Hans Ulrich Süss

Der Aufstieg des Karl Ernst Schober


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      Wie erwartet, war Krauth für Heumann nicht leicht erreichbar. Krauth veranstaltete viele, wichtige Sitzungen und Diskussionsrunden und nahm an ebenso vielen weiteren teil. Mit dem Argument des intensivierten Wissenstransfers ließ sich dieser Zeitaufwand gut rechtfertigen. Krauth nutzte sein Wissen und seine Kontakte zum Ausbau seines Einflusses. Er wusste genau, wer was forschte und welcher Topf zur Förderung seiner eigenen Truppe anzuzapfen war. Das lohnte sich, er hatte schon eine ganz beachtliche Mitarbeiterzahl um sich geschart und bislang waren alle Sparmaßnahmen an ihm spurlos vorüber gegangen.

      Als Heumann Krauth schließlich erreichte, war es zunächst schwierig ihn davon zu überzeugen, Schober sei der richtige Stellvertreter in seinem Team. Aber da Heumann auch bei Prof. Krauth Schwachstellen kannte, zum Beispiel dessen Begeisterung für interessante Titel, gelang es ihm problemlos die neue Bezeichnung "Director Strategic Research Green Chemistry" durch die zusätzliche Nennung des Stellvertreters Schober im Organigramm noch attraktiver wirken zu lassen. Krauth, halt, soviel Zeit muss sein: Prof. Dr. Krauth, war überzeugt, diese neue Struktur war ein Gewinn! Heumann seinerseits dachte, man muss nur die Möglichkeit haben ein Position durch Schnickschnack, wie eine zusätzliche Ebene im Organigramm, wichtiger zu machen, und schon klappen auch schwierige Versetzungen. Es war manchmal doch schön, der oberste Leiter der Forschung zu sein!

      Schober erklärte Elsbeth seine Beförderung: "Dem Heumann blieb nichts anderes übrig, als mir diese neue Position anzubieten. Professor Krauth benötigt dringend Hilfe bei diesem schwierigen BMFT-Projekt. Das schafft der alleine nicht, der braucht mich. Ich werde jetzt der Stellvertreter eines Professors in der Forschung." Vielleicht hörte sie jetzt endlich auf, ihn Karlchen zu nennen. Das war leider eine falsche Hoffnung.

      Elsbeth hatte Zweifel: "Was verstehst Du denn von BMFT-Projekten? Karlchen, bist Du sicher, der Professor Krauth braucht Dich wirklich? Wenn Du ihm alles abnehmen sollst, bist vielleicht noch mehr am Rotieren als jetzt schon. Du hast sowieso kaum Zeit für Jasmin und mich." Das Letzte klang vorwurfsvoll.

      Diese Sicht brachte Schober wieder auf den Boden, nicht zu seiner Begeisterung. Er begann über die Tragweite der Versetzung nachzudenken. Sie hatte ja schon Recht, die Else. Er hatte keine Ahnung, wie solche Projekte laufen, wie oft Berichte zu schreiben sind, welche Daten erfasst werden mussten. Man konnte zittrig werden. Ach was, dachte er. Nur keine Gedanken an Probleme verschwenden. Das wird sich schon finden. Ihm kam ein Gedanke: Wenn er der Stellvertreter Krauths war, dann standen die anderen Chemiker zumindest formal unter seiner Leitung. Da könnte er Probleme sicher gut delegieren. So wie den Papierkram mit der Arbeitsplatzbegehung an die Frau Seifried.

      Schober zuckte die Schultern, Elsbeths Sorgen waren völlig unbegründet. Deshalb meinte er nur: "Da unterschätzt Du Deinen Karl gewaltig. Wenn künftig Probleme auftreten sollten, dann nur als solche der geschätzten Kollegen unter mir!" Elsdbeth sah ihn erstaunt an, verzichtete aber auf jeden weiteren Einwand. Schober dachte: 'genau so muss das laufen!'

      Schober wurde von Prof. Krauth seinen 'neuen' Kollegen – er kannte sie schon alle aus den internen Vortragsveranstaltungen – bei einem Treffen der Gruppe vorgestellt. Schober hatte sich einen neuen Anzug gekauft, um gleich für guten Eindruck zu sorgen. Sein Kollege Ewald Dreher sah ihn auf dem Gang und pfiff durch die Zähne: "Na sowas Karl, der ist ja richtig schick! Kein blauer Sacco mit grauer Hose, wie unsere übliche Forscheruniform, ein richtiger Anzug!"

      Er beugte sich vor, um mehr zu sehen und grinste dann: "Der ist ja wirklich neu, neuer geht gar nicht. Da ist ja noch das Boss-Etikett auf dem Ärmel." Schober war etwas irritiert: "Da hat wohl mein Frau wieder gepennt. Danke Ewald, das mach ich gleich ab." Er drehte sich um und verschwand in seinem Büro, um im Schreibtisch eine Schere zu suchen. Das war peinlich!

      Schober übernahm es sofort, das Protokoll zu schreiben, er wollte Engagement zeigen und für Krauth wichtig werden. Krauths Wunsch beim neuen Projekt war die formelle Einbindung anderer Abteilungen aus Vertrieb und Technik, um eine breite Informationsbasis zu schaffen. Dies sollte das zu erforschende Thema mit aktuellen Fragen aus dem Vertrieb ergänzen und Nähe zur Praxis bezeugen. Das war wichtig, um das Projekt intern als sinnvolle Investition zu verkaufen. Als Basis des Projektes hatte Krauth eine 'grüne' Revolution geplant.

