Fred Feining

Keine Nachricht für Schroeder


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hörte er nun Frau Partner sagen, „ es wird wie letztes Mal. Diesmal vielleicht noch besser. Wir haben nämlich eine neue Kapelle engagiert....Nein, kostet nicht mehr, Sie wissen ja, Frau Mertens, für unsere Stammgäste tun wir alles was in unserer Kraft steht....Klar, na ja, ist doch so....Gut dann, kommen Sie irgendwann vorbei...Ja, das wünsche ich Ihnen auch...und wie geht’s Ihrem Mann?....“ und so ging es noch eine Weile weiter.

      Schroeder griff zu dem Reisekatalog, der auf dem Tisch lag. „Reisen mit Herz und Verstand“, so lautete die Überschrift. Er staunte, mit denen konnte man nach Brasilien fahren, nach Ägypten, Spanien und Madeira. Die Angebote waren auf ältere Menschen, auf „Senioren“ abgestellt. Offensichtlich waren auch Heilbäder und Kurzentren irgendwo im neuen Osten Europas der Hit. Das waren nun nicht unbedingt die Reisen, die Schroeder hätte begleiten wollen, da wäre er ja um einen Schlag um zehn Jahre gealtert! Frau Partner hatte fertig telefoniert. Nun würde sie ihn nach Kaffee fragen. Aber nichts da.

      „Ja“, begann Frau Partner, „Ihre e-mail hat uns interessiert! Sie sprechen ja Spanisch und hin und wieder brauchen wir schon einen Reiseleiter mit Spanischkenntnissen. Wissen Sie, die älteren Herrschaften wollen eben auch ein bisschen betütelt werden....“

      Schroeder dachte an seine Zeit als Reiseleiter zurück. Drei Monate lang hatte er Reisegruppen betreut, auf den Kanarischen Inseln. Hatte in einem noblen Hotel gelebt und sich um alles kümmern müssen. Vom Flughafentransfer bis hin zu den Eintrittskarten für die Besichtigung des Loro Park auf Teneriffa. Das meinte sie wohl mit „betüteln“. Es war ein aufreibender Job mit sechzig und mehr Wochenstunden gewesen. Kaum Zeit, um eines der kanarischen Serviermädchen mit aufs Zimmer zu nehmen. Er kannte das Thema, und er sagte es Frau Partner. Er war bereit. Er wollte nur anfangen, sein Kontostand bei der Bank saß ihm im Nacken.

      Nach einigem Geplänkel über Reiseziele, die Bedürfnisse älterer Menschen auf Reisen und das Unternehmen „Reisen mit Herz und Verstand“, wollte Schroeder zur Sache kommen. Ihm war es egal, auf was er sich einließe. Das Büro gefiel ihm nicht, Frau Partner eben sowenig, der Job höchstwahrscheinlich auch nicht. Wenn er erst einmal unterwegs wäre, mit einem Flugzeug voll mit Schlager singende und schunkelnde Senioren, würde sich alles finden.

      „Nun“, Frau Partner senkte die Stimme, „Sie können es sich überlegen. Sie können bei uns anfangen. Nur, ich muss Ihnen etwas zur Bezahlung sagen: Unsere Reiseleiter arbeiten ehrenamtlich. Pro Tag bekommen sie eine Aufwandsentschädigung von zehn Euro. Aber die Reise haben sie natürlich umsonst!“

      Welch ein Trost, die Reise umsonst! Schroeder dachte an das rausgeschmissene Fahrgeld und dankte Frau Partner, dass sie sich so viel Zeit genommen hatte.

      „Ich arbeite bereits ehrenamtlich“, sagte er und ging.

      Was für eine Welt, dachte er. Die verkaufen Reisen, für hunderte, ja tausende von Euros und die Reiseleiter haben die Ehre, den Senioren das Gepäck ins Hotel zu schleppen und ihnen bei Bedarf die Teebeutel in den Thermoskannen zu wechseln. Danke Männer. Schroeder fühlte sich gedemütigt. „Was hat sie gesagt, die Reise haben Sie natürlich umsonst!“

      Zuhause angekommen, schickte er Constanze eine SMS: „Wann können wir uns treffen?“ Es war Zeit, auf den im Raum schwebenden Plan einer gemeinsamen Selbständigkeit zurückzukommen. Nach dem Mittagessen, er hatte das Lieblingsgericht seiner aus Berlin stammenden Großmutter aufs Neue entdeckt, nämlich Pellkartoffeln mit Quark und Leinöl – die Flasche Rotwein dazu war ein spanisches Relikt - legte er sich aufs Bett. Die Börsennachrichten kamen um kurz nach halb zwei. Da war er bereits eingeschlafen. So wurde er von den üblen Nachrichten vom „Frankfurter Parkett“ bis auf weiteres verschont.

      Er wachte mitten in einem Interview auf. Es war Teil einer Serie über außergewöhnliche Berufe. Heute war eine Toilettenfrau dran. Eine Toilettenfrau im “Three corners“, dem früheren Lokal eines alternden Playboys der zweiten Liga, von dem gesagt wurde, er habe sich den Arsch liften lassen.

