Ole R. Börgdahl

Pyjamamord


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und nahm mir den zweiten Sessel. Wir tranken jeder einen Schluck. Bruckner setzte die Tasse ab und beugte sich vor.

      »Und sonst geht es Ihnen gut«, sagte er wieder mit veränderter Stimme, als wenn er von einer auf die andere Sekunde eine schlechte Nachricht erhalten hatte.

      Ich zuckte mit den Schultern. »Das Geschäft läuft gut, wir waren über Weihnachten in den Staaten, meine Familie ist gesund ...« Ich stutzte. »... das heißt, meine Tochter hat sich heute den Kopf gestoßen. Wir waren im Krankenhaus, aber es musste nicht genäht werden. Erst hat sie geweint, hinterher war sie ganz enttäuscht.«

      Bruckner nickte und sah auf. »Ich sagte Ihnen ja schon am Telefon, dass die letzten Monate bei mir eher nicht so gut waren. Es hat ja schon ein paar Wochen gedauert, bis ich wieder einigermaßen normalen Dienst tun konnte, aber so richtig hat mich mein Chef nicht mehr rangelassen.«

      »Aber es war nicht Ihre Schuld.«

      »Sie haben doch sicherlich auch die Presse verfolgt?«, sagte Bruckner.

      »Ja, natürlich!«

      »Das war alles Mist, ganz großer Mist.«

      Ich überlegte. Bruckner hatte es wenigstens geschafft, mich aus der ganzen Sache herauszuhalten. Das war schon bei unserem ersten gemeinsamen Fall so. Anscheinend hatte er dafür umso mehr abbekommen.

      »Aber es muss doch langsam Gras über die Sache wachsen?«, fragte ich.

      »Ja, doch, aber irgendwie dauert es mir zu lange. Wir sind unterbesetzt, dass weiß jeder im Präsidium, aber dennoch lässt man mich nicht zurück auf die Straße, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      »Sie haben keine Fälle mehr?«, fragte ich.

      Bruckner zögerte. »Wie soll ich das erklären. Es gibt zum Glück nicht jeden Tag einen Mord. Unser Hauptgeschäft sind die ungeklärten Todesfälle, die Fälle die erst zu Mord oder Totschlag werden, wenn wir die Fakten aufdecken. Sie müssen das doch selbst kennen, aus Ihrer aktiven Zeit?« Bruckner erwartete keine Antwort von mir. Er machte eine Pause und sprach dann weiter. »Also aus diesem Geschäft bin ich vorläufig raus. Ich telefoniere nur den ganzen Tag. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Leute bei der Polizei anrufen, um ein Gewaltverbrechen zu melden. Das meiste bleibt bei den Revieren hängen. Sehr viele Fälle werden aber zu mir durchgestellt. Ich kann mich dann mit durchgeknallten Leuten herumschlagen. Wenn so einer dreimal den Streifenwagen ruft, dann kommen die beim vierten Mal nicht mehr und dennoch muss einer das zu Protokoll nehmen. Können Sie sich vorstellen, dass das alles bei mir hängen bleibt. Manchmal fahre ich ja raus, aber das mache ich nur für mich. Ja, so ist meine derzeitige Situation und es sieht nicht so aus, dass es in nächster Zeit besser wird, ganz im Gegenteil. Mein Chef sagt, dass ich bei der Staatsanwaltschaft verbrannte Erde bin. Wissen Sie, was das bedeutet? Ich muss bei meinen Ermittlungen doppelt so viele Argumente und Beweise haben, bis der Staatsanwalt mir für irgendetwas grünes Licht gibt. Darauf will sich mein Chef natürlich nicht einlassen.«

      »Muss es denn die Mordkommission sein?«, fragte ich, um wenigstens etwas zu Bruckners Situation zu erwidern.

      Er überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Wo soll ich sonst hin, zur Schutzpolizei. Ich bin Ermittler und will es auch bleiben.«

      »Dann würde ich warten, bis sich mein Stern wieder im Aufsteigen befindet.«

      Bruckner nickte. »Genau das ist es, genau deswegen wollte ich mit Ihnen reden.« Er überlegte wieder. »Wie soll ich anfangen. Sagen wir es einmal so. Man hat mir etwas hingeschmissen, damit ich mir nicht ganz nutzlos vorkomme. Ich habe die Sache geknetet, von allen Seiten betrachtet und ich habe das Gefühl, dass da was Großes hinter steckt.«

      »Was Großes?«

      Bruckner zuckte mit den Schultern. »Lassen wir das erst einmal so stehen. Ich möchte Ihnen ganz unbefangen die Fakten darlegen und dann sollen Sie entscheiden, ob ich mich weiter aus dem Fenster lehnen soll. Ich möchte natürlich nicht, dass der Schuss nach hinten losgeht.«

