in den Büchern der Bibliothek zu lesen, da die meisten ohnehin Analphabeten waren, doch erließ Matcho Nolo vorsorglich auf meinen Befehl hin einen zusätzlichen Paragraphen in der Palastordnung, der die öffentliche Auspeitschung als Strafe bei Missachtung vorsah. Nur einmal beobachteten wir, wie Macuthee einen schweren Lederband, der einige Zentimeter im Regal überstand, zurückschob in seine vorgeschriebene Position.
»Soll ich ihn festnehmen lassen?«, fragte mich Matcho Nolo aufgeregt.
»Abwarten!«, befahl ich in der Hoffnung, Macuthee werde die Palastordnung missachten und einen Band herausnehmen. - Entweder war er geschickter als wir annahmen, oder er interessierte sich nicht mehr für die verbotenen Bücher, die ihm, einem Gebildeten, wie eine unwiderstehliche Versuchung erscheinen mussten.
Sehr bald fanden wir den Grund seines plötzlichen Desinteresses heraus. Umgeben von wohlduftenden Mädchen in wehenden Gewändern, die jeden Tag in einem Vorhof der Bibliothek für fotografierende Touristen tanzten, ließ Macuthee die Bücher Bücher sein und hatte nur noch Augen für Delila, eine blutjunge Tänzerin, die durch ihre Anmut und Grazie das Entzücken aller Besucher hervorrief. Geblendet von der Schönheit Delilas, vernachlässigte Macuthee zeitweilig seinen Dienst, versank in Tagträumereien, irrte verstört mit seiner Fliegenklappe durch die langen Bücherregalreihen, verzehrte sich vor heimlicher Liebe zu ihr, die, wie von einer magischen Kraft beherrscht, immer öfter seine Nähe suchte. Sobald sie ihn bemerkte, begannen ihre Augen unter dem Schleier zu funkeln, ich beobachtete es ganz deutlich. Mit Blicken freundeten sich die beiden an, umarmten sich und sagten mit den Augen Unsagbares, das hier am Hofe strikt untersagt war.
Eines Tages, während einer Vorführpause, zog Delila einen farbigen Bildband über Venedig aus einer langen Bücherreihe und blätterte darin, scheinbar wissbegierig, während sich Macuthee in seiner Fliegenfängeruniform unauffällig näherte. Gebannt sahen Matcho Nolo und ich am Bildschirm diese unabwendbare Begegnung zweier Liebender. Ich erhöhte die Lautstärke am Regler des Monitors, um jedes Wort, das sie miteinander wechseln würden, hören zu können.
»Das ist die Seufzerbrücke«, hörte ich Macuthee sagen. Zwischen ihnen bestand bereits eine gewisse Vertrautheit.
»Wie belesen du bist!«, sagte das Mädchen. »Warum heißt sie denn Seufzerbrücke?«
»Das weiß doch jedes Kind«, antwortete Macuthee.
»Nun«, sagte Delila, »ich weiß es nicht. - Außerdem«, fügte sie mit einem verliebten weiblichen Unterton hinzu, »bin ich kein Kind mehr!«
Das stimmte. Sie war ein schönes Mädchen und blickte ihn mit verführerischen Augen an, die mich daran erinnerten, dass ich selbst in den Angelegenheiten der Liebe noch ein recht unbeschriebenes Blatt war.
Macuthee flüsterte: »Wenn die Gefangenen über die Brücke ins gegenüberliegende Gefängnis geführt wurden, warfen sie einen letzten Blick auf das Wasser und die Stadt und seufzten über die verlorene Freiheit.«
»Stimmt das?«, fragte ich Matcho Nolo, der die Achseln zuckte und einen Finger in den Mund steckte.
»Verzeiht, Hoheit«, stammelte er verlegen, »ich bin ein Unwissender.«
Es ärgerte mich, weil er, der immerhin das hohe Staatsamt des Ministers für alles Mögliche bekleidete, nicht einmal diese simple Frage beantworten konnte.
»Nachprüfen!«, befahl ich ihm.
Es war, als hätte meine erregte Stimme die beiden Liebenden draußen in der kathedralenartigen Bibliothek gewarnt, denn sie trennten sich mit eiligen Schritten voneinander und verschwanden in einem Seitengang, der von keiner Kamera überwacht wurde.