      Lore Fischer, die Toilettenfrau. Sie sprach nicht so, wie man sich eine Toilettenfrau sprechen vorstellte. Rasch wurde klar, woher sie ihre gewählte Aussprache hatte. Sie hatte Pädagogik studiert. Eine studierte Toilettenfrau. Schroeder dachte an die Müßiggänger in den Straßencafés seines Viertels. Deren Glauben, vom Leben alles zu kennen, hätte Frau Lore Fischer sicherlich stark erschüttert.

      „Oh“, sagte Frau Fischer gerade, „ ich habe ja an der Humboldt Uni studiert, und später, Sie werden es vielleicht nicht glauben“, der Interviewer gab ein „hmm“ von sich, „später war ich dann Referentin für Bildung! Natürlich, das war in der DDR, na ja, und danach“, sie meinte offensichtlich die Wende, „da war ich sowieso Rentnerin!“

      Und sie erzählte, nachdem ihr Mann gestorben und die Kinder aus dem Haus waren, habe sie einen Job gesucht, in dem sie mit Menschen zu tun haben würde. „Und ich kann Ihnen sagen, die Männer hier, die sind so nett, manchmal schenken sie mir Blumen oder Pralinen!“

      Und sie berichtete, wie sie manches Mal ein mit Rotwein beflecktes Hemd auswechseln müsse, „ich hab‘ ja immer eine Kollektion frischer Hemden hier, auch Deos für die Damen, und anderes, Typisches für Damen, na ja, Sie wissen ja...“

      „Und“, wollte der neugierige Radiomann wissen, „was ist, neben den Menschen das Schönste an ihrem Job?“

      „Am schönsten ist“, kam nach kurzer Überlegung, „wenn ich morgens um fünf meine Arbeit beendet habe, wir vom Personal noch ein bisschen zusammen gesessen haben und ich in die frühe Sonne hinausgehe!“

      Auf Schroeder hatte das Interview die Wirkung eines Joints. Wenn, so sagte er sich, Frau Lore Fischer als Rentnerin, als studierte Rentnerin zumal, einen Job gefunden hatte, dann konnte es sich bei ihm nur noch um eine Frage der Zeit handeln, bis auch er einen Job haben würde. Am liebsten wäre er ins „Three corners“ gestürmt und hätte Frau Fischer rote Rosen gebracht!

      Schon am Zeitungstag darauf erfuhr Schroeder erneut das aufregende Prickeln, vor einer neuen Chance zu stehen. Eine neue Chance, in Telefonreichweite. Zwei knappe Zeilen hatten seine Aufmerksamkeit geweckt: Vertretung für 3 Monate im Bereich Management gesucht. Dazu zwei Telefonnummern, eine davon eine Mobilfunknummer. Er zögerte nicht einen Moment und wählte das handy an.

      „Borowski“ meldete sich eine Stimme wie aus geschliffenem Glas. Borowski mit rollendem „r“.

      „Guten Tag, Schroeder. Schroeder mit oe. Ich rufe wegen Ihrer Anzeige an, „Managementvertretung“.

      „Guten Tag. Was sind Sie von Beruf?“

      „Na ja,“ Schroeder musste die Dinge etwas zurecht biegen, „ich bin studierter Marketingexperte, zur Zeit Journalist, ich mein‘ als Journalist freiberuflich tätig...“

      „Sehrr gutt“. Schroeder bemerkte die zwei r’s in „sehr“ und t’s in „gut“. Zusammen mit dem rollenden „r“ in „Borowski“, zeichneten sie für Schroeder das Bild einer sibirischen Winterlandschaft.

      „Was ich noch sagen möchte“, Schroeder wollte sich diesmal Überraschungen ersparen, „ also, ich bin über 50, nur damit Sie....“

      „Macht gar nichts“, sagte die gläserne Stimme, „ich bin auch nicht merr der Jüngste, also wann können Sie kommen?“

      Schroeder sah sich in die Zielgerade einbiegen. Noch nie, außer von Frau Partner, hatte er eine derart spontane Einladung zur Vorstellung erhalten.

      An der Tür deutete kein Schild auf ein Unternehmen hin. An den etwa einem Dutzend Klingeln standen nur Namen von Privatpersonen. Alle klangen deutsch, sogar ein Namensvetter war darunter, allerdings mit normalem „ö“. Er sollte bei Büttner klingeln. Büttner im zweiten Stock. Das Haus, in einer Gegend von Charlottenburg, wo einstiger Glanz wie bei einem alten Stück Käse vom Rande her bereits aufgeweicht war, zeigte Risse im Gemäuer. Der Treppenläufer war durchgetreten, die Türen in den einzelnen Stockwerken mehrmals überstrichen worden, so dass der dicke Farbauftrag sich zu verselbständigen drohte. Die Stuckbordüren an der Decke hatten bereits Federn gelassen. Immerhin es roch nicht, wie in vielen Altbauten seines Kreuzberger Kiezes, nach abgestandenem Essen und