‘ne Weile bleiben, bevor ich mich hier wieder melden muss.“ Er schloss die Tür betont leise hinter sich.

      Vom Fenster aus sah Schroeder das Zebra in der Küche stehen. Sie hatte ein Glas Rotwein in der Hand und, Schroeder rieb sich die Augen, vor ihr stand ein Mann. Aber mehr noch. Die Jalousien der übrigen Fenster ihrer Wohnung waren hochgezogen, und so konnte er einige Leute auf einem Sofa sitzen sehen. Schroeder, der nach dem Besuch auf dem Arbeitsamt allen Grund zu haben glaubte eine Flasche zu öffnen, trat mit dem Glas ans Fenster und prostete dem Zebra zu: „Meinen Glückwunsch! Du hast doch sicherlich Geburtstag. Wenn die Gäste gegangen sind, ruf‘ mich doch ‘mal an. Ich bring‘ dir ein Geschenk!“ Das Zebra hörte ihn nicht. Sie bemerkte ihn nicht einmal.

      Nicht nur die Blindheit des Zebras frustrierte Schroeder. Nun war er schon einige Monate in dieser Stadt, ihm fehlte eine Frau. Bei der InPla hatte er eine Kolumbianerin kennen gelernt und sie zu einem abendlichen Treffen überredet. Sie saßen in einer Kneipe mit dem Namen „Anker“, doch bevor er seinerseits Anker werfen konnte, war es schon wieder vorbei. Nach dem zweiten Bier fragte sie ihn: „Bist du Alkoholiker?“ Schroeder wand sich in überflüssigen Rechtfertigungen, und am nächsten Tag rief ihn die Südamerikanerin an: „Ich möchte keinen Kontakt mehr mit dir haben!“

      Und dann der Job. Noch immer gab es keine Aussicht. Irgendwas lief falsch. Er ahnte, es war eindeutig sein Alter! Selbst Constanze hatte geklagt, und die war fünfzehn Jahre jünger als er. Gab es keinen Job, in dem das Alter ein Plus war? Er fiel nun ja schon in die Kategorie „Senioren“. Bald würde er bei Museums- und Kinobesuchen den Seniorentarif in Anspruch nehmen können.

      Senioren. Das brachte ihn auf eine neue Idee. Im Internet fand er diverse Senioren Reiseveranstalter. Den nächstgelegenen schickte er ein freundliches Schreiben: War Reiseleiter, spreche Spanisch, bin selbst (bald) Senior, rüstig und motiviert. Wünsche Honorarjob als Reiseleiter.

      Die Antwort kam prompt übers Telefon. Vorstellung in Brandenburg, soundso Straße um 9 Uhr. Schroeder triumphierte, trat ans Fenster. Das Zebra stand vor Ihrem Abwasch. „Siehste, du musst spezialisiert sein. Senioren und Sprache, eine zugkräftige Kombination!“

      Im Hausflur stand Riedemeier mit einem Lappen in der Hand und putzte die Türklinke. „Biste och schon uff?“ schrie er Schroeder an.

      „Und du, warst du bei der Seefahrt, dass du deine Türklinke wie ‘ne Schiffsglocke polieren musst?“ Er drückte sich an Riedemeier vorbei und wünschte ihm einen schönen Tag, „hab‘ keine Zeit, muss arbeiten!“

      „Arbeitest du och ma?“ rief Riedemeier ihm nach. Schroeder war gekränkt.

      Er fuhr mit dem Regionalzug. Er genoss es, zwischen morgendlichen Pendlern zu sitzen, die Zeitung aufzuschlagen und die anderen im Waggon über den Rand zu beobachten. Jetzt war er ja schon selbst fast ein Pendler auf dem Weg zur Arbeitsstelle. Er kuschelte sich, wie der britische Komiker Mr. Bean die Schultern verdrehend, in den Sitz. Alles schwieg, die meisten waren ebenfalls mit Zeitungen beschäftigt, wurde auch er beobachtet? Er sah an sich herunter. Weißes Hemd, ein Sakko. Die Laptoptasche, die den zu erwartenden Arbeitsvertrag aufnehmen sollte, sah wichtig aus. Er war einer von ihnen. Von denen, die alles geregelt hatten, von der Führerscheinprüfung bis zu den Einladungskarten zur Silberhochzeit.

      Ein Sommermorgen in Lissabon. Die Straßenbahn, von den Häusern der engen Straße das Echo melodischen Gerumpels. Richtung Zentrum. Nur Männer in diesem Waggon. Berufspendler. Bis zu den Türen Büroangestellte. Ledertaschen unter dem Arm. Geruch nach Rasierwasser, kaltem Tabak, abgestandenem Kaffee und gegrillten Sardinen. Zeitungsgeraschel. Müde Wortfetzen zwischen älteren Herren. Stationshalt. Die blonden Locken der jungen Frau fallen über nackte, braune Schultern. Ein BH-Träger in rosa. Passend zum luftigen Kleid. Lippen wie pralle Kirschen. Mandelduft. Schwarze Augen über rotem Mund. Lange, nackte Beine in hinten offenen high heel sneakers. Nackte Fersen nach dem Vorbild antiker Göttinen modelliert. Ihre Finanzzeitung raschelt beim Umblättern. Totenstille im Abteil. Nur das Schlucken in fünfzig Männerkehlen wie Brandung auf Fels.

      Auf dem Hauptbahnhof musste er in die Straßenbahn umsteigen. Die rumpelte gen Osten und bald kam es Schroeder vor, als ginge es zurück in die DDR. Häuser und Menschen, Straßenschilder und die wenigen Geschäfte auf der Strecke vermittelten Trübsinn und spießige Geborgenheit bis hin zu den Gartenzwergen in den Vorgärten.

      Das Büro des Reiseveranstalters lag im zweiten Stock eines Einkaufszentrums für Ramschprodukte, wo es T-Shirts für 80 Cents gab. Komische Adresse, dachte Schroeder. Im zweiten Stock drückte er auf die Klingel. Es war Punkt zehn, er war pünktlich, seine Gesprächspartner nicht. Allein diese Tatsache verursachte eine leichte Schwellung im Hals. Er versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Dann sah er das kleine Schild: „Reisen mit Herz und Verstand, wir sind jetzt im 3. Stock!“

      Eine Frau in seinem Alter öffnete und führte ihn in das Büro. „Partner“, sagte sie.

      „Wie, Partner?“

      „Mein Name ist Partner...“

      „Ah, ich bin Schroeder, Schroeder mit oe!“

      Er hatte schon geglaubt, er wäre bereits eingestellt und sie begrüßte ihn als ihren Partner. Sie bat ihn Platz zu nehmen, der einzige freie Stuhl stand vor ihrem Schreibtisch. Da klingelte das Telefon. „Moment bitte,“ dann konzentrierte sich Frau Partner auf das Telefonat. Schroeder sah sich um. Ein Chaos aus Papieren, Zeitschriften, Formularen und Aktenordnern türmte sich auf einem