»Stimmt alles haargenau, Hoheit!«, meldete Matcho Nolo mir nach einer Stunde triumphierend. »Sollen wir sie festnehmen lassen?«
Dass die beiden miteinander gesprochen hatten, war nur ein geringfügiges Vergehen und hätte Macuthee allenfalls zwanzig Stockschläge auf die nackten Fußsohlen eingebracht - daher sagte ich nur: »Abwarten!«
»Wie Eure Hoheit befehlen!«
Die folgenden Tage brachten eine merkwürdige Veränderung der Lage, denn Vater hatte auf dunkelhaften Wegen, möglicherweise durch den Brief eines empörten Dorflehrers aus der Provinz, von der Belesenheit des Fischersohnes aus Mescana gehört, ließ ihn wiederholt zu sich kommen und führte lange Gespräche mit ihm, über die am Hofe nur schwätzerhafte Gerüchte kursierten. Allmählich drangen Einzelheiten jener Unterredungen an die Öffentlichkeit, die Matcho Nolo und ich in verschwörerischem Beisammensein miteinander besprachen. Es erschien uns höchst sonderbar, ja, befremdlich, als wir erfuhren, Vater habe einem einfachen Fliegenfänger sein Leid darüber geklagt, umgeben zu sein von unfähigen, schläfrigen und korrupten Beamten. Macuthee solle dem Sultan von Salima eine Reihe dubioser Verbesserungsvorschläge für die Amtsführung unterbreitet haben, die mit einer Revolution gleichzusetzen seien: Durch die Einführung von sogenannten Notstandsgesetzen sei es möglich, binnen eines einzigen Jahres zu einem perfekt organisierten, rasch und effektiv arbeitenden Beamtenwesen in Salima zu gelangen. Die Prügelstrafe für korrupte Beamte sollte unter dem Gesetz Wer nicht hören will, muss fühlen! eingeführt werden. Schläfrigen Staatsdienern sollte der Beförderungsstop drohen: Wer rostet, der rastet! Der Beginn der Arbeitszeit, im Behördenapparat bisher lax eingehalten, sollte festgelegt werden mit dem neuen Gesetz Morgenstund hat Gold im Mund! Die Liste der einzuführenden Notstandsgesetze war sehr lang und umfasste auch andere gesellschaftliche Bereiche; sie endete mit eine Aufhebung des Gesetzes, das die verbotenen Bücher nur den Besten erlaubte sowie mit der Einrichtung öffentlicher Bibliotheken für jedermann - : unvorstellbar, denn Bücher galten als verwerflich, gerade dann, wenn sie die fragwürdigen Weisheiten ausländischer Kulturkreise beinhalteten - so lauteten die überlieferten Gebote unserer Vorfahren. Es interessierte mich, wie Vater auf diese Vorschläge reagiert hatte oder noch reagieren würde.
Einige Tage geschah nichts Nennenswertes bei Hofe. Matcho Nolo und ich glaubten, alle Gerüchte über den Inhalt jener Gespräche zwischen meinem Vater und Macuthee seinen möglicherweise nichts als leeres Gerede, da der Fliegenfänger - wie bisher - seinen Dienst zu verrichten begann.
»Sollen wir ihn weiter beobachten?«, fragte Matcho Nolo.
»Dranbleiben!«, befahl ich.
Tatsächlich ereignete sich noch am selben Abend etwas für Macuthee Belastendes, das der Minister für alles Mögliche und ich gebannt am Bildschirm verfolgten: Es war ein heimliches Gespräch zwischen Macuthee und Delila, das sie neben einer Marmorsäule führten, als sie sich unbeobachtet fühlten.
»Liebst du mich wirklich?«, fragte das Mädchen.
»Natürlich«, sagte Macuthee.»Warum fragst du?«
»Ich habe dich beobachtet. Du blickst auch den anderen Mädchen nach!«
»So, tue ich das?«
»Versuche nicht zu leugnen!«
»Na schön, ich gestehe reumütig.«
»Genüge ich dir denn nicht?«
»Du kannst Fragen stellen! Selbstverständlich genügst du mir.«
»Dann verstehe ich nicht, weshalb du den anderen Mädchen nachblickst.«
»Darin liegt keine böse Absicht«, versuchte Macuthee zu erklären.
»Was sonst?«
»Ein Mann, der einer Frau nachblickt, stellt lediglich theoretisch fest, was sie verspricht und was sie eventuell halten könnte. Das ist alles.«
Diese Antwort schien Delila zu befriedigen. Mir aber ließ sie keine Ruhe.
»Stimmt