Erhard Schümmelfeder

AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND


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du gehört, was mir vorgeworfen wird?«

      »Bin ja nicht taub.«

      »Sag mal, was hältst du von dieser Sache?«

      »Tracy heiße ich.«

      »Miller. Francis Miller.«

      »Der Autor von Die Ermordung meiner Frau«, tönte Tracy altklug.

      »Du hast doch nicht darin gelesen?«, fragte Mr. Miller erstaunt.

      »Nein. Aber meine Tante Betty. Sitzt zwei Rei­hen hinter uns.«

      »Und woher kennst du mich?«

      »Nur von dem Foto auf dem Buchumschlag.«

      »Aha. - Du, Tracy, ich stecke in der Klemme.«

      »Kann ich mir denken.«

      Zweitausend Fuß über dem Meer, an der Seite ei­nes sommersprossigen Verbündeten, dem er alles zu­traute, begriff Mr. Miller augenblick­lich, er müsse das Beste aus dieser vertrackten Lage machen.

      »Was jetzt?«, flüsterte er.

      »Keine Ahnung«, sagte der Junge unternehmungs­lustig.

      »Weißt du, was mich erwartet, wenn man mich in New York untersucht?«

      »Der elektrische Stuhl?«

      »Tracy, mach keine Witze. Ich frage dich als Mann: Bist du bereit, einem Leidensgenossen in einer schwie­rigen Lebenslage beizustehen?«

      »Kommt darauf an.«

      »Was heißt das?«

      »Nun, es muss für mich etwas dabei herausspringen.«

      »Guter Junge. Hast Recht. Im Leben gibt es nichts umsonst. - Aus dir wird mal ein tüchtiger Geschäftsmann«, musste Mr. Miller anerkennen.

      »Irrtum! Ich werde entweder ein Baseballspie­ler oder Detektiv.«

      »Lass uns ernst bleiben, Junge.«

      »Okay.«

      »Ich denke, es ist an der Zeit, einen Schlacht­plan zu entwerfen.«

      »Okay. Aber viel Zeit bleibt uns nicht bis zur Landung«, flü­sterte Tracy.

      »Brauchen wir auch nicht.«

      »Was hast du vor?«

      »Also, pass auf! Die Dame nebenan beobachtet mich, wie du siehst.«

      »Würde ich an ihrer Stelle auch tun.«

      »Du bittest mich jetzt laut und deutlich um die Zeit­schrift, ja?«

      »Ich kann aber nicht Deutsch lesen.«

      »Das dürfte wohl kaum eine Rolle spielen, Junge. - Du nimmst sie in beide Hände, hältst sie dir schräg vors Ge­sicht und blätterst darin. Hast du mich verstan­den?«

      »Na klar.«

      »Du schirmst mich ein klein wenig ab vor den Blic­ken der Dame, während ich auf den Knien einen kur­zen Brief schreibe. Okay?«

      »Schon verstanden.«

      »Dann los!«

      »Äh, Sir! Dürfte ich bitte Ihr Magazin lesen?« frag­te Tracy aufgeweckt.

      »Gern, Junge. Hier - Lesen bildet.«

      »Gut so?«

      »Sei still und lies.«

      Diesen Jungen mochte ihm der Himmel geschickt haben. Während die Dame auf der gegenüberlie­genden Seite des Ganges missgelaunt in einer abge­griffenen Ausgabe des Readers Di­gest blätterte, fand Mr. Miller in seiner Innenta­sche einen bereits ein­mal benutzten Briefum­schlag, auf dem er seinen Namen stehen ließ, die deutsche Anschrift aber sorgfältig durchstrich und die Adresse seines New Yorker Hotels ein­setzte.

      »Fertig?«, fragte Tracy ungeduldig.

      »Gleich. Nur noch einen Moment.«

      Er verschloss den Umschlag umständlich, in­dem er die Klebelinie an der Innenseite leicht befeuchtete und dann mit den Fingern gegen die trockene Seite presste.

      »Jetzt fertig?«

      »So gut wie. Hör zu! Ich stecke dir jetzt den Brief in die Seitentasche deiner Jacke.«

      »Hm.«

      »So - - -. Blättere noch ein wenig in dem Maga­zin. Ich erkläre dir, wie es weitergeht.«

      »Da bin ich aber neugierig.«

      »Tracy, du hilfst mir aus der Patsche, wenn du den Brief gleich nach der Landung frankierst und zum nächsten Postamt bringst.«

      »Alles klar, Chef.«

      »Der Brief sollte per Eilboten verschickt wer­den. Ich weiß nicht, wie teuer das Porto ist. Ich meine, zehn Dollar dürften reichen.«

      »Dicke!«

      »Der Rest ist natürlich für dich.«

      »Nur der Rest?«

      »Ich gebe dir noch mal zehn Dollar.«

      »Die reichen aber nicht«, gab der Junge zu bedenken.

      »Warum nicht?«

      »Ich dachte an hundert Dollar.«

      »Hundert?«

      Diesmal kniff der Rotschopf sein linkes Auge zu und beobachtete aufmerk­sam Mr. Mil­lers Reaktion.

      Mr. Miller seufzte. »Tracy, du hast mich in der Hand.«

      »Das weiß ich, Mann.«

      »Okay, okay, du Schlitzohr. - Hier, ich gebe dir, was dir zusteht: - - - - - achtzig, neun­zig, hundert Dol­lar. Die Tasche ist voll mit Scheinen.«

      »Gut.«

      »Dann sind wir uns einig?«

      »Noch nicht ganz.«

      Mr. Miller schob seinen Hut ein Stück nach oben. Seine sorgenkrause Stirn wurde sichtbar. »Hast du noch mehr Forderungen?«

      »Eine gebundene Ausgabe von Die Ermordung meiner Frau, mit Widmung.«

      »Tuts nicht auch ne Taschenbuch-Ausgabe, Junge?«

      »Gebunden oder gar keine. Meinem Freund Tracy Collins muss drinstehen.«

      »Sonst noch was?«

      »Datum und Unterschrift nicht vergessen.«

      »Gut, gut, Junge, ich erfülle alle Forderungen, wenn du mir nur aus der Schlinge hilfst.«

      »Ich dachte immer, du wärst Millionär.«

      »Das war ich mal. Allerdings - nur in italieni­scher Währung.«

      »Haha. - War Die Ermordung meiner Frau nicht ein Best­sel­ler?«

      »Bestseller! Hast du Illusionen vom Leben! Kannst du dir vorstellen, wie schmerzhaft es für einen Au­tor ist, wenn die Auflagenhöhe Woche für Woche sinkt?«

      »Musst halt ein neues Buch schreiben.«

      »Ja, wenn das so einfach wäre. - Und wovon lebe ich, bis es fertig ist?«

      »Fürs erste haste ja vorgesorgt.«

      »Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie, sich an­zuschnallen! In Kürze landen wir auf dem Flugha­fen New York ...«

      Gelassen sah Mr. Miller nach der Landung der Un­tersuchung durch den Beamten entgegen. - - - Gelas­sen hörte er die stereotypen Entschuldigungen, die ei­nen groben Kontrast zu den nach wie vor em­pörten Blicken jener gewichtigen Dame bildeten, de­ren Name Martha Davis war.

      Im Durcheinander des Flughafenbetriebes hatte Mr. Miller Tracy aus den Augen verloren, nachdem sie aus dem Bus gestiegen waren. Seine Hoffnung,