Hans Ulrich Süss

Der Aufstieg des Karl Ernst Schober


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früh zu gehen, wenn der oberste Chef das anders sah, konnte es nicht korrekt sein! Er änderte seine Argumentation: "Aber bedenken Sie doch den schlechten Eindruck, den es macht, wenn ab 16 Uhr in den Laboratorien niemand mehr arbeitet! Und freitags ist es besonders schlimm. Der Dr. Heumann läuft mit Besuchern durch ein totes Gebäude. Wie wirkt denn das!?"

      Frau Seifried blieb so praktisch, wie sie begonnen hatte: "Wenn er uns treffen möchte, sollte er vielleicht ins Labor kommen, bevor er mit seinen Gästen um eins für Stunden im Kasino verschwindet. Zum Beispiel um zwölf?" Das letzte war schon etwas schnippisch formuliert, dachte Schober. Ihm gefiel die Richtung überhaupt nicht, in die das Gespräch kippte. Seine Autorität war in Gefahr!

      Jetzt setzte der ruhige Habermehl, der sich die ganze Zeit herausgehalten hatte, auch noch ein Argument drauf: "Diese Regelung ist doch zwischen dem Standortchef und dem Betriebsrat vereinbart worden. Gilt die jetzt für die Forschung nicht?"

      Schober dachte, das geht überhaupt nicht, wie komme ich aus dieser Geschichte wieder raus, ohne Gesichtsverlust? Er beschloss das Gespräch zu beenden. Er verlies das Labor mit der Bemerkung: "Ich rede mal mit unserem Chef, dem Dr. Bauer."

      Er stürzte in Bauers Büro und forderte Änderungen bei der Gewährung von Gleitzeit. Er betonte den Wunsch des Chefs: "Der Dr. Heumann ist auch sehr unzufrieden mit der Anwesenheit des Personals, besonders an Freitagen. Da muss sich dringend etwas ändern!"

      Bauer hörte sich Schobers bericht an und sagte trocken: "Da geht es dem Herrn Heumann genau so, wie allen anderen. Er und Sie und ich können es nicht ändern. Es ist so, wie es ist! Das ist ein Beschluss für den gesamten Standort, unterzeichnet für den Arbeitgeber und gegengezeichnet durch den Betriebsrat. Wer das ändern möchte, muss den Standortchef dazu bringen, darüber mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Wie einfach das wird, überlass ich Ihrer Phantasie."

      "Aber es ist nicht schön, beim Rundgang ein leeres Labor vorzufinden, wenn man am Nachmittag noch 'ne Idee hat ..." begann Schober.

      "Dann setzen Sie Ihre Idee doch am kommenden Morgen um." Bauer blieb gelassen. Schober zog unbefriedigt ab.

      Am Abend beklagte er sich bei Elsbeth: "Stell Dir vor, der Heumann hat eine klare Vorstellung über die Präsenz der Mitarbeiter im Labor. Ich sollte das umsetzen. Den Mund hab ich mir fusselig geredet und die Laboranten sagen einfach 'nein, warum?' Ich finde das unmöglich, wie steh ich jetzt da?"

      Elsbeth lies sich die Situation schildern und meinte dann: "Der Heumann hat Dich da ganz schön reingelegt. Du solltest etwas ändern, was ihm nicht passt, aber nur von einer viel höheren Stelle aus überhaupt entschieden werden könnte."

      "Wieso?", Schober hatte es noch nicht verstanden, seine Rückfrage klang aufgebracht.

      "Ach, Karlchen", Elsbeth blieb ruhig, "das kenn ich doch noch von der Uni, der Professor Palm hat auch immer gemeint, er bestimmt alle Regel in seinem Institut. Zum Beispiel, wer wann Urlaub machen darf. Das stimmte aber nicht. Der Personalrat hat ihm da schon einige Male seine Grenzen gezeigt. Das muss Dein Heumann auch verstehen. Er ist der Chef der Forschung, aber nicht der vom Standort."

      Jetzt fiel der Groschen auch bei Schober. Er sagte zu Elsbeth: "Du hast Recht! Der Heumann hat mich, Absicht oder nicht, einfach mal vorgeschickt und ich hab gedacht, ich tu ihm und mir einen Gefallen, wenn ich seine Ideen umsetze. Das soll mir nicht nochmal passieren!"

      Schober unterzeichnete künftig Anträge auf freie Tage ohne Murren und sagte nichts, wenn sein Labor an Freitagen nach zwölf leer stand. Die Laboranten zogen ihre Programme durch und zu mehr als vierzig Arbeitsstunden waren sie nicht verpflichtet. Der Zeitausgleich stand ihnen zu. Andererseits, aus Heumanns Sicht war die Forderung nicht falsch. Es ist es doch das Recht des Chefs von seinen Mitarbeitern Leistung zu fordern und sie Dinge erledigen zu lassen. Funktioniert es, ist es gut; klappt es nicht, dann trägt nicht der Chef Verantwortung, sondern der Mitarbeiter Schuld am Versagen. Schober sah sich bestätigt in seinem Wunsch, bald in der Hierarchie aufzusteigen, das würde alles leichter machen!

      Telefonisch meldete sich Heumann bei Schober: "Unser Patent ist doch sicher inzwischen beim Patentamt eingereicht und registriert?" Schober bestätigte dies.

