Nina Heick

REISE OHNE ZIEL


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      Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin,der Versuch eines Weges, die Andeutung eines Pfades.Kein Mensch ist jemals ganz und gar er selbst gewesen;jeder strebt dennoch, es zu werden ...(Hermann Hesse, „Demian“)

      PROLOG

       Losgelöst Wehmütig stehe ich hier und schau’ in die Schlucht, Spring ich, spring ich nicht? Du sagst, es sei Flucht. Aber was ist Flucht für dich? Ein Ausweg, wenn man nicht weiß wohin, Hab mich gesucht und dich gefunden – weiß nicht, wer ich bin. Probiert anzukommen, verlaufen, verirrt – wo ist mein Ziel? Hoffnung und Zuversicht, als ich mich hingab, dir verfiel. Du nahmst meine Hand und führtest mich – ich folgte deinen Schritten, Glücklich, unbeschwert tanzte ich mit und hab letztlich doch gelitten. Zu gefährlich nah erschien mir deine Wärme auf der Haut, Wurdest mir fremd, schienst plötzlich fern, zugleich vertraut. In meinen Gedanken betrachte ich dein unsicheres Gesicht, Das verzerrte, flehende Lächeln, das Angst verspricht. Deine Intuition sagt, sobald ich falle, kehr ich nicht zurück, Innere Leere, Handeln nach Gefühl – wir haben kein Glück. Zwei sich einst Liebende, deren Wege sich nur kreuzen konnten, Trotz gleicher Wünsche, sich in gemeinsamer Zukunft zu sonnen. Für mich und uns ist’s das Richtige; für dich ist’s falsch und intrigant, Dabei versuchte ich dich zu schützen, hab Zweifel beim Namen genannt. Eines Tages wirst du verstehen, dass es mir die Freiheit raubte, Ich wollte kämpfen, da ich an dich und unsere Liebe glaubte, Aber konnte nicht weiterlaufen, weil die Luft zum Atmen fehlte, Für mich in diesem Augenblick nichts als Unabhängigkeit zählte. Meine Füße schafften nicht, uns beide zu tragen, Mir wurde kalt, obwohl wir beieinanderlagen. Du hast mich gewärmt, deinen Körper fest an meinen gedrückt, Was ich zuvor mochte, wurde zur Qual – ist das nicht verrückt? Zurückgewiesen – mich selbst nicht verstanden, Tränen geweint, Jeden deiner Versuche nach Nähe und Zuwendung verneint. Nun stehst du mir gegenüber – wütend, hassend, verachtend, Über jede Entschuldigung und Erklärung verbittert lachend. Nein, ich kann dir nicht sagen, was in mir vorgeht, weiß es nicht. Aber sicher ist: Am Ende des Tunnels findet sich ein Licht. Dieses Licht, das wünsch ich mir für dich aus tiefstem Herzen, Das Letzte, was ich vermochte – deine Seele schmerzen. Finde den Menschen, der deinen Kopf auf seine Brust legt, Dich in seine Welt führt und dir zeigt, was ihn bewegt. Für mich ist’s der Weg zu mir selbst – erst frei und dann gebunden, Den Sinn, eine einzigartige Liebe zu finden, hab ich nicht gefunden. Lauf du – unbeirrt und selbstsicher, immer mit dem Blick nach vorn, Gib dich nicht auf, für nichts und niemanden, sonst bist du verlor’n. Vertraue dem Schicksal, die Zeit wird’s entscheiden, Für dich und mich – hoffentlich eine Liebe ohne Leiden.

