Christine Boy

Sichelland


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der Tat war der Heiler ziemlich außer Atem, als er, im Wohnraum sitzend, dankbar einen Becher Wein von Akosh entgegennahm. Sara schien weit weniger erschöpft und wartete, von der angespannten Stimmung unangenehm berührt, im Schatten der Tür auf das, was nun kommen würde. Lennys verlor keine Zeit.

      „Ein weiteres Mitglied unserer Gemeinschaft wurde getötet und ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass es auch diesmal kein Zufall oder ein gewöhnliches Verbrechen war. Ich brauche keine weiteren Beweise mehr.“ Sie sprach zu niemand Bestimmten, sondern in den Raum hinein ohne jemanden anzusehen. Dann wandte sie sich Menrir zu.

      „Ich gehe sofort zum Tempel zurück. Du musst mich nicht begleiten, ich werde nur noch einige Dinge erledigen, bevor ich abreise.“

      „Du willst den Nebeltempel also schon wieder verlassen?“ keuchte Menrir. Hinter ihm wurde Sara blass.

      „Ich habe dort nichts mehr verloren. Von dort aus konnte ich mich ein wenig in der Gegend umsehen, ohne zu viel Aufsehen zu erregen und ganz nebenbei auch noch etwas anderes erledigen. Gestern. Aber das, was ich wissen wollte, habe ich nun schneller in Erfahrung bringen können als gedacht. Je früher ich von da wegkomme, desto besser.“

      Sie sah Akosh an. „Wenn ich zurück bin, wünsche ich euch alle zu sehen. Wo ist euer Treffpunkt?“

      Akosh lächelte. „Wir stehen direkt darauf. Unter meinem Haus habe ich ein Kellergewölbe ausgebaut.“

      Lennys wirkte verärgert. „Und du sagst mir, niemand könne einen Zusammenhang zu dir herstellen? Noch einen gefährlicheren Platz als hier hättet ihr euch kaum auswählen können!“

      „Keine Sorge. Ein Tunnel führt von außen dorthin und seinen Eingang kennen nur die Eingeweihten. Und von hier aus kommt man auch nur hinunter, wenn man von der verborgenen Falltür weiß. Niemand wird je mehr als einen Besucher an einem Abend bei mir beobachten, wenn überhaupt.“

      „Und wenn jemand den Zugang findet, ... gut, du wirst wissen, was du tust.“ Sie klang nicht überzeugt, verfolgte das Thema aber nicht weiter.

      „Wann willst du uns treffen?“ erkundigte sich Akosh.

      „Ich gebe dir rechtzeitig Bescheid. Ich möchte jetzt keine weitere Zeit verlieren. Sara, du kommst mit, damit der Tempel seine Novizin wiederbekommt. Menrir, was ist mit dir?“

      Der Heiler druckste herum.

      „Wenn du es wünschst, begleite ich dich natürlich. Aber der Weg ist für mich recht anstrengend,...“

      „Tu was du willst. Möglicherweise suche ich dich bald in Elmenfall auf, aber warte nicht auf mich. Falls du bei Akosh bleiben willst, soll es mir auch recht sein. Wir werden uns sehen.“

      Sara sah keinen der Umstehenden an, als sie Lennys nach draußen folgte. Die Straßen von Goriol kamen ihr plötzlich nicht mehr fröhlich und einladend vor, obwohl die ersten Sonnenstrahlen goldene Punkte auf die Erde warfen und Tautropfen in den Büschen und Gräsern diamanthell glitzerten. Es würde vielleicht ein schöner Tag werden, aber nicht für sie. Vor ihren Augen hatte sie noch die verbrannte Leiche Agubs und auch der Brandgeruch schien sich nicht wirklich verflüchtigen zu wollen. Doch all das war nichts im Vergleich zu dem, was sie eben in Akoshs Haus gehört hatte.

      Lennys würde gehen. Sie würde den Tempel verlassen und nicht zurückkehren. Niemand hatte vorher sagen können, wie lange die Gesandte Cycalas bleiben würde, vielleicht nur wenige Tagen, vielleicht Wochen. Dass sie jetzt schon wieder abreisen würde, hatte sicher keiner vermutet.

      Es waren drei anstrengende Tage gewesen, nicht wegen der Wanderungen oder der kurzen Nächte, sondern weil Lennys ständige Aufmerksamkeit und Umsicht erwartete, weil sie unberechenbar war und man es ihr kaum recht machen konnte. Und dennoch ... diese Aufgabe war anders gewesen als alles, was der Tempel Sara bisher geboten hatte. Sie hatte eigene Entscheidungen treffen dürfen, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Sie war gefordert worden, hatte das Gefühl gehabt, endlich das Leben kennenzulernen, ihm sogar einen Sinn zu geben, der nicht nur aus Beten und Kräutersammeln bestand. Und nun, da ihr dies allmählich klar wurde, war es auch schon vorbei und sie würde zurückgehen in die Düsternis einer Gemeinschaft, in der sie sich nie wirklich willkommen gefühlt hatte.