      Heumann fuhr fort: "Dann müssen wir bald mit unserer Produktion reden. So eine tolle Verbesserung muss rasch in die praktische Anwendung. Ich werde Sie mal mit dem Obermeier von der Produktion zusammenbringen. Sprechen Sie mit dem Obermeier und erklären Sie ihm, was er verändern muss, um besser zu werden."

      Diese Diskussion ergab keine gravierenden Probleme bei der Umsetzung der Ideen in der vorhandenen Anlage. "Was wissen Sie über den Einfluss auf die Produktqualität?", wurde Schober gefragt. Darüber hatte er mit einer gewissen Absicht keine detaillierten Daten verfügbar, warum unnütze Bremsklötze einbauen, also versicherte er Obermeier: "Die bleibt nahezu unbeeinflusst, unsere Idee sorgt schließlich nur dafür, dass mehr Katalysator in der Lösung ist und deshalb der Umsatz pro Zeiteinheit steigt!"

      Controlling erstellte eine gut aussehende Kostenrechnung. Das war kein Wunder, denn die Daten, auf denen die Berechnung basierte, waren die Daten aus Schobers Patent. Vorausgesetzt, der Durchsatz ließ sich tatsächlich steigern und die Kaufleute könnten die höheren Mengen auch verkaufen, würde man Investitionskosten für eine Anlagenerweiterung sparen.

      "Das bedeutet, die Firma spart richtig Geld!" jubelte Heumann, und dachte, "da bleibt nach dem Arbeitnehmer-Erfindergesetz auch einiges für mich hängen."

      Wie ein Vorstand tickt, lernte Schober bald selbst aus erster Hand. Nicht, dass er eine Audienz erhalten hätte, ganz im Gegenteil, der Vorstand gab auserwählten Mitarbeitern eine Präsentation. Bauer verteilte die Einladungen, die er von Heumann erhalten hatte. Zur Erklärung meinte er: "Das heißt bei uns der 'Ausspracheabend' des Vorstandes mit seinen außertariflichen Mitarbeitern. Es ist aber eigentlich ein Monolog des Vorstandes über das Geschäftsergebnis des vergangen Jahres. Im Prinzip darf man alle Fragen stellen. Nur kritische Fragen sind unerwünscht. Es gibt aber hinterher immer ein gutes kaltes Buffet. Ende März schon Erdbeeren zum Dessert. Das ist der schöne Teil. Der andere ist langweilig."

      Schober fand es überhaupt nicht langweilig. Er sah die hohen Herren des Vorstandes zum ersten Mal aus der Nähe, denn er hatte sich die zweite Sitzreihe ausgesucht. Finanzvorstand Bauklor gab einen düsteren Bericht. Das Ergebnis des Vorjahres war überraschen schlecht ausgefallen. Im Bereich Chemie waren die Umsätze bei steigenden Rohstoffpreisen fast stabil geblieben, der Gewinn daher dramatisch gesunken. Zum Glück gab es noch Edelmetall und Pharma. Leider war der letztere Bereich immer noch zu klein, um nennenswert positives zum Resultat beitragen zu können. Man müsse weiter akquirieren und halte nach geeigneten Kandidaten Ausschau.

      Dann kamen anderen Vorstandsmitglieder zu Wort. Ihre Aussagen unterstützten die ersten Ausführung. Einer, Hohlenberger, meinte zur Kostenkontrolle sei große Disziplin bei allen Ausgaben dringend erforderlich. Er bitte alle Kollegen, er sagte tatsächlich 'Kollegen', selbst bei Schreibmaterial Sparsamkeit walten zu lassen. Man könne Papier auf beiden Seite beschreiben und Bleistiftstummel sehr, sehr kurz herunterschreiben.

      Das fand Schober doch übertrieben. Ein Kollege aus der Forschung, Dr. Schwalbe, stellte danach eine Frage. Er wollte wissen, ob die Investitionen für den Pharmabereich nicht in ein Fass ohne Boden gingen: "Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie die kritische Größe für den Umsatz in diesem Bereich noch vor zwei Jahren mit 500 Millionen beschrieben. Jetzt haben wir eine Milliarde erreicht und das genügt immer noch nicht, zum Geld zu verdienen. Werden wird das nochmal verdoppeln müssen, bis eine Rendite möglich ist?"

      Schober hörte seinen Nebenmann deutlich nach Luft schnappen, dann flüsterte er: "Ist der verrückt, so was zu fragen?" Die Herren im Vorstand sahen sich an, wer sollte zu dieser Frage Stellung nehmen? Es war Unterholzer, der antwortete, er sah sich in allen Bereichen als zuständig an: "Die Frage des erforderlichen Umsatzes ist in der Tat eine bewegliche Größe. Wir mussten leider erkennen, unsere Sicht war in der Vergangenheit etwas zu optimistisch. Da wir jedoch zurzeit etwa fünf neue Produkte in unserer pipeline zur Zulassung haben, sind wir guter Dinge, was die Zukunft betrifft." Es war ihm anzusehen, diesen Kommentar gab er nicht gern. Schobers Nachbar flüsterte: "Der Schwalbe ist alt genug zu wissen, dass