      Aus Sicht der Selbstbeobachterin

      Damals Ich betrachte diese schlanke, fast zu schlanke, zwanzigjährige Frau. Wir stehen erst seit kurzer Zeit in engerem Kontakt zueinander, aber sie ist mir bereits seit Langem bekannt. Ich kann nicht behaupten, sie gut zu kennen. Ich weiß viel über sie, ihre Erfahrungen, ihr Leben ... Jedoch weiß ich nicht, wer sie wirklich ist. Sie wirkt geheimnisvoll, distanziert. Es fasziniert mich, dass sie so offen über sich selbst sprechen kann, gleichzeitig undurchschaubar zu sein scheint. Sie teilt ihre Gedanken mit. Emotionslos – als spreche sie über eine andere, nicht die eigene Person. Als lebe sie in einer fremden Welt, in ihrer Welt, in die niemand eindringen darf. Wie hinter einer verschlossenen Tür, die sich nicht öffnen lässt, weil der Schlüssel fehlt. Verschollen – für niemanden erreichbar. Ich beobachte diese Frau sehr häufig und frage mich, wer oder was sie so gekränkt hat, dass sie ihre Gefühle verbergen muss. Wo ist die Traurigkeit in ihrem Blick? Wo finde ich diese eine Träne, auf die ich warte, wenn schon ich bei ihren Erzählungen den Tränen nahe bin? Und was sind das für rote, vernarbte Striemen auf ihren Unterarmen? Sie ist beliebt. Hat einen großen Freundeskreis. Wird begehrt – von Männern und von Frauen. Auf Partys steht sie oft im Mittelpunkt – ohne es zu beabsichtigen. Sie ruht in sich – die Augen geschlossen, ihre herausstechenden Hüften im Einklang mit der Musik. Wenn sie dann die geschwollenen Lider öffnet, ist’s, als erwache sie aus einem Traum und lande zurück in der Realität. Enttäuschung. Genervt von den Kerlen, die sich schmachtend nach ihr verzehren. Als habe sie genug von der Masse – der Banalität und Oberflächlichkeit, die den meisten Menschen innewohnt. Manchmal spielt sie eine Rolle. Insbesondere wenn sie getrunken hat. Dann verhält sie sich plötzlich laut, auffällig und provokant. Verdrängung, Show nehme ich an. Keiner darf erahnen, was in ihr vorgeht. Kummer. Sie hasst es, gefragt zu werden. Je stärker sie sich gibt, desto schwächer wird sie. Verletzlich. Ich glaube, dass sie nicht allein sein kann. Zumindest fällt es ihr schwer, allein zu sein. Sie mag’s, Leute um sich zu haben, sofern es ihr gelingt, sich dabei unsichtbar zu machen. Sie beobachtet – genau wie ich. Interessiert sich, ignoriert nicht. Aber sie würde gern weniger sehen, einfach blind durchs Leben laufen. Mal fünf gerade sein lassen. Sich um nichts und niemanden sorgen. Sie hört mir aufmerksam zu. Ernst. Sehr ernst. Es bewegt sie zwar, was ich von mir erzähle, aber es berührt sie nicht. Verbirgt sich Kälte dahinter? Oder Schutz? Kälte, um sich zu schützen? Wann und wodurch trifft man sie? Gibt es einen Punkt, an dem sie ausbricht? Zerbricht? Welche Situationen oder Schicksalsschläge verbindet sie mit sich selbst und ihrer Vergangenheit? Was macht sie weich, lässt hinter die Fassade blicken? Ich weiß nicht, ob ich’s jemals herausfinden werde. Ob es überhaupt jemand schaffen kann. Und was nötig ist, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Gespräche allein sind es nicht ...

      Einer dieser Arschlochtage ...

      15. September 2015 ... So ein Tag, an dem in mir langsam eine Zündschnur abbrennt und ich darauf warte, dass die Bombe explodiert. Wenn sie’s doch nur täte ... Stattdessen implodiert sie in meinem Körper. Dumpf, lautlos, ohne Beben, ohne Aufmerksamkeit zu erwecken. Dieses trockene Schlucken, das aufgesetzte Lächeln, die unterdrückten Tränen. Es war kaum auszuhalten, meinen Kollegen gegenüber freundlich und höflich zu bleiben, während sich mein Magen vor Schmerzen zusammenzog, die Galle hoch zum Hals stieg und ich mich selbst auf allen vieren visualisierte – erschöpft vorankriechend, mit den Zähnen knirschend ... Die Stunden und Gespräche fanden und fanden kein Ende. Das Gerede sprengte meinen Schädel, Nacken und Kiefer verspannten sich. Zu gern hätte ich geschrien, sie sollen aufhören, mich mit ihrem Gefasel zu belagern und mit ihren fröhlichen Fratzen anzustarren. Ungeduldig glotzte ich zwischen Uhr und Ausgang abwechselnd hin und her. Ich fragte zweimal, ob es noch etwas zu tun gebe, aber alle Aufgaben waren erledigt. Warum durfte ich dann nicht gehen? Wozu diese freizeitliche Unterhaltung, wo ich nichts mehr ersehnte, als endlich erlöst und allein zu sein? Ich weinte unkontrolliert in mich hinein. Nur meine Lippen funktionierten. Formten die Mundwinkel weiterhin nach oben und täuschten so eine perfekte Sonnenfassade vor. Ich versuchte, den Auslöser für diesen Ausbruch zu finden. Vielleicht hatte es gestern angefangen, weil ich wieder nicht umhingekommen war, meiner altbekannten Gewohnheit den Rücken zuzukehren. Triumphierend schwamm das Ausgekotzte in der Kloschüssel und bejubelte meine Niederlage, als ich enttäuscht und verbittert die Spülung betätigte. Die Vorwürfe gegen mich beherrschten Träume und Gedanken, hielten bis heut’ früh