      Tief in ihre Gedanken versunken, nahm Sara den Weg kaum wahr. Einem Mahnmal gleich erinnerte die Waldbrücke wieder an die Toten, doch der Drei-Morgen-Wald war wie ein grünes, verwaschenes Band, das zu allen Seiten vorbeiflog und sich viel zu schnell wieder hinter der Novizin schloss. Den Wald hinter sich zu bringen bedeutete, den Tempel zu erreichen. Der Tempel wiederum bedeutete das Ende eines kurzen Abenteuers, das Sara jetzt verfluchte. Hätte Menrir doch nur eine Andere erwählt, wäre doch Lennys gar nicht erst hierhergekommen... hätte sie doch nie gespürt, wie es war, den Fesseln Beemas zu entfliehen und jemandem zu dienen, der so anders war als Lennys. Dann würde sie es nie vermissen, es nie zurücksehnen und sein Ende nie bedauern.

      Sie sprachen kein Wort bis sie den Kräutergarten erreichten, hinter dem sie sich nur drei Tage zuvor zum ersten Mal begegnet waren. 'Wahrscheinlich hat sie diesen Augenblick längst vergessen..' dachte Sara, doch sie war deshalb nicht wütend oder enttäuscht. Nein, eher schwang ein wenig Neid in diesen Gedanken mit. Was hätte sie dafür gegeben, selbst alles einfach vergessen zu können.

      Wie immer zur Mittagszeit, herrschte im Innern des Gebäudes reges Treiben. Das gemeinsame Mahl war gerade beendet worden und die kurze Stunde der freien Zeit wurde gerne für ein Schwätzchen im Treppenhaus oder einen schnellen Besuch in der Bibliothek genutzt. Überall eilten Novizinnen in braunen, roten, schwarzen und grauen Kutten umher, tuschelten aufgeregt über den Tempelklatsch und kicherten über die Frisuren ihrer Freundinnen. Kaum öffnete sich die Tür zum Küchengang und Lennys trat heraus, verstummten die plappernden Münder aber und öffneten sich sprachlos. Nur wenige hatten die Cycala bisher aus der Nähe gesehen und selbst das nur kurz. Jetzt ging sie aber dicht an den wie eingefroren dastehenden Tempeldienerinnen vorbei, ohne sie dabei auch nur im Geringsten zu beachten. Selbst Sara hatte die Gänge in dieser Zeit noch nie so still erlebt und als sie die eifersüchtigen Blicke auf sich ruhen spürte, war sie ein wenig überrascht, dass ihr der Neid der anderen nichts ausmachte. Aber er befriedigte sie auch nicht.

      Oben im Schlafzimmer angekommen, nahm Lennys zum ersten Mal den Beutel in Augenschein, den Menrir zwei Tage zuvor aus Goriol mitgebracht hatte. Sie hielt das Meiste der Ausrüstung für überflüssig und fragte sich, ob der Heiler nicht vielleicht mehr für sich selbst eingekauft hatte. Anderes war brauchbar, so zum Beispiel das Leinenseil und die Lederschnüre. Notwendig war beides jedoch nicht wirklich. Einzig die Schleifsteine fanden Lennys' Zustimmung. Ihr Kurzsäbel hatte eine Bearbeitung dringend nötig. Die Sichelklinge jedoch würde nicht mit dem minderwertigen Werkzeug vom Markt in Berührung kommen. Noch war sie scharf, doch vielleicht würde sie schon bald öfter zum Einsatz kommen und dann durfte nur ein Meister seines Fachs Hand an der wertvollen Waffe anlegen und dabei Material verwenden, wie es im ganzen Mittelland nicht zu finden war.

      Sara wusste nicht recht, was sie tun sollte. Die Cycala sortierte die Gegenstände aus Menrirs Einkäufen, überflog gelegentlich die beiden Karten aus der Bibliothek und schärfte schließlich die Säbelklinge. Sie gab ihr keine Anweisungen, stellte keine Fragen und ließ sich vor allen Dingen überraschend viel Zeit bei ihrer Arbeit.

      Nach einer Weile sagte die Novizin:

      „Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich euch das Mittagessen bringen...“

      Lennys sah sie nachdenklich an. „Nein, ich möchte nichts. Aber geh ruhig, wenn du Hunger hast.“

      Sara schüttelte den Kopf.

      „Gut, dann nicht. Eigentlich bist du fertig hier. Aber du kannst mir dieses Volk da draußen vom Leib halten, wenn ich gehe. Wann ist am wenigsten los?“

      „Während der Abendmesse. Das dauert aber noch einige Stunden.“

      „Meinetwegen. Soviel Zeit habe ich. Ach ja... ich will nicht, dass Beema etwas davon mitbekommt. Du kannst ihr morgen sagen, dass ich fort bin.“

      Sara nickte. Beema würde toben, aber was spielte das für