Fred Feining

Keine Nachricht für Schroeder


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im Umgang mit Korkenzieher und Flasche. Um aufkommende Zweifel zu ersticken, schob Luis seinen Hemdsärmel hoch und tippte wie ein Kriegsheld auf eine Narbe am Oberarm. Sollte wohl heißen, sieh mal, von einem Stier abbekommen!

      An diesem ersten Tag im Tejo ging Schroeder zufrieden nach Hause, vorbei an den Wichtigtuern mit ihren Laptops und Milchkaffees. Zuhause allerdings verfiel er ins Grübeln. Die Küche des Zebras lag im Dunkeln. Von dort war keine Ablenkung zu erwarten. Die portugiesische Bar hatte ihn an die Zeit im Süden erinnert und nun fragte er sich, was er hier machte. Plötzlich kam er sich wie ein Stück Treibholz vor, angespült von einer wirren Strömung. Ohne Nutzen und ohne Richtung. Die in den Straßencafés, waren die vielleicht glücklicher als er, weil sie sich nicht nur wichtig nahmen sondern in Wirklichkeit wichtig waren? So wie sie da vor ihren Notizen saßen, stand hinter ihnen nicht eine Aufgabe?

      Das war’s. Er brauchte eine Aufgabe. Da an einen Job wegen passender Angebote im Moment nicht zu denken war, besann sich Schroeder auf den selbstlosen Teil seines Ichs. Schon während seiner Berufsjahre hatte er ehrenamtlich gearbeitet, in einer Organisation, die Asylanten Deutschkenntnisse vermittelte. Fast drei Jahre lang hatte er vor Iranern, Kurden und Afrikanern gestanden und mit ihnen Deklinationen und den korrekten Gebrauch von Reflexivpronomen eingeübt. Durchaus mit Erfolg. Immerhin hatten einige seiner Exschüler danach Hochschulstudien abgeschlossen. Geld hatte es nicht gegeben. Die dankbaren Blicke seiner Schüler waren Belohnung genug für Schroeder gewesen.

      Schroeder hatte keine Berührungsängste mit Ausländern. Er selbst war jahrelang Ausländer gewesen und kannte die Schwierigkeiten, in einer fremden Gesellschaft zu bestehen. Er hatte Glück gehabt, weil er zur richtigen Zeit an die richtigen Leute geraten war, die es ihm erleichtert hatten, Fuß zu fassen.

      No te preocupes. Te enseño como funcióna la cosa. Ysi te falta ayuda, llamame. Venga, toma una copa. Mi casa es suya. No hay linea telefonica? Voy a llamar mi tío, que trabaja en la empresa, y vas a ver, en seguida tienes teléfono! Tu eres uno de nosotros, salut!

      In der Ausländerbehörde drang er bis in das Pressereferat vor und ging mit einem Packen Unterlagen unter dem Arm nach Hause. Das meiste waren Broschüren über in Berlin lebende Ausländer, veraltete statistische Daten, Anschriften von Hilfsorganisationen und ausländischen Kulturvereinen. Bei der Gelegenheit lernte er, dass in Berlin Menschen aus 187 verschiedenen Ländern ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Sogar Leute aus Vanuatu führten hier zwischen fast vier Millionen Menschen ihr inselfernes Leben.

      Schroeder blieb an einem Artikel über eine Organisation hängen, die sich „Integrationsplattform“ kurz InPla, nannte. Man konnte eine Patenschaft übernehmen und damit einem Migranten den Start ins deutsche Leben erleichtern. Das Gute war, so fand Schroeder, dass es sich um eine praktische Patenschaft handelte. Keine Beruhigung schlechten Gewissens durch Ablasszahlungen, die irgendeinem traurig dreinblickenden Kind in Indien oder Afrika die Zukunft erhellen sollte. Hier konnte man sich um einen Menschen aus Fleisch und Blut kümmern. Mit ihm ins Kino oder in den Supermarkt gehen, seinetwegen den Beamten auf den Sozialämtern Dampf machen und über das Leben hier und dort Gedanken austauschen.

      Ein Besuch im Büro des Vereins überzeugte ihn von der Ernsthaftigkeit des Projekts. Später nahm er zum ersten Mal an dem Treffen der Gruppe teil und war überrascht, wie viele Menschen offensichtlich bereit waren, Patenschaften mit Ausländern einzugehen. Es waren größtenteils Leute über vierzig, Schroeder war nicht einmal der älteste. Er setzte sich neben eine junge Frau, es war der einzige Stuhl der noch frei war, wie er später Constanze, seiner Platznachbarin, immer wieder erzählen würde.

      Der Abend wurde von zwei Sozialarbeitern geleitet. Schroeder war nicht der einzige Neue im Kreis, und deshalb wurden die Grundzüge der Aktivitäten, anscheinend zum wiederholten Male, dargestellt. Das Projekt war erst zwei Jahre alt und lebte von einem Sponsor aus der Industrie. Mit dem Geld wurden Werbemaßnahmen bestritten, Veranstaltungen mit den Paten ausgerichtet und die beiden Sozialarbeiter entlohnt.

