Zivilisation sogar an diesem entlegenen Ort in der Wildnis zu finden. Geröstete Erdnüsse stand in roter Schrift auf einer Dose, deren silbernes Blech das Sonnenlicht spiegelte. Samuel Fielding nahm die Dose auf, kniff die Augen zusammen und wandte sich dem Meer zu. Das erste, was seine verwunderten Augen wahrnahmen, war der Abfallkorb aus Draht an der geteerten Straße, die auf eine Anhöhe zulief. Keuchend schleppte Samuel Fielding sich bis zu jenem erhöhten Punkt im Gelände, von wo aus er die ganze Landschaft überblicken konnte -----: Strandkörbe, Sonnenschirme, gebräunte Rücken, prallvolle Bäuche, ölig glänzende Beine, Köpfe - Menschengewühl, Radiogedudel, Hotels, Bars ... Er erkannte, auf welchen simplen bösen Schwindel er hereingefallen war, als er das am Strand stehende Schild sah, auf dem in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund MALLORCA zu lesen stand ...
Von all jenen hoffnungsfrohen Menschen, die sich auf den weiten Weg machten, um Samuel Fielding nach dem segensreichen ACROLLAM zu folgen, traf ihn niemand unter den dort Lebenden. In den behördlichen Protokollen der Polizei wurde wiederholt von einem ewig betrunkenen Querulanten berichtet, der harmlose Touristen beschimpfte, belästigte oder gar mit einer rostigen Schrotflinte bedrohte, einem nörgelnden Besserwisser und Schwätzer, den man bald als öffentliches Ärgernis betrachtete. Touristen erzählten ebenfalls von einem betrunkenen weißhaarigen Greis am Strand von Mallorca, dessen verdrossener Gesang immer wieder den Zorn der zuständigen Ordnungshüter erregte:
My money is over the ocean!
My money is over the see!
O bring back my money to me!
Findige Strandräuber, die die kompositorische Substanz des Liedes erkannten, machten daraus eine Schnulze, die heute die ganze Welt erobert hat und inzwischen den Rang eines unsterblichen Volksliedes besitzt.
Alle weiteren Nachforschungen über das Schicksal Samuel Fieldings verliefen im Sande. Sein Lied ist das letzte Lebenszeichen, das der bewunderte Gelehrte uns hinterlassen hat. - Wir, die Zurückgebliebenen, deren Träume von einem glücklichen Leben auf ACROLLAM sich zerschlagen haben, erinnern uns mit Wehmut an Samuel Fielding, den genialen Weltverbesserer und an seinen schmerzvollen Gesang, in dessen Melodie die Sehnsucht nach einer schöneren und besseren Welt für alle Zeiten lebendig bleibt.
DER FLIEGENFÄNGER VON SALIMA
Eine Lagerfeuer-Geschichte
In der Schule der Besten spielte ich seit meinem Eintritt eine außerordentliche Rolle, denn ich, Ali Abbas III., Sohn des Sultans von Salima, genoss die angenehmen Vorrechte eines ehrenwerten Mitglieds der Königlichen Familie.
Ich muss zugeben: Meine Leistungen als Schüler des Internats waren eher mäßig, oft sogar kümmerlich, doch erhielt ich stets die höchstmöglichen Noten, erntete viel Lob und war der Liebling aller Lehrer. Von Geburt an hatte man mich zum Herren erzogen und in dem Bewusstsein bestärkt, naturgemäß zum geistigen und körperlichen Adel unseres schönen Landes zu gehören. Meine Lehrer verstummten ehrfürchtig, wenn sie mich zu langweilen begannen; oft kuschten sie vor mir und waren eifrig bemüht, mein Wohlwollen zu erlangen. Auch meine Mitschüler kannten das Gebot der Schulordnung, mir, einem Mitglied des Königshauses, mit Hochachtung zu begegnen und es niemals an gebührendem Respekt fehlen zu lassen. So wurde ich erwartungsgemäß in jedem Jahr Klassenbester mit Auszeichnung, siegte in allen sportlichen Wettkämpfen und durfte unter anhaltendem Beifall meiner Schulkameraden regelmäßig das Siegerpodest besteigen, um die Ehrenurkunde vom Direktor des Internats in Empfang zu nehmen.
Wenn es einmal zum Streit mit einem Mitschüler kam, besaß ich einen deutlichen Vorteil, nämlich das gesetzlich verbriefte Recht des ersten Schlages, das etwaigen Widersachern bei Androhung der Todesstrafe strikt untersagte, sich zu wehren. Ich konnte jeden Klassenkameraden zusammenzuschlagen, wenn es mir gefiel, doch war ich eher schwächlich gebaut, sodass ich häufiger Ohrfeigen oder Fußtritte an Altersgenossen verteilte, die meinen Unmut erregten. Wollte ein Schüler mich ansprechen, musste er üblicherweise demutsvoll das Haupt beugen und den Blick senken. Noch zu Jugendzeiten meines Vaters war es Sitte gewesen, dass Mitschüler sich vor einer Unterredung mit einem Mitglied unserer Familie auf den Boden zu seinen Füssen werfen mussten, jedoch war diese Erscheinungsform der Ehrerbietung im Laufe der Zeit aus der Mode gekommen und wurde nur noch bei Festlichkeiten am Hofe praktiziert.
