Reinhard Warnke

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte


Скачать книгу

der Bundesländer im Bundesrat sollten die Länder maßgeblich am Gesetzgebungsverfahren in Westdeutschland beteiligt werden.

      Es ging nun um die Bildung einer angemessenen Zentralinstanz für die westdeutschen Länder. Da der Westzonen-Verfassung zunächst lediglich der Status eines Verfassungs-Provisoriums zugestanden werden sollte, einigten sich die Ministerpräsidenten der Länder und die Militärgouverneure der Westzonen auf die Namen „Parlamentarischer Rat“ anstatt „Verfassungsgebende Versammlung“ sowie „Grundgesetz“ anstatt „Verfassung“. 250 Tage haben Vertreter der westdeutschen Länder und der Westalliierten um das Grundgesetz und den Status der geplanten Republik gerungen. Neben der freiheitlichen und föderalistischen Grundordnung ging es bei der Gestaltung des Grundgesetzes auch darum, dass die Fehler, die in der Verfassung der Weimarer Republik zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie beigetragen haben, nicht wiederholt werden sollten. Dabei ging es insbesondere um die Einführung der „Fünf-Prozent-Klausel“, die verhindern soll, dass jede kleine und kleinste Partei in das Parlament einziehen kann. Auch dieser Parteienzersplitterung war es geschuldet, dass Adolf Hitler im Jahr 1933 mit einer Minderheitsregierung Reichskanzler werden und danach seine Macht ausbauen konnte.

      Am 23. Mai 1949 konnte das Grundgesetz in Kraft treten. Dies war die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Etwas merkwürdig kam die Festlegung der Bundeshauptstadt zustande, die im Prinzip nur als provisorischer Regierungssitz anzusehen war, da Berlin als Hauptstadt für den Fall feststand, dass dies irgendwann einmal politisch möglich sein würde. Als provisorische Hauptstadt wurde Frankfurt am Main klar favorisiert, doch kurz vor der Entscheidung konnte der designierte Bundeskanzler Konrad Adenauer mit einigen Tricks und Überzeugungsgesprächen seinen Wunsch durchsetzen, dass die kleine Stadt Bonn am Rhein sich gegen Frankfurt durchsetzen konnte und somit das Votum für die vorläufige Bundeshauptstadt erhielt. Adenauers Wohnort Rhöndorf liegt nur wenige Kilometer von Bonn entfernt und so konnte sich der alte Mann bequem von zu Hause aus zum Regierungssitz oder ins Parlament fahren lassen.

      Knapp drei Monate später, am 14. August 1949, kam es zur Wahl des ersten Deutschen Bundestages und damit zur ersten freien Wahl des deutschen Parlaments seit Ende der Weimarer Republik. Bei dieser Wahl galt eine abgeschwächte 5 Prozent - Hürde für kleinere Parteien. Um in den Bundestag zu kommen, musste eine Partei nur in einem Bundesland 5 Prozent der Stimmen erreichen oder lediglich einen Wahlkreis direkt gewinnen. Mit einem Stimmenanteil von 31,0 Prozent wurde die CDU/ CSU knapp die stärkste Partei vor der SPD, die 29,2 Prozent der Stimmen erreichte. In einer Koalition der CDU/ CSU mit der FDP und der Deutschen Partei wurde die Mehrheit erreicht. So konnte Konrad Adenauer mit exakt der absoluten Mehrheit zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden. Adenauer, der bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 Ober-Bürgermeister der Stadt Köln gewesen war, hatte bereits das 74. Lebensjahr erreicht, als er das höchste Regierungsamt übernahm und er sollte noch dreimal in seinem Amt bestätigt werden. 1951 übernahm er gleichzeitig das Amt des Außenministers, da er alle Fäden in der Hand haben wollte, bei seiner auf Aussöhnung mit dem Westen ausgerichteten Außenpolitik. Einen Monat nach der Bundestagswahl wurde der FDP-Politiker Theodor Heuss von der Bundesversammlung zum ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der bei dieser Wahl unterlegene Parteivorsitzende der Sozialdemokraten, Kurt Schumacher, übernahm den Fraktionsvorsitz seiner Partei und wurde als erster Oppositionsführer des deutschen Bundestages erbitterter Gegenspieler des Bundeskanzlers, dem er vorwarf, mit seiner ausschließlich westlich orientierten Politik eine baldige Wiedervereinigung zu gefährden. Doch die Politik Adenauers, zunächst das Vertrauen der Westalliierten zu gewinnen und zu untermauern, war für die damalige Zeit sicherlich der richtige, weil realistische Weg in die Zukunft.