      Nachwachsende Rohstoffe, wie Stärke oder Cellulose sollten durch einfache chemische Reaktionen so verändert werden, dass sie in der Lage wären, petrochemische Produkte vollständig zu ersetzen. Grundstoffe für Klebstoff oder Wasserlack sollten aus nachwachsenden Produkten verfügbar werden. Der Verlauf der Informationsveranstaltung war für Schober ziemlich ernüchternd. Vom Vertrieb war Klaus Seeberger gekommen. Er erzählte von seiner Erfahrung mit der Preisgestaltung und dem Preisniveau bei Lackrohstoffen. Der Markt schwenkte um von lösemittelhaltigen Lacken auf Wasserlacke, allerdings mit wenig Spielraum bei den Preisen. Klebstoffe waren ein ähnlich ausgereizter Markt. Spezialitäten waren toll, aber vom Preis für kleine Tuben mit 2 Gramm Inhalt konnte man keinen Kilopreis von 100 DM für große industrielle Anwendungen hochrechnen. Für den potentiellen Bedarf der Papierindustrie kam ein Kollege aus der Anwendungstechnik, Paul Sauerstein. Dort sah die Situation nicht viel besser aus. Der Markt war gesättigt, bei einigen Sorten gab es noch Wachstum von 1% bis 2%. Neue Produkte müssten alte verdrängen, was mit Sicherheit zu einem Preiskampf führen würde. Dies ließ wenig Raum für phantasievolle oder aufwendige chemische Reaktionen, weil so nur teure Alternativen zustande kämen. Der Spielraum für neue Produkte war gering, die Grenzen für eine finanziell attraktive Produktion neuer Produkte eng.

      Die schlechten Aussichten waren selbstverständlich kein Grund das Projekt zu stoppen. Erstens, es gab kein anderes Thema für Prof. Krauths Mannschaft, zweitens war das BMFT-Geld bewilligt und drittens konnte ja immer ein Wunder geschehen. Wenn die Menschen nur noch grüne Produkte aus nachhaltiger Erzeugung kaufen, dann gab es einen großen Markt für die neuen Produkte! Kreative Ideen zur einfachen und billigen Derivatisierung der Rohstoffe würden trotz der schlechten Aussichten eben doch zum Erfolg führen! Seeberger und Sauerstein sahen das etwas anders, die Wahrscheinlichkeit des Wunders schien gering. Beider Meinung war Prof. Krauth jedoch egal, er dachte an das schöne Potential zur Beschäftigung, zur späteren Publikation und daran, dass Forschung eben auch Risiko ist.

      Prof. Krauth hatte eine elegante Methode zur 'Leistungssteigerung' seiner Mitarbeiter entwickelt, hier konnte Schober lernen, was es bedeutete zu führen! In Anwesenheit aller Mitarbeiter der Krauth-Gruppe wurden die Resultate ihrer Experimente abgefragt. Diese sollten selbstverständlich positiv sein. Wenn sie das nicht waren – und das war aufgrund der Vorbesprechung sehr wahrscheinlich – äußerte Krauth vor versammelter Mannschaft Zweifel an der wissenschaftliche Qualifikation des Kollegen, dessen Engagement und dessen Kreativität. Diese Zweifel wurden reihum verteilt, niemand wurde ausgenommen, auch Schober wurde damit konfrontiert. Ein kleine Ausnahme war der Kollege Dr. Alex Schmidt, denn der hatte gute, sehr realistische Vorschläge, die auch zu interessanten Produkten führten. Schober fühlte sich zurückgesetzt, es war nicht akzeptabel von Krauth zu hören: "Nehmen Sie alle sich einmal mehr Herrn Schmidt als Vorbild, so stelle ich mir auch Ihre Arbeit vor! Ich erwarte beim nächten Treffen in zwei Wochen auch von Ihnen bessere Ideen."

      Zuhause versuchte er seinen Frust zu artikulieren. "Du glaubst nicht, Elsbeth, was das für ein hinterfotziger Hund ist, dieser Krauth. Der trägt nichts, aber auch nichts zum Thema bei und fordert nur ständig bessere Resultate. Er sagte einfach, wir sind jetzt schon fast ein Jahr an dem Thema, da wird es Zeit vorzeigbare Ergebnisse zu präsentieren."

      "Aber du warst doch so sicher, das ist der Schritt nach vorn, die Versetzung zu dem Krauth?" Elsbeth war wieder keine Hilfe. "Du sagst immer, dem zeig ich's und dann kommt doch nichts. Ich sag Dir mal was, lass diese blöde Firma sein und geh mit uns spazieren. Der Krauth kann Dir doch am Wochenende egal sein."

      Schober sagte ja, nur um seine Zusage gleich drauf zu bereuen. Er wollte doch noch Literatur lesen, um zumindest in der Theorie ein paar toll Ideen vorzuweisen. Na gut, später ging auch noch.

      Schober versuchte sich an Schmidt anzuhängen, er hoffte so, auf einfache Art von ihm profitieren zu können. Leider war Schmidt nicht interessiert, mit Schober näher in Kontakt zu kommen. Wie Schober rasch merkte, Schmidt war allen Kollegen gegenüber sehr zurückhaltend. Er war in sein Thema versunken,