Nina Heick

REISE OHNE ZIEL


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und ‚Mümmelmannsberg‘ laufen. Vorbei an jenen bedrohlichen Muskelpaketen, die in Adidas-Hosen wie Gorillas breitbeinig die Promenaden entlangrollen.“ Überkandidelt mimte ich affige Uh-Uh-Geräusche und kratzte mich unter den Achseln, um mein Schwarz-Weiß-Gefasel auszuschmücken. In mir knallten die Sicherungen durch. „Jenen drogendealenden Hartz-IV-Empfängern, die zu fünft im fetten Mercedes sitzen und mit laut aufgedrehter Musik um die Straßenecken rasen. Jenen, die nur in ihren ‚Clans‘ stark sind und auf die Schwachen losgehen. Jenen, die gereizt ‚Was glotzt du, Alda?‘ fauchen, wenn man sie ’ne Sekunde zu lang ansieht. Und jenen, die, um Mitleid zu erregen, vorgeben verkrüppelt, verstümmelt oder blind zu sein, ‚Bitte, bitte!‘ flehen, einen bei Nichtalmosengabe fremdsprachlich verfluchen und sich dann in den frühen Morgenstunden quietschfidel Geld zählend in versammelter Bande tummeln. Mein russischer Kumpel – ein Sozialarbeiter übrigens – nennt sie die Krückstockmafia. Demnach ist er auch ‚rechts‘, oder?“ Atemzug. Stille. Außer sich motzte Carolin: „Unerhört ...! Das kann nicht dein Ernst sein, Victoria! Du laberst eindeutig Pediga-Scheiße! Positionen wie deine sind schuld daran, dass Flüchtlingslager abfackeln!“ „Und das aus deinem Munde ...“, schrillte ich zurück – mich selbst dabei beobachtend, wie sehr ich auf Zinne immer mehr meine Beherrschung verlor. „Wer hat mir denn diesen ganzen Schlamassel eingebrockt, hä? Das ist Verrat! Ich dachte, du kennst mich ... Mir ging’s nie darum, Religionsfreiheit oder Refugees welcome zu verneinen, sondern um das schändliche Verhalten einem schutzlos ausgelieferten Knirps gegenüber, das weder die Busfahrgäste noch euch interessierte! Was machtet ihr daraus? Eine Diskussion über Fremdenhass, auf die ich schön dämlich einstieg, indem ich mir erlaubte, mich skeptisch zu der absoluten Minderheit jahrelang eingesessener und in Deutschland geborener Nicht-Integrierter zu äußern. Was von dir, liebe Caro, so hingedreht wird, als würde ich applaudieren, wenn zigtausende Geflüchtete im Ozean ersaufen! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!!“ Tuschelndes Köppe-Zusammenstecken. Rumpeln. Plötzlich rannten sie im verbalen Sinne wie eine Herde wild gewordener Kühe auf mich und meine Leute los, die, als sie sich zu mir bekannten, gleichermaßen in die Enge getrieben und zu Brei niedergetrampelt wurden. Ihr eingeschüchterter Anblick erinnerte mich an das Bild mit dem erstarrten Kaninchen vor dem aufgerissenen Maul der Schlange. Das fand ich echt nicht mehr lustig, vor allem aber äußerst verwunderlich. Vom Beschützerinstinkt geleitet schaufelte ich – im Vergessen meines eigenen Bibberns – alle gesammelte Wut zu einem Baggerhaufen zusammen und kippte ihn kaltblütig auf meine Kommilitonen. „Erbärmlich, dass ihr mich beziehungsweise uns tadelt – ohne euer Verhalten mal in Frage zu stellen. Natürlich hätte ich mir ein anderes Wort für ‚Kopftuchalte‘ einfallen lassen sollen. Aber was ihr hier macht, ist schlichtweg Mobbing und alles andere als sozial. In emotionaler Aufruhr hab ich only one time mit ’nem Ausdruck danebengegriffen, und ihr schließt daraus gleich auf mein Wesen, setzt mich wie eine Schwerstverbrecherin auf die Anklagebank. Mich kotzt eure selbstgerechte Art an! Ihr meint wohl, ethisches Wissen mit Löffeln gefressen zu haben und die Welt retten zu können, feiert euren heuchlerischen Idealismus aber lediglich theoretisch in irgendwelchen Netzwerken ab. Mich interessiert ja mal, wie ihr den herausfordernden Beruf, von dem ihr offensichtlich glaubt, er sei der richtige für euch, mit dieser Rosa-roten-Brille und Asozialität meistern wollt!“ Ich wurde angeglubscht wie von aufgescheuchten Straußvögeln, die ihr Gefieder plusterten und die Schnäbel aufsperrten. Ich kapiere nicht, worum’s gehe, hieß es. Man sei verunsichert, wie man mir künftig begegnen solle. Ich könne froh und dankbar sein, dass es mich nicht so hart getroffen hätte, dass ich die Hochschule nicht mehr zu betreten wagen würde. In einer anderen Klasse wäre ich definitiv weniger glimpflich davongekommen; immerhin werde sich darum bemüht, dass mein Verhalten keine größeren Kreise ziehe. Sehr lobenswert ... Sollte das ein Freibrief für diese Marter sein? Fazit: Ich blieb stur, die Mehrheit „gewann“ und meine Freundschaft zu Carolin zerbrach. „Findest du mich rassistisch?“, fragte ich meinen Kumpel Mohamed. „Du und rassistisch?“ Er lachte, fuhr mit den Fingern durch die Pomadesträhnen und legte seine dunkelbehaarten Arme um meine Schultern. „Würd’ ich dann noch hier sitzen? Und warst du nicht mit Partnern unterschiedlichster Nationalitäten zusammen? Du hast zwar ’ne Kotterschnauze, aber rassistisch biste ganz bestimmt nich’! Zieh dir die Schleiereulenstory nich’ so rein, Vic! Pfeif drauf!“ „Ich kann nich’ drauf pfeifen, Mo! Weil ich da echt Tag und Nacht drüber nachdenke. Ich verharre auf’m Abstellgleis! Am liebsten würde ich nicht mehr in die Hochschule gehen – so kannibalisch is’ das. Kannst du denn als Pädagoge wenigstens meine Differenzierung von Recht und Unrecht verstehen?“ „Klare Sache“, nickte er und hielt kurz inne – an seinem Schnäuzer zwirbelnd. „Es geht nicht um angepasste Türken wie mich, sondern um Kanacken, die einerseits unseren Staat und die westlichen Werte ablehnen, andererseits Sozialgelder kassieren.“ „Ähm ... Drastisch formuliert. Auch, ja. Ich spreche mich aber nicht gegen irgendeine Rasse aus. Ich meine diese unangenehm auffallende Männerschar, die nicht selten am Steindamm – in der Nähe des Straßenstrichs – herumlungert, und an der ich vor einer Weile vorbeikam. Lüstern geiernd, mit ’nem Hauch ironischen Untertons machte mir einer von ihnen das Kompliment, dass ich sehr hübsch sei – gefolgt von hämischem Gelächter. Diese „nette“ Geste erwiderte ich mit einem freundlichen Zwinkern, woraufhin man mir ‚Verpiss dich, du verfickte Lesbe, du hässliche Lesbe!‘ hinterherrief. Muss ich so was runterschlucken, bloß um als Gutmensch dazustehen?“ „Natürlich nicht!“, quittierte Mo ernst, ehe er klatschend losprustete: „Mit der Raspelfrise siehste allerdings tatsächlich aus wie ’ne Lesbe. Lass ma’ wachsen!“