      5 Der Fußball rollt wieder

      Der Fußball hat mich seit meiner Kindheit fasziniert und begeistert. Schon als kleiner Knirps habe ich mit gleichaltrigen und älteren Jungs auf der Straße oder in jeder Pause auf dem Schulhof gebolzt. Ich hatte bei ihnen nicht nur aufgrund meiner Schnelligkeit und Ausdauer einen Stein im Brett, sondern auch die Tatsache, dass ich von meiner Tante einen neuen Lederball geschenkt bekommen hatte, dürfte meiner Beliebtheit nicht geschadet haben. Meine Technik hielt sich sicherlich in überschaubaren Grenzen, aber schon als Kind hatte ich eine überdurchschnittlich gute Kondition. Ich bin immer noch, wie an der Schnur gezogen, hin und her gerannt, wenn die anderen schon längst nach Luft schnappten. Diesen konditionellen Vorteil habe ich nicht zuletzt meinen beiden älteren Schwestern zu verdanken, die sich rührend um meine Fitness kümmerten. Etwa ein bis zwei Kilometer von unserer Wohnung entfernt gab es einen „Tante Emma Laden“ in dem man Bonbons oder Lakritze zu einem Stückpreis von einem Pfennig erwerben konnte. Immer, wenn meine Schwestern Appetit auf Süßigkeiten und ein paar Pfennige zur Verfügung hatten, schickten sie mich los, um ihnen das Gewünschte zu holen. Dabei spornten sie mich an, dass sie die Zeit stoppen würden, um zu sehen, wie lange ich für den Weg benötige. Also rannte ich los und kam mit hängender Zunge und hochrotem Kopf zurück, falls ich nicht zwischendurch von der Schranke am Bahnübergang gestoppt wurde, um einen von einer Dampflokomotive gezogenen Zug passieren zu lassen. Wenn ich ohne Unterbrechung schnell zurück war, waren meine Schwestern voll des Lobes und stellten immer häufiger fest, dass ich schon wieder eine Minute schneller gewesen sei. Als ich dann etwas älter geworden war und in der Lage, gewisse Dinge etwas skeptischer zu sehen, mussten meine Schwestern auf meine konkrete Frage wahrheitsgemäß antworten, dass sie bei meinen Süßigkeitsrennen niemals auf die Uhr geschaut hatten. Nun ja, meiner Grundkondition haben diese Läufe sicherlich nicht geschadet. Aber ihre Bonbons mussten sich meine Schwestern fortan selber holen.

      Im Alter von 8 Jahren habe ich begonnen, mich auch für den großen Fußball zu interessieren und ich habe davon geträumt, irgendwann einmal Helmut Rahn, Uwe Seeler und andere Größen des Fußballs leibhaftig spielen zu sehen. Aber zunächst musste ich mich mit Radioreportagen begnügen und mit dem was ich in der Zeitung oder in Büchern lesen konnte oder von meinem Vater erfuhr, denn das Fernsehen war zu dieser Zeit noch eine Rarität und für meine Eltern nicht erschwinglich. Aber schon damals interessierte ich mich auch für Fußballereignisse, die in der Vergangenheit lagen, sicherlich beflügelt durch den Gewinn der Weltmeisterschaft 1954. Die Aufstellungen sowohl der deutschen wie auch der ungarischen Nationalmannschaft, die in Bern das Weltmeisterschafts-Endspiel bestritten hatten, kannte ich schon sehr bald auswendig.

      So beginnen meine Aufzeichnungen auch in Bezug auf den Fußball ebenfalls bereits in einer Zeit, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Der nationale Fußball in Deutschland nahm den offiziellen Spielbetrieb in den Oberligen Nord, Süd, West, Südwest und Berlin im Jahr 1947 wieder auf. Mit einem 2:1 Sieg im Endspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern wurde der 1. FC Nürnberg 1948 erster Deutscher Meister nach dem zweiten Weltkrieg. Dagegen war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bis Ende 1950 noch vom internationalen Fußball ausgeschlossen. Am 22. November 1950 fand dann das erste offizielle Länderspiel der Nachkriegsgeschichte mit deutscher Beteiligung statt. Fast selbstverständlich ist es, dass die Schweiz der Gegner war, waren es doch auch die Eidgenossen, gegen die Deutschland 1908 in seinem allerersten Länderspiel antrat und die auch Gegner im ersten Länderspiel nach dem 1. Weltkrieg waren. Nicht nur weil es sich um die erste Begegnung nach dem Kriege für die deutsche Nationalmannschaft handelte, ist sie als historisch zu betrachten, sondern auch aufgrund der Zuschauerzahl. 115.000 Besucher haben die Ränge des Stuttgarter Neckarstadions anlässlich dieses Fußballspiels gefüllt, soviel wie nie zuvor und niemals später bei einem Länderspiel auf deutschem Boden. 61.000 Zuschauer passten seinerzeit offiziell in das Stadion. Die Sicherheitskräfte der Gegenwart wären wahrscheinlich dem Wahnsinn nahe, angesichts einer dermaßen überfüllten Arena. Die Devise von Trainer Sepp Herberger und seinen Nationalspielern lautete: „Bloß keine groben Fouls begehen, keine Emotionen wecken. Lieber verlieren.“ Fußball – die schönste Nebensache der Welt. Deutschland gewann das Spiel dennoch mit 1:0, durch einen von Herbert Burdenski, Vater des späteren Nationaltorwarts Dieter Burdenski, verwandelten Elfmeter. Das Ergebnis aber spielte an diesem Novembertag sicherlich nur eine untergeordnete Rolle.

      Von der Fußball-Weltmeisterschaft 1950 in Brasilien war Deutschland noch ausgeschlossen. Abgesehen davon, nahmen ohnehin nur 13 Mannschaften, darunter 7 aus Europa, an dieser WM teil. Erstmals