Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


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Soldaten an der Haustür meines Onkels. Er öffnete die Tür und die beiden jungen Engländer begrüßten ihn freundlich. Dann fragte einer der Beiden: “Do you have some eggs?“ Mein Onkel sprach platt- und hochdeutsch, aber die englische Sprache war ihm fremd. Er ging also in die Scheune, ohne genau zu wissen, was die beiden Soldaten von ihm wollten. Aber er hatte den Begriff „eggs“ vernommen. Dies hört sich so an, wie Axt. Also nahm er die große Axt und ging damit zurück zur Haustür. Als die Soldaten meinen „bewaffneten“ Onkel sahen, verfinsterten sich ihre Mienen schlagartig und sofort hatten sie ihre Maschinenpistolen im Anschlag. Doch als sie sahen, wie erschrocken ihr Gegenüber war, merkten sie sehr schnell, dass hier wohl ein Irrtum vorlag. Sie lachten, deuteten mit den Fingern die Form eines Eies an und zeigten auf die Hühner, die auf dem Hof herumliefen. Da begriff mein Onkel, was die Beiden von ihm wollten, war erleichtert und füllte einen Korb mit Eiern. Die Soldaten bedankten sich freundlich und mein Onkel wusste seitdem, wie man „Eier“ in England nennt. In den Karnevalshochburgen am Rhein ging man derweil mit dem Thema „Besatzungszonen“ gewohnt locker um. Die Kölner haben ja ohnehin Erfahrung mit Besatzungstruppen, denn sie mussten ja schon einmal jahrelang den ungebetenen Besuch von Napoleons Franzosen ertragen. So dauerte es nicht lange, bis man beim Karneval in Anspielung auf die drei westlichen Besatzungszonen sang: „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien….“ Als Kind habe ich mich gefragt, wo dieses Trizonesien wohl liegen mag. Den Sinn des Liedes habe ich erst später begriffen.

      Nachdem das gemeinsame Feindbild „Adolf Hitler und der Nationalsozialismus“ nicht mehr existierte, begegneten sich die Sowjetunion und die Westalliierten zusehends misstrauischer und steuerten ungebremst auf den „Kalten Krieg“ zu. Einer der größten Konfliktherde war dabei die ehemalige Reichshauptstadt Berlin, die als Vier-Sektoren-Stadt einen Sonderstaus besaß und inzwischen faktisch aus einem Ost- und einem Westteil bestand. Zwar hatten die Westalliierten, abgesehen von den Bahnanlagen und den S-Bahnzügen, die Hoheitsgewalt im Westteil der Stadt, aber Berlin liegt mitten in der damals von der Sowjetunion besetzten Zone und um vom Westen aus Berlin über die Straße, mit der Bahn oder auf dem Wasserweg zu erreichen, musste dieses Gebiet durchquert werden. Die Lage spitzte sich zu, als die Westalliierten ohne Abstimmung mit der Sowjetunion am 20. Juni 1948 in ihrem Besatzungsbereich eine Währungsreform durchführten und die mittlerweile nahezu wertlose Reichsmark durch die Deutsche Mark ersetzt wurde. Als die Westalliierten auch noch ankündigten, die D-Mark ebenfalls in ihren Berliner Sektoren einzuführen, reagierte die Sowjetunion empfindlich und massiv, indem sie sämtliche Land- und Wasserverbindungen zwischen den westlichen Besatzungszonen und Westberlin unterbrach. Offen blieben nur die Luftkorridore aus Richtung Hamburg, Hannover und Frankfurt am Main. Es mussten aber 2,2 Millionen Menschen, darunter 8.000 alliierte Soldaten und ihre Angehörigen von Westen aus versorgt werden. Die Sowjetunion wollte durch diese Blockade in erster Linie einen Rückzug der Westalliierten aus der ehemaligen Reichshauptstadt erreichen und ihren Anspruch auf das gesamte Berlin demonstrieren.