      »Wie soll ich das für Sie entscheiden?«

      »Mit Ihrer Erfahrung oder sagen wir, dass ich bei dem Fall schon blind bin, mich zu sehr auf etwas versteife, was es vielleicht gar nicht gibt. Sie sollen mich wieder in die Spur bringen.«

      »Ich weiß nicht«, sagte ich nachdenklich. »Ich habe natürlich nichts dagegen, aber wie ist es mit Ihren Kollegen, mit Hartmann oder Galler. Ich dachte Hartmann wäre Ihnen gegenüber loyal?«

      »Das ist er ja auch, aber ich will ihn nicht in Verlegenheit bringen. Ich will es mal so sagen. Seit der Sache in Nienstedten ist es besser für ihn, wenn er nicht mehr so viel mit mir gesehen wird. Er selbst hat natürlich keine Probleme damit, das weiß ich.«

      »Gut, wo Sie schon einmal hier sind, dann erzählen Sie mir doch, worum es in Ihrem Fall geht.«

      Bruckner nickte, nahm noch einen Schluck Kaffee und lehnte sich dann in seinen Sessel zurück.

      »Im Präsidium wurde die Sache von Anfang an für einen Scherz gehalten. Entsprechend wurden die Ermittlungen auch geführt.« Bruckner machte erneut eine Pause.

      »Jetzt rücken Sie schon damit raus, machen Sie es nicht so spannend«, rief ich.

      »Ja, ja! Es begann vor etwa vier Monaten, im Dezember letzten Jahres. Ein paar Kilometer vor dem Autobahndreieck Moorfleet, Richtung Lübeck, auf der A1 gibt es eine Raststättenanlage.«

      »Kenne ich. Da gibt es immer LKW-Stau, hört man häufig im Radio.«

      »Ganz richtig. Das ist eine beliebte Rastanlage bei den Brummifahrern. Viele machen dort ihre gesetzlich vorgeschriebene Fahrtzeitunterbrechung, wie es im Fachjargon so schön heißt. Da ist immer eine Menge los. Auf jeden Fall erstrecken sich die Parkplätze über eine große Fläche. Es gibt dort auch ein angrenzendes Waldstück. Wem es bis zu den Toiletten zu weit ist, der verschwindet dann eben mal hinter den Bäumen. Ein dänischer LKW-Fahrer hat sich wohl etwas geniert und ist ein ganzes Stück in den Wald hineingegangen. Laut Aussage hat er schon gepinkelt, als plötzlich jemand hinter einem Baum hervortrat. Er musste allerdings zweimal hingucken, um festzustellen, dass dieser jemand sich niemals bewegt haben konnte.« Bruckner musste grinsen. »Das ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie zuverlässig Zeugenaussagen sind. Wäre der Mann davongerannt, hätte er immer behauptet, dass ihm jemand im Wald aufgelauert hätte.«

      »Jetzt sagen Sie nicht, dass er eine Leiche gefunden hat?«

      Bruckner schüttelte den Kopf. »Ich sag doch, die Person hat aufrecht gestanden, oder besser gesagt die Puppe hat aufrecht gestanden.«

      »Eine Puppe?«, wiederholte ich.

      »Eine Schaufensterpuppe«, erklärte Bruckner. »Ein Torso, Kopf, Arme, Beine. Die Standfestigkeit wurde durch eine Stange mit Sockel erreicht. Der Sockel war ein Stück im Boden vergraben, wind- und wetterfest.«

      »Gut, eine Schaufensterpuppe. Männlich oder weiblich?«, fragte ich.

      »Weiblich und sie war bekleidet und das ist jetzt der Knackpunkt.«

      Ich grinste. »Sie hatte bestimmt das Chanel-Kleid an, das Julia Roberts in Pretty Woman getragen hat, und das erst kürzlich aus einer Ausstellung gestohlen wurde.«

      »Was?«

      »War nur ein Scherz. Also, was hatte die Schaufensterpuppe an?«

      Bruckner schüttelte den Kopf. »Mir ist die Sache wirklich ernst.«

      »Entschuldigung! Was hatte die Puppe an?«

      »Einen Pyjama, aus Baumwolle, ein grünes Baumwollmuster. Der Stoff war blutdurchtränkt. Später wurde festgestellt, dass es sich um menschliches Blut handelt, Blutgruppe A, Rhesus positiv.«

      »Hab’ ich auch!«

      »Das ist unwichtig.« Bruckner klang für einen Moment verärgert. »Also, menschliches Blut, in einem Baumwollstoff, zum Teil schon herausgewaschen. Die weiteren Untersuchungen haben ergeben, dass es anderthalb bis zwei Liter Blut gewesen sein müssen. Das Oberteil und die Hose