      Trotz der überzeugenden Absicht war der Abend langweilig. Es gab die üblichen Unstimmigkeiten, die Pflege persönlicher Eitelkeiten und die Unfähigkeit zur Beschlussfassung. Die Leute waren behäbig und selbstgefällig, nur zwei oder drei ließen Aktivität erkennen. Es kam ihm vor, als säße er in einem Kaffeekränzchen. Schroeder wollte dem Ganzen noch eine Chance geben, vielleicht hatte er nur einen schlechten Tag erwischt. Das nächste Treffen sollte nach vier Wochen stattfinden.

      Diesmal setzte er sich gleich neben Constanze. Auch jetzt war die Versammlung eine Anhäufung langweiliger Berichte, die die beiden Sozialarbeiter von sich gaben. Schroeder hörte kaum hin und begann sich auf Constanze zu konzentrieren. Er beugte sich zu ihr hinüber und war erstaunt, dass sie von keinerlei Parfumaura umgeben war. So wie sie aussah, mit perfekter, glatter Haut, leicht geschminkten Lippen, gepflegten Haaren und manikürten Fingern, hatte er eine Wolke Maiglöckchen erwartet. Was Schroeder herausbekam war, dass auch sie neu in diesem Verein, dass sie Rechtsanwältin und, der Ring verriet es, verheiratet war.

      Nach der Versammlung sprach Schroeder sie an. Er wusste eigentlich gar nicht, wieso gerade sie. Klar, sie war attraktiv, doch davon gab es einige Frauen in diesem Kreis. Besonders eine Iranerin mit langen, dicken Haaren und knallroten Lippen hatte es ihm angetan. Doch die saß unerreichbar auf der anderen Seite des großen, runden Tisches. Constanze also war, so wie er selbst von einem Helfersyndrom gesteuert, in diesen Kreis geraten. Eine arbeitslose Rechtsanwältin auf der Suche nach Anerkennung.

      Schroeder kam bald auf das Thema Jobsuche. Ja, meinte Constanze, sie suche ebenfalls händeringend nach einem Job, egal was, im Prinzip, aber „es scheint nur Schrott zu geben!“ Und sie berichtete von Angeboten, hinter deren klangvollen Namen sich immer wieder Vertriebsaufgaben verbargen. „Einmal ging es um Kosmetik, dann um Versicherungen oder um Gesundheitssaft! Klinkenputzen! Wozu habe ich eigentlich Jura studiert?“

      Constanze war, so schätzte Schroeder, kurz vor Vollendung des vierzigsten Lebensjahres. Ihm war klar, die Altersfalle hatte auch bei ihr bereits zugeschnappt. Jobs für über Fünfunddreißigjährige waren so selten, wie Regen in der Sahara. Bei den Juristen gab es zudem viel weniger Stellen als Interessenten, also, meinte Schroeder schließlich zu ihr: „Kannste doch alles vergessen!“ Sie gingen in die nächste Kneipe um die Ecke und sprachen von anderen Dingen.

      Die Bekanntschaft mit Constanze führte zu einem Bündnis. Ein Bündnis der Schattenjäger, die ihre Jobideen austauschten, was schließlich zu einem gemeinsamen Konzept führen sollte. Doch soweit war es noch nicht.

      Erst einmal löste sich das Integrationsprojekt auf. Der Sponsor hatte die Zahlungen eingestellt und die beiden Hauptamtlichen wurden von ihrem Arbeitgeber abgezogen. Zurück blieb ein Häuflein Unverzagter, an deren Spitze sich Schroeder setzte. Dass es dazu kam, lag einerseits an Schroeders Energie, Dinge voranzutreiben. Andererseits war der Rest der Mannschaft froh, jemanden zu haben, der das Fähnlein vorantragen wollte.

      Es gab keine Organisationsstruktur. Keinen Vorsitzenden, keinen, der Protokolle schrieb. Ein anarchischer Haufen, den bald weitere Mitstreiter verließen. Zum Schluss waren es noch ein Dutzend Idealisten, die nicht nur durch die Aufgabe, sondern auch durch persönliche Sympathie zusammengehalten wurden. Schroeder koordinierte, schrieb Protokolle, bat andere bestimmte Aufgaben zu übernehmen, hielt das Halfter in der Hand, eckte mit seinem bestimmenden Ton mehr als ein Mal an.

      Träger des Projektes, ein durchaus mit finanziellem und politischem Gewicht ausgestatteter Verband, stellte der Gruppe ein Büro zur Verfügung. Mit Computer, Kopierer, Versammlungsraum. Geld gab es nicht. Bald saß Schroeder also wieder vor einem Schreibtisch, Telefon und Computer. Er hatte einen eigenen Schlüssel zu diesem Büro, Aktenordner und Kaffeemaschine. Er fühlte sich als Chef unsichtbarer Heerscharen und wartete darauf, dass das Telefon klingeln würde.

      Er überlegte lange, wie er den Raum dekorieren sollte. Er entschied sich für eine Weltkarte des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Das Credo stand oben drüber in fetten Lettern: KEINE HÄLFTE DER WELT KANN OHNE DIE ANDERE HÄLFTE DER WELT ÜBERLEBEN! Hört sich gut an, dachte Schroeder.

      Er suchte den Kontakt mit Constanze und sie suchte den Kontakt mit ihm. Erotische Absichten lagen auf keiner Seite in der Luft. In der Hinsicht war das Büro exterritoriales Gebiet. Beiden