      Knappe Stellungnahme gefällig?

      18. DezemberMonate des Wirbels, der Bedrängnis, des Bangens, der Belastung, Selbstzweifel und Vereinzelung – sieben, um genau zu sein, die ich meine Gedankenbrut mental in der Gefängniszelle aussaß. Einem unterirdischen Verlies der Finsternis zwischen Stahl und Mauern – ohne Vor und Zurück. Mit kleinem, vergittertem Luk, durch das keine Prise Sonne flutete. Bis mir endlich der Ausbruch gelang und ich mich traute, die illustrierten, unzensierten, gemischten Gefühle aus Reue und Groll in meiner Praktikumsstelle zur Sprache zu bringen. Meine Kollegin empfand den Vorfall und wie mit diesem umgegangen wurde als hochgradig überspitzt und albern. Sie fing zornig zu protestieren an, dass die hart erkämpfte Emanzipation der Frauen durch die Verschleierung zunichtegemacht werde.Aber nein. Das Thema ist viel umfangreicher. So umfangreich, dass ich es jetzt nur anschneiden will – in einer energischen, rauen Sachlichkeit, die meinem Selbstschutz und der Abgrenzung dient und daher kaum Platz für Feinheit gewährt. Dabei hätte es inhaltlich eine detaillierte Ausführung von mehreren hundert Seiten verdient, weil’s ohnehin Vorurteile und falsche Schlussfolgerungen schürt, was innerhalb eines kurzen Abrisses nicht zu lösen sein wird. Ich bin keine Islam- oder Politikwissenschaftlerin. Nicht zuletzt deshalb fällt es mir überaus schwer, darüber zu schreiben. Trotzdem schlaucht mich diese Brisanz unermesslich. Bisweilen zermürbte sie mich sogar so arg, dass ich mich intensiv mit dem Koran, religiösem Fundamentalismus und den Pegida-Rassisten beschäftigte, denen ich zuvor kaum Beachtung geschenkt hatte, da ich nicht wusste, wer konkret sich hinter ihnen verbirgt, und tatsächlich glaubte, es handele sich um harmlose Demonstranten, die an eine mir nachvollziehbare, kontrollierte Zuwanderung appellieren.Erst seit der Debatte um die Flüchtlingskrise wird deutlich, wie sich Gesellschaft und Politik spalten, wie leichtfertig Lob, Tadel und Etikettierungen über die Lippen gehen, und wie sehr man darauf achten muss, was man wie von sich gibt.Im Gegensatz zu einigen anderen EU-Staaten beweist Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine überaus hohe Bereitschaft. Allerdings steigt die Zahl der Migranten langsam derart krass, dass es vielerorts zu Überforderung und zum Zank um gerechte Verteilung kommt.Während ein Teil der Bürger bezweifelt, dass man den Überblick behalten und die Massen bewältigen kann, oder sich um knappe Kita-Plätze und überfüllte Schulklassen sorgt, stürzt sich der andere Teil in ehrenamtliche Mithilfe und schließt sich Merkels Meinung Wir schaffen das an.Gleichzeitig aber dürfen die Ängste etlicher nicht totgeschwiegen werden. Denn spätestens im eigenen Erleben hat Toleranz Grenzen. Und es ist eben nicht nur Aufgabe der Politiker oder