      Wie würden die Regierungen der Westmächte reagieren? Diese Frage wurde durchaus kontrovers diskutiert. Der amerikanische Militärgouverneur General L. D. Clay, sprach sich eindeutig für den Verbleib der Westmächte in Westberlin aus und ging sogar soweit, Harry S. Truman vorzuschlagen, mit einem bewaffneten Konvoi die Blockade zu durchbrechen. Dies jedoch lehnte der US-Präsident im Hinblick auf das damit verbundene Kriegsrisiko ab. Der britische Militärgouverneur Sir Brian Robertson war dagegen der Auffassung, dass sich die Sowjetunion mit der Blockade ideologisch diskreditiert hätte und eine deutliche antikommunistische Stimmung in Deutschland entstehen würde. In dieser Situation sah er die Chance, freie Wahlen in ganz Deutschland abhalten zu lassen, bei denen die sozialistischen Kräfte vermutlich als Verlierer hervorgehen würden. Der Robertson-Plan wurde aber nicht realisiert, weil er als zu riskant und undurchführbar angesehen wurde. So befahl General Clay am 25. Juni 1948 die Errichtung einer Luftbrücke, was bedeutete, dass die gesamte Versorgung der Westberliner Bevölkerung über den Luftkorridor erfolgen sollte. Bereits einen Tag später landete das erste Versorgungsflugzeug der Amerikaner auf dem Flughafen Tempelhof. Damit hatte die Operation „Vittles“ begonnen, an der sich auch die Briten beteiligten, die den Flughafen Gatow und mit Wasserflugzeugen die Havel als Landeplatz nutzten. Die Franzosen, die ebenfalls an dieser spektakulären Hilfsaktion teilnahmen, errichteten hierfür den Flughafen Tegel. Die Flugzeuge steuerten jedoch nicht nur die vorgesehenen Landeplätze an, sondern die wertvolle Fracht wurde teilweise auch direkt aus den Flugzeugen abgeworfen und schwebte an kleinen Fallschirmen auf die wartenden Menschen nieder. Nicht zuletzt deshalb wurden die an der Luftbrücke beteiligten Flugzeuge liebevoll „Rosinenbomber“ genannt. Während der Blockade machte Ernst Reuter, der damalige Oberbürgermeister Westberlins, den Bürgern Mut und rief ihnen in seinen Reden immer wieder zu, dass sie sich auf die Hilfe der Alliierten verlassen können, bis die Sowjetunion ihre Blockadehaltung aufgeben würde. Er wurde damit zum Symbol des Widerstandswillens der Berliner Bevölkerung und er sollte Recht behalten. Die sowjetische Führung musste eingestehen, dass die Westberliner sowie die Westalliierten nicht aufgeben würden und gab die Zufahrtswege am 12. Mai 1949 wieder frei. 78 Menschen, darunter acht Deutsche, kamen während der Luftbrücke durch Abstürze oder andere Unfälle ums Leben. Die Blockade aber war der erste große Höhepunkt des kalten Krieges. Auf der anderen Seite legte die Hilfsbereitschaft der Westalliierten den Grundstein für die spätere deutsch-amerikanische Freundschaft, sowie für die Aussöhnung mit Großbritannien und Frankreich. Ich habe eine Freundin, die aus Nigeria stammt und in Berlin-Neukölln wohnt. Immer wenn ich sie dort besuche, fahre ich mit der S-Bahn am altehrwürdigen Flughafen Tempelhof vorbei, der schon lange nicht mehr der zivilen Luftfahrt dient. Wenn ich dann aus dem Zugfenster das riesige Flugfeld und im Hintergrund das alte Flughafengebäude, sowie das 1951 in Gedenken an die Luftbrücke und ihrer Opfer errichtete Luftbrückendenkmal sehe, denke ich unwillkürlich an die Zeit der Blockade Berlins, also an ein Ereignis, das sich weit vor meiner eigenen Geburt zugetragen hat.

      4 Die Auferstehung

      Die meisten deutschen Städte lagen bei Kriegsende in Schutt und Asche. Von 16 Millionen Wohnungen in Deutschland waren durch die Kriegseinwirkungen etwa 25 Prozent total zerstört worden und ebenso viele stark beschädigt. Die Hälfte aller Schulgebäude konnte nicht mehr genutzt werden und 40 Prozent der Verkehrsanlagen war unbrauchbar. Doch es half kein Jammern, es musste weitergehen. Sofort sollte mit dem Wiederaufbau der Städte begonnen werden. Aber vor dem Wiederaufbau stand das Beseitigen von den Trümmern der zerbombten Gebäude. Das Problem dabei war, dass nur wenige männliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Viele Männer waren im Krieg gefallen oder als Kriegsgefangene gestorben, waren verwundet oder befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft. So waren es in erster Linie Frauen, die für die Beseitigung der Ruinen heran gezogen wurden. Die alliierten Besatzungsmächte hatten den Befehl herausgegeben, dass sich alle Frauen, die zwischen 15 und 50 Jahre alt waren, für diese Arbeit zu melden hatten. Man nannte sie die „Trümmerfrauen“. Aber nicht nur die aufgrund des Befehls der Alliierten verpflichteten Frauen, sondern auch Freiwillige beteiligten sich an der Trümmerbeseitigung, zumeist ohne schweres Gerät, nur mit den bloßen Händen. Nach und nach entstanden neue Häuser und Wohnungen, um den vielen Menschen eine neue Bleibe zu geben, die bis dahin in Notbehausungen oder überfüllten Zimmern leben mussten. Straßen und Brücken wurden repariert und auch die Bahnanlagen notdürftig geflickt, so dass auch der Personen- und Güterverkehr langsam seinen Betrieb wieder aufnehmen konnte.

      Ausgehend von den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vereinbarten die Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte sowie der deutschen Nachbarstaaten Niederlande, Belgien und Luxemburg auf der Londoner Sechsmächtekonferenz, in Westdeutschland einen Staat mit föderalistischer Ordnung zu errichten. Drei Bedingungen wurden für die Bildung der Länder gestellt:

       Die politisch-administrativen Strukturen sollten gemäß den Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens dezentralisiert und strikt von unten nach oben aufgebaut sein

       Preußen sollte nicht wieder hergestellt werden und

       Enklaven und Exklaven sollten nicht weiter bestehen

      Eine Besonderheit stellte das Saarland dar, das bis zum Jahr 1957 den Sonderstatus eines autonomen Landes mit wirtschaftlichem Anschluss an