Auch Macuthee, der Sohn eines Fischers aus Mescana, besuchte die Schule der Besten. Er erregte meinen Zorn wiederholt, denn er sprach mich nicht mit »Hoheit« an, beugte weder sein Haupt, noch senkte er den Blick. Er überholte mich im 100-Meter-Lauf und erreichte fünf Sekunden vor mir - zum Entsetzen aller Lehrer - die weiße Ziellinie. Ein Jubelschrei aus einhundert Kehlen hallte über den Sportplatz, doch schon im nächsten Moment verstummten die zuschauenden Mitschüler, als sie die Ungeheuerlichkeit dieses Ereignisses begriffen.
Macuthee hielt sich nicht an die Regeln, die die Obrigkeit für die Besten aufgestellt hatte. Eine Zeit lang beobachtete ich den sonderbaren Fischersohn, dessen Gebaren weder auf übertriebenen Stolz noch auf eine provozierende Absicht schließen ließ. Ich war in der Tat ein wenig irritiert. Man munkelte über ihn, er lese viele Bücher, auch ausländische, die offiziell als verboten galten. Nur den Besten war es erlaubt, derlei Literatur aus der Bibliothek auszuleihen, nachdem ein entsprechender Antrag am Ende eines langwierigen Genehmigungsverfahrens abgesegnet worden war. Das Gesetz, welches den Besten das Ausleihen der Bücher ermöglichte, stammte noch aus der Zeit meines Großvaters und war aus Gründen der Traditionspflege beibehalten worden. Macuthee reichte beinahe wöchentlich eine Liste mit fünf, zehn, oft sogar fünfzehn Büchern beim Bibliothekar ein und versorgte sich wissensdurstig mit Lesestoff, was meinen Unwillen ebenfalls erregte. Ich nahm Einblick in die Zeugnisse Macuthees und erfuhr: Er war ein vielfältig begabter, jedoch zugleich recht einfältig gearteter Sohn armer Leute von der Küste. Wenn seine Noten auch die besten waren und die Empfehlungsschreiben hinterwäldlerischer Dorfschullehrer in den höchsten Tönen von einer »förderungswürdigen Begabung« sprachen, mangelte es diesem Burschen, der so alt war wie ich, erheblich an Respekt vor einem bedeutenden Mitglied der Königlichen Familie.
Eines Nachmittags saß Macuthee im Schatten des Mangobaumes am See und las in einem Band Heinrich von Kleists. Es ärgerte mich, weil er wieder einen deutschen Dichter las. Im Unterricht hatte er einen Lehrer in Erstaunen versetzt, als er den Faust auswendig aufsagen konnte. Ich ging also - während die Augen der anderen Schüler mich furchtsam verfolgten - zum Mangobaum und schnalzte mit den Fingern. Macuthee blickte aus dem Buch auf, lächelte mich an, und las ruhig weiter. Ich schnalzte noch einmal mit den Fingern, diesmal etwas ungehaltener, und machte, als er zu mir herübersah, eine läppische Handbewegung, der unzweideutig zu entnehmen war, er solle sich gefälligst entfernen - und zwar hurtig. Er reagierte aber nicht auf diesen Wink. Also musste ich deutlicher werden. Auf diesem Platz unter dem Mangobaum, so erklärte ich ihm mit schwindender Geduld, hätte ich vor einiger Zeit gesessen und einen Pfirsich gegessen; dieser schöne Ort sei mein Ort. Jetzt endlich begriff Macuthee. Er blätterte eine Seite des Buches um und sagte mit einem ironischen Lächeln etwas zu mir, das ich wohl nie im Leben vergessen werde, weil es sich mir unauslöschlich ins Bewusstsein brannte - er sagte nämlich »Weggegangen - Platz vergangen!«
Ich trat näher an ihn heran und ohrfeigte ihn. Er war sichtlich überrascht. Ich ohrfeigte ihn nochmals. Er rührte sich nicht vom Fleck. Im Augenwinkel sah ich meine Mitschüler, die aus sicherer Entfernung dieses kleine Exempel, das ich zu statuieren gedachte, beobachteten. Langsam, sehr langsam ließ Macuthee das Buch sinken, steckte ein Lesezeichen hinein und klappte es nachdenklich zu. Er hatte verstanden: Dies war kein Ort für höhere Literatur. Warum lief er nicht sogleich davon? - Ich holte aus, um ihm einen gezielten Fußtritt zu geben, aber er hielt meinen rechten Fuß mit der linken Hand fest, hob ihn in die Höhe, wobei ich das Gleichgewicht verlor und rückwärts in den See